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Arbeitsrecht
20.06.2013
Arbeitsrecht
LAG Berlin: Gerichtlicher Vergleichsvorschlag unter Fristsetzung

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.5.2013 - 6 Sa 19/13


Leitsatz


Hat das Gericht den Parteien eine Frist zur Mitteilung ihres Einverständnisses mit einem Vergleichsvorschlag gesetzt, so schließt dies nicht aus, dass eine Partei erst innerhalb einer ihr eingeräumten Nachfrist ihr Einverständnis erklärt, wenn die andere Partei ihre innerhalb der ursprünglichen Frist erklärte Annahme nicht ihrerseits mit einer Annahmefrist nach § 148 BGB verbunden hat.


§ 278 Abs 6 S 1 Alt 2 ZPO, § 148 BGB, § 151 S 1 BGB


Sachverhalt


Der Kläger stand seit dem 01.04.2000 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin.


Das Arbeitsgericht Berlin hat festgestellt, dass dieses Arbeitsverhältnis durch eine Änderungskündigung der Beklagten vom 21.12.2010 nicht zum 30.04.2011 aufgelöst worden sei. Zugleich hat es die Beklagte verurteilt, den Kläger vorläufig weiterzubeschäftigen und zwei Abmahnungen vom 12.02. und 12.03.2010 aus seiner Personalakte zu entfernen.


Auf die Berufung der Beklagten ist den Parteien im Verhandlungstermin vom 30.03.2012 Gelegenheit gegeben worden, bis zum 20.04.2012 mitzuteilen, ob der Rechtsstreit durch einen Vergleich folgenden Inhalts beigelegt werden kann:


1. Das Arbeitsverhältnis des Klägers besteht über den 30.04.2011 hinaus fort.


2. Der Kläger wird ab dem 01.04.2012 mit einer Tätigkeit in Berlin nach Vergütungsgruppe TG 4 und einer entsprechenden Vergütung weiterbeschäftigt.


3. Der Kläger erhält für die Zeit vom 01.05 bis zum 31.10.2011 die Vergütung nach TG 5 nachgezahlt, unter Anrechnung anderweit für diese Zeit bezogener Leistungen. Für die Zeit ab 01.11.2011 bis 31.03.2012 hat der Kläger keinen Anspruch auf Vergütung.


4. Urlaubsansprüche sind in Natur erfüllt.


5. Die Abmahnung vom 12.02.2010 wird am 30.09.2013 aus der Personalakte des Klägers entfernt, sofern nicht eine neue berechtigte Abmahnung zu seiner Personalakte kommt. Die Abmahnung vom 12.03.2010 wird sofort aus der Personalakte entfernt.


6. Hinsichtlich der Kosten des Rechtsstreits erster Instanz bleibt es bei der Entscheidung im angefochtenen Urteil, während die Kosten der Berufungsinstanz gegeneinander aufgehoben werden.


Zugleich hat die Kammer einen Verkündungstermin auf den 04.05.2012 anberaumt.


Mit am selben Tag per Telefax übermitteltem Schriftsatz vom 19.04.2012 hat der Kläger mitgeteilt, den gerichtlichen Vergleichsvorschlag anzunehmen, nachdem er zuvor noch mit Schriftsatz vom 05.04.2012 Mitteilung davon gemacht hatte, der Beklagten noch diverse Änderungsvorschläge unterbreitet zu haben.


Daraufhin hat der Vorsitzende der Kammer der Beklagten in einem Telefonat vom 24.04.2012 Gelegenheit gegeben, bis zum 27.04.2012 mitzuteilen, ob der gerichtliche Vergleichsvorschlag noch angenommen werde, was die Beklagte sodann an diesem Tag getan hat und dem Kläger zur Kenntnis gegeben worden ist.


Durch Beschluss vom 27.04.2012 hat der Vorsitzende den Abschluss eines Vergleichs mit dem vorgeschlagenen Inhalt festgestellt, dessen Regelungen von den Parteien auch zunächst vollzogen wurden. Uneinigkeit bestand lediglich hinsichtlich der Höhe der zu zahlenden Vergütung, die von der Beklagten an den niedrigsten Stufe der im Vergleich vereinbarten Tarifgruppe festgemacht wurde.


Mit Schriftsatz vom 03.01.2013 hat der Kläger die Wirksamkeit des Feststellungsbeschlusses infrage gestellt. Abgesehen davon, dass sein damaliger Prozessbevollmächtigter die Annahme des Vergleichsvorschlages weisungswidrig erklärt haben soll, ist der Kläger der Ansicht, ein Vergleich sei deshalb nicht zustande gekommen, weil die Beklagte die Annahme erst nach Ablauf der ursprünglich gesetzten Frist erklärt habe, ohne zuvor eine Fristverlängerung beantragt zu haben.


Der Kläger beantragt,


1. einen Termin zur Fortsetzung des Rechtsstreits anzuberaumen und festzustellen, dass ein Vergleich nicht wirksam zustande gekommen und der Beschluss des Gerichts vom 27.04.2012 nicht wirksam sei,


2. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.


