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Arbeitsrecht
01.09.2023
Arbeitsrecht
BAG: Gemeinsamer Betrieb – Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde

BAG, Beschluss vom 24.5.2023 – 7 ABR 8/22

ECLI:DE:BAG:2023:240523.B.7ABR8.22.0

Volltext: BB-Online BBL2023-2035-1

Orientierungssätze

Ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts über einen Streitgegenstand auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Rechtsbeschwerdebegründung alle Erwägungen angreifen. Fehlt es an einer erkennbaren inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem von mehreren selbstständig tragenden Gründen, ist die Rechtsbeschwerde in Bezug auf diesen Streitgegenstand unzulässig.

Sachverhalt

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die zu 2., 3. und 4. beteiligten Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb führen.

Die im Jahr 2007 gegründete Beteiligte zu 2. (künftig: Klinikum) übernahm 2008 den Betrieb des Städtischen Klinikums in M und beschäftigt ca. 1.800 Arbeitnehmer; bei ihr ist der antragstellende Betriebsrat gebildet. Die Beteiligte zu 3. (künftig: Servicegesellschaft) ist eine Tochtergesellschaft des Klinikums und erbringt für dieses mit ca. 80 Beschäftigten Serviceleistungen. Die Beteiligte zu 4. (künftig: MVZ) betreibt ein medizinisches Versorgungszentrum und unterhält hierzu im Stadtgebiet von M mehrere Ambulanzen. Sie beschäftigt 48 Arbeitnehmer, hauptsächlich pflegerisches und ärztliches Personal.

Unter dem 31. August 2017 schlossen das Klinikum und die Servicegesellschaft einen Dienstleistungsvertrag, wonach die Servicegesellschaft Leistungen der Unterhalts- und Glasreinigung sowie des Wachdienstes und Teile der Hausmeisterdienste im Klinikum erbringt und im Gegenzug das Rechnungswesen, die Lohnbuchhaltung und die Personalbewirtschaftung sowie einige weitere Aufgaben der Servicegesellschaft durch das Klinikum übernommen werden. Im Bereich Reinigung setzt die Servicegesellschaft eigenes Personal ein; im Bereich des zum 1. Januar 2019 vom Klinikum übernommenen Hausservice (sog. patientennahe Dienstleistungen) beschäftigt sie aufgrund eines Personalgestellungsvertrags 22 Arbeitnehmer des Klinikums sowie 18 eigene Mitarbeiter. Teamleiterin in diesem Bereich ist eine Arbeitnehmerin, welche – ebenso wie zwei weitere Mitarbeiter des Bereichs Hausservice – Anfang 2019 vom Klinikum zur Servicegesellschaft gewechselt war.

Das MVZ schloss mit dem Klinikum unter dem 14. August 2019 einen Dienstleistungsvertrag, nach dem (ua.) die laufende Finanzbuchhaltung des MVZ, die Lohn- und Gehaltsabrechnungen, die Berechnung und Übermittlung der Lohnsteuer und der Sozialversicherungen sowie die An-, Ab- und Jahresmeldung bei den Sozialversicherungen für die Beschäftigten des MVZ entgeltlich durch das Klinikum erledigt werden.

Im April 2019 hat der Betriebsrat das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet mit dem Ziel der Feststellung, dass das Klinikum, die Servicegesellschaft und das MVZ einen gemeinsamen Betrieb bilden. Er hat geltend gemacht, eine einheitliche Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten folge neben der teilweisen Personenidentität auf Geschäftsführerebene ua. daraus, dass die Unternehmen Sachmittel gemeinsam nutzten, an ein gemeinsames IT-System angebunden seien, Hard- und Software durch die IT-Abteilung des Klinikums betreut würde, gemeinsam auf ein Krankenhausinformationssystem zugegriffen werde und die betriebsärztliche Betreuung der Arbeitnehmer unternehmensübergreifend erfolge. Auch übe das Klinikum das Weisungsrecht gegenüber den Arbeitnehmern der Servicegesellschaft und des MVZ aus. Arbeitnehmer der Servicegesellschaft erfüllten gemeinsam mit Vertragsarbeitnehmern des Klinikums dessen Aufgaben. Das zeige etwa der Wechsel von Arbeitnehmern des Klinikums zur Servicegesellschaft.

