R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Arbeitsrecht
13.01.2011
Arbeitsrecht
LAG Berlin: Angestellter Vormund ist kein Tendenzträger

Gericht: LArbG Berlin-Brandenburg 6. Kammer

Entscheidungsdatum: 26.11.2010

Aktenzeichen: 6 TaBV 1159/10

Dokumenttyp: Beschluss

 Quelle: 

Norm: § 118 Abs 1 S 1 Nr 1 BetrVG

Tendenzträger

Leitsatz

1. Ein im Angestelltenverhältnis beschäftigter Vormund ist kein Tendenzträger.

2. Angesichts der rechtlichen Vorgaben für das Tätigwerden angestellter Vormünder genügt eine allgemeine Dienst- und Fachaufsicht nicht, um einen Leitenden Vormund zum Tendenzträger zu machen.

3. Soweit im Falle der Versetzung eines Tendenzträgers eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass diese im Hinblick auf die Verfolgung der Tendenz ansteht, kann dies nur gelten, wenn der Tendenzträger weiterhin als solcher beschäftigt werden soll. Anders verhält es sich dagegen, wenn er durch die Versetzung seine Eigenschaft als Tendenzträger verliert Ein Ausschluss des Zustimmungserfordernisses nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kommt dann nur noch in Betracht, wenn die Versetzung gerade aus tendenzbedingten Gründen vorgenommen werden soll.

Orientierungssatz

(Rechtsbeschwerde eingelegt unter dem Aktenzeichen 7 ABR 81/10)

Verfahrensgang ...

Tenor

1. Die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 03.03.2010 - 20 BV 18677/09 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

11. Der Betriebsrat verlangt vom Arbeitgeber die Rückgängigmachung der Versetzung einer Mitarbeiterin.

2Der Arbeitgeber leistet nach seiner Satzung u.a. vorbeugende, helfende und heilende Tätigkeit auf allen Gebieten der sozialen Arbeit, der Jugendhilfe und des Gesundheitswesens. Dabei verfolgt er ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige bzw. mildtätige Zwecke i.S.d. Abgabenordnung. Im Referat Jugend, Migration und Beratungsdienste besteht eine Abteilung Vormundschaft mit rund 30 Mitarbeitern zur Übernahme von Vormundschaften, Beistandschaften und zur Beratung und Unterstützung bei Vaterschaftsfeststellung und Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen. In dieser Abteilung war die Mitarbeiterin K. seit Oktober 2003 als Leitender Vormund tätig. Ihr Aufgabenbereich umfasste gemäß einer Stellenbeschreibung vom 19. Februar 2004 ( Abl. Bl. 170 f. d.A. ) folgende Tätigkeiten:

3

-  Leitung des Arbeitsbereichs Vormundschaftswesen

4

-  allgemeine Dienst- und Fachaufsicht

5

-  interne Koordination und Geschäftsverteilung

6

-  Urlaubsplanung

7

-  Planung und Umsetzung von Verwaltungsabläufen

8

-  dienstliche Beurteilung

9

-  Personalplanung

10

-  Bearbeitung genereller und Beschwerdeangelegenheiten des Arbeitsbereichs

11

-  Entscheidung über Übernahme, Abgabe und Beendigung von Vormundschaften, Pflegschaften und Beistandschaften, Entscheidung über den Verzicht auf ein Rechtsmittel

12

-  Vertretung der Vormünder

13

-  Praxisanleitung und Fachberatung der Mitarbeiter

14

-  Vermittlung von fachpolitisch relevanten Informationen

15

-  Beobachten und laufende Abstimmung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, des internationalen Privatrechts und der einschlägigen Rechtsprechung

16

-  Ausbau und Absicherung der Kooperation mit anderen Stellen

17

-  Konzipieren neuer Projekte und Einrichtungen im Sachgebiet

18

-  Vertretung der fachlichen Arbeit in Gremien und Fachausschüssen

19

-  Entwicklung und Umsetzung von Organisations- und Arbeitskonzepten

20

-  Fachpolitische Stellungnahme im Sachgebiet

21

-  Evaluation der Arbeit

22

-  Erstellen von Jahresberichten mit Zusammenhang der Statistik

23

-  Erstellung der Zuwendungsanträge und Verwendungsnachweise

24

-  Überwachung der Mündelbuchhaltung

25

-  Qualitätssicherung

26Als Vormund war die Mitarbeiterin besonderer Vertreter nach § 30 BGB.