Die Beklagte beantragt,


festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Prozessvergleich vom 27.04.2012 beendet worden sei,


hilfsweise,


die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.


Sie hält den Feststellungsantrag des Klägers bereits für unzulässig. Jedenfalls sei der Vergleich wirksam zustande gekommen. Die zivilrechtlichen Vorschriften über die Annahme von Angeboten seien auf einen gerichtlichen Vorschlag weder unmittelbar noch analog anwendbar. Dass er sich an seine Annahme nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gebunden fühle, habe der Kläger nicht erklärt.


Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.


Aus den Gründen


1. Da der Kläger eine Beendigung des Rechtsstreits durch Prozessvergleich in Abrede gestellt hat, war darüber durch Endurteil zu befinden (vgl. BGH, Beschluss vom 18.09.1996 - VIII ZB 28/96 - AP ZPO § 794 Nr. 45 zu II 2 d. Gr.).


2. Der Rechtsstreit ist durch Prozessvergleich abgeschlossen, wie vom Vorsitzenden mit Beschluss vom 27.04.2012 festgestellt (§§ 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 2, 525 Satz 1 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG).


2.1 Beide Parteien haben den Vergleichsvorschlag aus dem im Protokoll vom 30.03.2012 niedergelegten Beschluss durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht angenommen.


2.2 Dass die Beklagte ihre Annahme erst nach Ablauf der zunächst gesetzten Mitteilungsfrist erklärt hat, war unschädlich.


2.2.1 Bei einer solchen Frist handelt es sich um keine Annahmefrist i.S.d. § 148 BGB, da das Gericht nicht Antragender des Vergleichs ist, sondern diesen bloß vermittelt (Nungeßer NZA 2005, 1027, 1031 f.; a. A. Musilak/Foerste, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 278). Aufgabe des Gerichts ist es festzustellen, ob beide Parteien mit ihrer jeweiligen Annahme übereinstimmende Willenserklärungen abgegeben haben. Durch diese kommt der Vergleich gemäß § 151 Satz 1 BGB zustande, ohne dass die beiden Erklärungen der jeweils anderen Partei zugehen müssen (Knauer/Wolf NJW 2004, 2857, 2859). Diese Erklärungen sind auch nicht als amtsempfangsbedürftig i.S.d. § 130 Abs. 3 BGB anzusehen, auch wenn die sie durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht erfolgen (a. A. Siemon NJW 2011, 426, 429 f.). Vielmehr verhält es sich wie bei einer Auflassung, die gem. § 925 Satz 1 BGB vor einer zuständigen Stelle erklärt werden muss (ähnl. Lüke NJW 1994, 233, 235). Anders als für diese wird lediglich auf die gleichzeitige Anwesenheit beider Teile verzichtet.


2.2.2 Die vom Gericht gesetzte Frist soll lediglich den Ablauf des Verfahrens sichern, indem bei ihrem fruchtlosen Ablauf vorbereitende Maßnahmen getroffen oder im Falle eines Verkündigungstermins eine Nachberatung durchgeführt und bei Entscheidungsreife ein zu verkündendes Urteil gemäß §§ 60 Abs. 4 Satz 2, 69 Abs. 1 Satz 2 ArbGG in vollständiger Form rechtzeitig abgesetzt werden kann. Dies erlaubt es, einer Partei, die von der Annahme der Gegenseite nach deren ihr gegenüber zunächst zum Ausdruck gebrachten Ablehnung überrascht worden ist, noch eine Nachfrist einzuräumen. Auch bleibt es einer Partei unbenommen, der Gegenseite eine Frist für deren Annahme zu setzen (Nungeßer NZA 2005, 1027, 1032), die durchaus auch kürzer als die vom Gericht gesetzte Mitteilungsfrist sein kann.


2.2.3 Dass auch der Kläger die Wirksamkeit seiner am letzten Tag der Mitteilungsfrist erklärten Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags nicht auf diese hat beschränkt sehen wollen, erhellt daraus, dass er den Vergleich trotz Übermittlung der erst am 27.04.2012 eingegangenen Annahmeerklärung der Beklagten zunächst vollzogen hat.


2.3 Auf ein vom Kläger ohnehin nicht näher dargelegtes weisungswidriges Handeln seines damaligen Prozessbevollmächtigten kam es nicht an. Ausreichend war vielmehr, dass dessen Handeln von seiner Prozessvollmacht gemäß § 81 ZPO gedeckt war. Eine Beschränkung dieser Vollmacht gemäß § 83 Abs. 1 ZPO hinsichtlich einer Beseitigung des Rechtsstreits durch Prozessvergleich hätte der Beklagten und dem Gericht gegenüber nur Wirkung entfaltet, wenn sie ihnen mitgeteilt worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 20.01.1955 - II ZR 239/53 - BGHZ 16, 167).


3. Der Kläger hat gem. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen, die nach dessen zunächst durch den Prozessvergleich herbeigeführter Beendigung entstanden sind.


Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Der Frage, bis wann ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag annahmefähig ist, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.

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