Der Betriebsrat hat beantragt

festzustellen, dass die Beteiligten zu 2., 3. und 4. einen gemeinsamen Betrieb führen.

Die Beteiligten zu 2. bis 4. haben beantragt, den Antrag abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt dieser sein Begehren weiter.

Aus den Gründen

9          B. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht dem gesetzlichen Begründungserfordernis (§ 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG) genügt.

10        I. Nach § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG muss die Rechtsbeschwerdebegründung angeben, welche rechtliche Bestimmung durch den angefochtenen Beschluss verletzt sein soll und worin diese Verletzung bestehen soll. Für eine Sachrüge hat sie den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzuzeigen, dass Gegenstand und Richtung ihres Angriffs erkennbar sind. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Beschlusses. Der Rechtsbeschwerdeführer muss darlegen, warum er die tragenden Erwägungen des Beschwerdegerichts für unrichtig hält (vgl. BAG 15. November 2022 – 1 ABR 15/21 – Rn. 11 mwN; 17. August 2022 – 7 ABR 3/21 – Rn. 17). Die bloße Darstellung anderer Rechtsansichten ohne erkennbare Auseinandersetzung mit den Gründen des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechtsbeschwerdebegründung ebenso wenig wie die Wiedergabe des bisherigen Vorbringens. Es reicht auch nicht aus, wenn der Rechtsbeschwerdeführer die Würdigungen des Beschwerdegerichts lediglich mit formelhaften Wendungen rügt (vgl. zum Revisionsverfahren BAG 21. März 2017 – 7 AZR 207/15 – Rn. 21 mwN, BAGE 158, 266). Ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts über einen Streitgegenstand auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Rechtsbeschwerdebegründung alle Erwägungen angreifen, denn sie muss im Falle ihrer Berechtigung geeignet sein, die Entscheidung insgesamt infrage zu stellen. Setzt sie sich nur mit einer der Begründungen auseinander, ist die Rechtsbeschwerde in Bezug auf diesen Streitgegenstand unzulässig (BAG 29. Juli 2020 – 7 ABR 27/19 – Rn. 18, BAGE 172, 1; 21. Oktober 2014 – 1 ABR 11/13 – Rn. 11).

11        II. Diesen Anforderungen wird die Rechtsbeschwerdebegründung nicht gerecht.

12        1. Der mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Beschluss des Landesarbeitsgerichts, mit dem die Beschwerde des Betriebsrats gegen die dessen Begehren abweisende arbeitsgerichtliche Entscheidung zurückgewiesen worden ist, beruht auf einer Doppelbegründung.

13        a) Der Betriebsrat erstrebt die Feststellung, dass Klinikum, Servicegesellschaft und MVZ einen gemeinsamen Betrieb führen. Demnach geht es ihm allein um die Klärung der Frage, dass alle drei Unternehmen Träger eines Gemeinschaftsbetriebs sind. Es bildet hingegen nach seinem Antrag keinen Verfahrensgegenstand, ob nur jeweils zwei der genannten drei möglichen Trägerunternehmen in verschiedenen denkbaren Kombinationen einen gemeinsamen Betrieb bilden. Dieses Verständnis entspricht dem ausdrücklichen Wortlaut des Antrags, dessen Begründung sowie dem bereits mit der Antragsschrift ausgeführten und im weiteren Verfahren geltend gemachten Rechtsschutzziel des Betriebsrats. Nur über dieses Begehren war zu befinden. Ebenso wenig, wie die Auswahl der Organisationseinheiten, die möglicherweise einen gemeinsamen Betrieb ausmachen, dem Gericht überlassen werden kann (vgl. dazu BAG 18. Januar 2012 – 7 ABR 72/10 – Rn. 15), steht es im gerichtlichen Belieben, im Rahmen eines Antrags, der mehr als zwei Trägerunternehmen eines Gemeinschaftsbetriebs anführt, festzulegen, welche der genannten einzelnen Unternehmen jeweils miteinander ggf. einen Betrieb gemeinsam führen.