27Die Mitarbeiterin war vom 31. Oktober 2006 bis 5. Januar 2009 arbeitsunfähig krank. Nach Ausspruch einer inzwischen rechtskräftig für sozial ungerechtfertigt erklärten Änderungskündigung vom 25. März 2009 teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit Schreiben vom 27. August 2009 mit, dieser Mitarbeiterin zum 8. September 2009 im Wege der Versetzung innerhalb ihrer Abteilung die Tätigkeit als „Leitender Vormund mit eigenem Arbeitsbereich, Fachbereich Mündelbuchhaltung und Grundsatzfragen in der Abt. Vormundschaften" übertragen zu wollen. Der genaue Inhalt der damit verbundenen Aufgaben ergab sich aus der als Anlage hierzu überreichten Stellenbeschreibung ( Abl. Bl. 152-155 d.A. ), die in der Folgezeit noch etwas überarbeitet wurde ( Abl. Bl. 37-41 d.A. ).

28Das Arbeitsgericht Berlin hat dem Arbeitgeber auf Antrag des Betriebsrats aufgegeben, die Versetzung der betroffenen Mitarbeiterin aufzuheben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, bei der Zuweisung der neuen Stelle handele es sich um eine Versetzung i.S.v. § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats sei nicht eingeschränkt. Zwar führe der Arbeitgeber ein Unternehmen, das unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen diene, und gehöre damit zum Kreis der klassischen Tendenzunternehmen. Die betroffene Mitarbeiterin sei jedoch auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz keine Tendenzträgerin gewesen. Es sei nicht ersichtlich, dass sie selbst unmittelbar Einfluss auf die Verwirklichung der karitativen Zweckbestimmung des Arbeitgebers genommen habe. Grundlage ihrer Tätigkeit als Leitender Vormund seien die gesetzlichen Vorgaben und Verwaltungsvorschriften im Bereich des Vormundschaftsrechts gewesen. Mangels anders lautenden Vortrags könne nicht davon ausgegangen werden, dass ihr ein nennenswerter Gestaltungsspielraum verblieben sei. Personelle Maßnahmen wie Einstellungen oder Entlassungen habe sie nicht vornehmen können. Es sei auch nicht erkennbar, dass sie die anderen Aufgaben wie z.B. die Praxisanleitung und Fachberatung der Mitarbeiter, dienstliche Beurteilung sowie Planung und Umsetzung von Verwaltungsabläufen im Wesentlichen frei von Vorgaben des Arbeitgebers habe erledigen können. Auch der Versetzungsarbeitsplatz gehöre nicht zum Bereich der Tendenzverwirklichung, da die dortigen Aufgaben erheblich eingeschränkt seien und von einer leitenden Tätigkeit nur noch auf dem Papier gesprochen werden könne.

29Gegen diesen ihm am 19. Mai 2010 zugestellten Beschluss richtet sich die am 26. Mai 2010 eingelegte und am 19. Juli 2010 begründete Beschwerde des Arbeitgebers. Er verweist darauf, dass ein Vormund die persönliche und rechtliche Vertretung eines minderjährigen Kindes übernehme, wenn dessen Wohl gefährdet sei. Seine Aufgaben seien mit denen vergleichbar, die normalerweise die Eltern für ihr Kind wahrnähmen. Auch wenn sich der Vormund darum kümmere, dass der Mündel in einer Pflegefamilie oder einer Einrichtung der Jugendhilfe aufgenommen werde, obliege diesem doch weiterhin die erzieherische Verantwortung. Bei der Ausübung dieser Tätigkeit müssten seine damit betrauten Mitarbeiter seine Tendenz berücksichtigen. Da der Vormund letztlich allein dem Kindeswohl verpflichtet sei, könne dieser seine Aufgaben unter Bindung an die gesetzlichen Rahmenbedingungen relativ frei gestalten. Die betroffene Mitarbeiterin sei neben diversen Leitungsaufgaben selbst für bis zu 110 Mündel pro Jahr verantwortlich gewesen. Die vorgenommene Versetzung sei eine tendenzbedingte Maßnahme. Da Personalführung nicht die Stärke dieser Mitarbeiterin sei, würden diese Aufgaben nunmehr vom zweiten Leitenden Vormund übernommen.