14        b) Von diesem Antragsverständnis ist auch das Landesarbeitsgericht – zutreffend – ausgegangen. Das Bestehen eines gemeinsamen Betriebs der drei beteiligten Trägerunternehmen hat es allerdings mit einer doppelten Begründung verneint. Es hat zum einen angenommen, die Voraussetzungen für das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs lägen bereits im Verhältnis zwischen Klinikum und Servicegesellschaft nicht vor. Unabhängig davon hat es den Antrag aber auch deshalb als unbegründet angesehen, weil die Voraussetzungen eines gemeinsamen Betriebs im Verhältnis von Klinikum und MVZ nicht erfüllt seien. Ungeachtet dessen, dass dieser Argumentation nicht das zutreffende Prüfprogramm für den beschriebenen (und vom Landesarbeitsgericht nicht verkannten) Verfahrensgegenstand – das Bestehen eines von drei Unternehmen geführten gemeinsamen Betriebs – zugrunde liegt, beruht damit die Antragsabweisung auf zwei voneinander unabhängigen und jeweils selbstständig tragenden Begründungen. Dabei ist unerheblich, dass das Landesarbeitsgericht nicht ausdrücklich auf seine Doppelbegründung hingewiesen hat. Nach seinem Begründungsweg ist ausgeschlossen, dass es die Führung eines gemeinsamen Betriebs aller drei im Antrag genannten Unternehmen bereits dann bejaht hätte, wenn entweder Klinikum und Servicegesellschaft oder Klinikum und MVZ einen Betrieb gemeinsam führen.

15        2. Jedenfalls mit der vom Beschwerdegericht gegebenen und seine Entscheidung selbstständig tragenden Zweitbegründung (Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines Gemeinschaftsbetriebs im Verhältnis von Klinikum und MVZ) setzt sich der Betriebsrat in seiner Rechtsbeschwerdebegründung nicht hinreichend auseinander.

16        a) Das Landesarbeitsgericht hat insoweit ausgeführt, im Hinblick auf die Voraussetzungen des Vermutungstatbestands des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG fehle es an nachvollziehbarem substantiierten Vortrag des Betriebsrats zu einem gemeinsamen Einsatz der Betriebsmittel. Aus dem Dienstleistungsvertrag vom 16. August 2019 ergebe sich lediglich eine unternehmerische Zusammenarbeit, nach der (im Einzelnen bezeichnete) Verwaltungstätigkeiten durch das Klinikum gegen eine Jahresvergütung erbracht würden. Eine enge unternehmerische Zusammenarbeit aufgrund wechselseitiger Verpflichtungen genüge für das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs jedoch nicht. Auch die Arbeitnehmer würden nicht gemeinsam eingesetzt; substantiierter Vortrag dazu sei nicht erkennbar. Klinikum und MVZ hätten unterschiedliche Geschäftsführer. Auch wenn das MVZ Hilfsdienste des Klinikums bei der Personalakquise in Anspruch nehme, regele das MVZ die Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten durch ihre Geschäftsführerin selbstständig. Es ändere nichts, dass diese auch im Klinikum angestellt sei, da deren dortige Beschäftigung als Leiterin der Abteilung zentrales Patientenmanagement und als Notärztin gegenüber ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin des MVZ abgrenzbar sei. Auch die Voraussetzungen des Vermutungstatbestands des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG seien im Verhältnis zwischen Klinikum und MVZ nicht erfüllt. Schließlich bestehe außerhalb der Vermutungstatbestände kein gemeinsamer Betrieb. Es fehle offensichtlich an einer gemeinsamen Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten. Diese würden beim Klinikum von der Geschäftsführerin und dem Prokuristen wahrgenommen, beim MVZ von einer (anderen) Geschäftsführerin. Im Übrigen seien dem Vortrag des Betriebsrats keine substantiierten Ausführungen zum Weisungsrecht in mitbestimmungsrechtlich relevanten Angelegenheiten – wie Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, Urlaubserteilung, Einstellung oder Kündigung – zu entnehmen. Unbeachtlich sei, dass sich das MVZ gegen Zahlung einer Vergütung nach dem Dienstleistungsvertrag vom 16. August 2019 verschiedener Dienste des Klinikums bediene. Zwar stelle das Vorhandensein einer gemeinsamen Personalabteilung ein Indiz für einen gemeinsamen Leitungsapparat dar, eine solche indizielle Wirkung bestehe aber nicht, wenn die Personalabteilung, wie im Streitfall, selbst keine Entscheidungen in mitbestimmungsrechtlich relevanten Angelegenheiten treffe, sondern sich im Wesentlichen auf Beratungs- und Unterstützungsleistungen beschränke.

17        b) Mit dieser Argumentation befasst sich die Rechtsbeschwerdebegründung nicht ausreichend. Soweit in ihr ausgeführt ist, das Klinikum unterhalte mit dem MVZ einen gemeinsamen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn, setzt der Betriebsrat lediglich seine Rechtsansicht an die Stelle derjenigen des Beschwerdegerichts, ohne hinreichend auf dessen ausführliche Begründung einzugehen. Der Beanstandung, das Landesarbeitsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Geschäftsführungen von Klinikum und MVZ personell „engstens miteinander verbunden“ seien, mangelt es an jeglicher Auseinandersetzung mit der auf diesen Aspekt bezogenen Argumentation des Landesarbeitsgerichts. Insbesondere befasst sich die Rechtsbeschwerdebegründung nicht mit der Annahme des Beschwerdegerichts, die Beschäftigungen der Geschäftsführerin des MVZ im Klinikum als Leiterin der Abteilung zentrales Patientenmanagement und als Notärztin seien gegenüber ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin des MVZ abgrenzbar, weshalb sich an deren allein auf das MVZ bezogenen Personalkompetenz nichts ändere. Die weitere Ausführung der Rechtsbeschwerde, im Verhältnis Klinikum und MVZ würden sämtliche Arbeitgeberfunktionen vom Klinikum ausgeübt, beschränkt sich ebenso schlagwortartig auf die Behauptung einer Fehlerhaftigkeit der Beschwerdeentscheidung, ohne der in ihr getroffenen Würdigung, dem Vortrag des Betriebsrats seien keine substantiierten Ausführungen zum Weisungsrecht in mitbestimmungsrechtlich relevanten Angelegenheiten zu entnehmen, argumentativ entgegenzutreten. Daran vermag die weitere Beanstandung nichts zu ändern, die „Umstände der gemeinsamen Materialbeschaffung, Gehaltsabrechnung, IT-Technik“ seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Damit werden weder Schlussfolgerungen für den konkreten Fall gezogen noch findet eine argumentative Auseinandersetzung mit der Würdigung des Landesarbeitsgerichts statt, das zu dem angesprochenen Umstand ausgeführt hat, aus dem Dienstleistungsvertrag vom 16. August 2019 ergebe sich lediglich eine unternehmerische Zusammenarbeit, nach der (im Einzelnen aufgeführte) Verwaltungstätigkeiten gegen eine Jahresvergütung durch das Klinikum erbracht würden; die Voraussetzungen eines gemeinsamen Betriebs seien jedoch nicht bereits dann erfüllt, wenn eine enge unternehmerische Zusammenarbeit aufgrund wechselseitiger Verpflichtungen bestehe. Worin unter Berücksichtigung dieser Argumentationslinie des Landesarbeitsgerichts die von der Rechtsbeschwerde monierte nicht hinreichende Würdigung der angesprochenen Umstände liegen soll, führt die Rechtsbeschwerde nicht aus.

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