30Der Arbeitgeber beantragt,

31den Antrag des Betriebsrats unter Änderung des angefochtenen Beschlusses abzuweisen.

32Der Betriebsrat beantragt,

33die Beschwerde zurückzuweisen.

34Er hegt bereits verfassungsrechtliche Zweifel an der mitbestimmungsrechtlichen Privilegierung von karitativen Einrichtungen, weil diese für ihre Tätigkeit kein Grundrecht in Anspruch nehmen könnten. Zumindest sei allein eine einschränkende Auslegung bei der Frage der Tendenzträgerschaft verfassungskonform.

35Ein Vormund habe zwar die Pflege und Erziehung des Mündels sicherzustellen, diese aber nicht selbst durchzuführen. Man dürfe sich seine Tätigkeit nicht wie die eines Erziehers oder Sozialarbeiters vorstellen, sondern wie eine Verwaltungstätigkeit, die zwar höchst sensible Bereiche betreffe, aber eben doch eine rechtlich durchstrukturierte Aufgabenstellung beinhalte. Auch in ihrer Funktion als Leitender Vormund habe die betroffene Mitarbeiterin in eigener Verantwortung nicht einmal Personalbeurteilungen vorgenommen, sondern lediglich Entwürfe für die Geschäftsleitung erstellt. Weisungsbefugnis gegenüber den einzelnen Vormündern habe nicht bestanden. Vielmehr habe sich die Fachaufsicht durch deren Stellung als besonderer Vertreter i.S.d. § 30 BGB darauf beschränkt, zur Abwendung rechtswidriger Handlungen oder unmittelbar bevorstehender Schäden einzugreifen. Die jetzigen Aufgaben der betroffenen Mitarbeiterin seien lediglich solche einer Sachbearbeiterin. Dementsprechend werde sie bei urlaubs- oder krankheitsbedingter Abwesenheit auch nur noch von einer solchen und nicht von einem Vormund vertreten. Neben der Aufsicht über die Mündelbuchhaltung mit einer Mitarbeiterin sei sie überwiegend mit der Bearbeitung und Führung von Beistandschaften befasst.

36Der Betriebsrat hat in einem nachgelassenen Schriftsatz vom 12. November 2010 auf den Schriftsatz des Arbeitgebers vom 17. September 2010 erwidert.

37Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Beschlusses und die in der Beschwerdeinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

382. Die Beschwerde war zurückzuweisen.

392.1 Dass der Arbeitgeber am 15. November 2010 Insolvenzantrag gestellt hat, stand der Verkündung des Beschlusses nicht entgegen. Gemäß § 240 Satz 1 ZPO wird ein Verfahren erst durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen und dies auch nur, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, was bei einem Streit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über die Aufhebung einer Versetzung nicht einmal mittelbar der Fall ist. Zudem würde durch eine erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung und Ablauf einer Schriftsatzfrist eingetretene Unterbrechung des Verfahrens die Verkündung einer aufgrund dieser Verhandlung zu erlassenden Entscheidung nicht gehindert ( § 249 Abs. 3 ZPO ).

402.2 Die Beschwerde ist zulässig.

41Das Fehlen eines ausdrücklichen Antrags in der Beschwerdebegründung war unschädlich. Zwar muss die Beschwerdebegründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO, § 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG die Erklärung enthalten, inwieweit der erstinstanzliche Beschluss angefochten werde und welche Änderungen beantragt würden. Dies braucht jedoch nicht durch einen förmlichen Antrag zu geschehen. Vielmehr genügt es, wenn sich das Verfahrensziel des Beschwerdeführers aus seiner Beschwerdebegründung unschwer entnehmen lässt, wie dies vorliegend der Fall war.

422.3 Die Beschwerde ist unbegründet.

43Der Arbeitgeber ist gemäß § 101 Satz 1 Alt. 1 BetrVG verpflichtet, die zum 8. September 2009 vollzogene Versetzung der Mitarbeiterin K. aufzuheben.

442.3.1 Dass die Einweisung der betroffenen Mitarbeiterin in eine andere, ebenfalls als Leitender Vormund bezeichnete Stelle aufgrund der erheblichen Änderungen der damit verbundenen Aufgaben eine Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG darstellt, hat das Arbeitsgericht näher dargelegt ( § 69 Abs. 2 ArbGG analog ) und ist vom Arbeitgeber mit der Beschwerde auch nicht in Zweifel gezogen worden.

452.3.2 Die Versetzung ist erfolgt, ohne dass der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eingeholt hat. Dies war nicht gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG entbehrlich, wonach die Vorschriften dieses Gesetzes u.a. auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend karikativen Bestimmungen dienen, keine Anwendung finden, soweit deren Eigenart dem entgegensteht.

462.3.2.1 Die Kammer teilt die Zweifel des Betriebsrats an der Verfassungsmäßigkeit der mitbestimmungsrechtlichen Privilegierung karitativer Einrichtungen nicht. Zudem gäben Zweifel allein noch keinen ausreichenden Grund, § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG einer Normenkontrolle gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG zu unterziehen oder eine solche im Wege verfassungskonformer Auslegung zu vermeiden. Dafür wäre vielmehr die Überzeugung erforderlich, dass in einer karitativen Einrichtung beschäftigte Arbeitnehmer in ihren Freiheitsrechten verletzt oder willkürlich benachteiligt werden.

472.3.2.2 § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG ist tatbestandlich nicht erfüllt.

482.3.2.2.1 Allerdings stand außer Streit, dass der Arbeitgeber ein sog. Tendenzunternehmen führt. Dafür wäre es unerheblich, wenn Vorstandschafts- und Beistandswesen sowie Beratung und Unterstützung bei der Vaterschaftsfeststellung und Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen als solche keine karitativen Tätigkeiten im Sinne eines sozialen Dienstes am körperlich oder seelisch leidenden Menschen ( so BAG, Beschluss vom 22.11.1995 - 7 ABR 12/95 - BAGE 81, 311 = AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 58 zu B II 1 der Gründe ) darstellen sollten, was erst im Rahmen der Nachberatung als problematisch erkannt worden ist und deshalb ohne Wiedereröffnung der Verhandlung gem. § 156 ZPO nicht zur Grundlage der Entscheidung hat gemacht werden können. Bei sog. Mischunternehmen besteht gleichwohl Tendenzschutz, wenn die karitative Bestimmung überwiegt, wofür bei personalintensiven Betätigungen in erster Linie auf den zeitlichen Umfang des Personaleinsatzes abzustellen ist ( BAG, Beschluss vom 15.03.2007 - 7 ABR 24/05 - AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 79 zu B III 3 a der Gründe ). Davon, dass der Arbeitgeber sein Personal insgesamt weit überwiegend zur Verfolgung karitativer Zwecke einsetzt, war angesichts seiner satzungsmäßigen Aufgabenstellung ohne weiteres auszugehen ( vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 10.08.2007 - 13 TaBV 26/07 -zu B II 2 a der Gründe; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.03.1999 - 22 TaBV 1/98 - zu II 2 a der Gründe ).

492.3.2.2.2 Die betroffene Mitarbeiterin konnte schon in ihrer bisherigen Stellung nicht als Tendenzträger angesehen werden, wie das Arbeitsgericht im Einzelnen dargelegt hat ( § 69 Abs. 2 ArbGG analog ).

502.3.2.2.2.1 Soweit der Arbeitgeber darauf verweist, dass die Aufgaben eines Vormundes mit denen vergleichbar seien, die normalerweise die Eltern für ihre Kinder wahrnähmen, entspricht dies durchaus der Rechtslage gem. §§ 1626 Abs. 2, 1793 Abs. 1 BGB. Damit hat der Vormund indessen sein Handeln gerade allein am Wohl des Kindes auszurichten. Zudem hat der Betriebsrat insoweit unwidersprochen vorgebracht, dass dazu zwar gehöre, die Pflege und Erziehung des Mündels sicherzustellen, dass der Vormund diese jedoch nicht selbst durchführe, sondern dies Aufgabe der Pflegeeltern sei. Dafür bedarf es anders als etwa bei einem Psychologen oder einer Lehrkraft in einem Berufsförderungswerk für Behinderte ( dazu BAG, Beschluss vom 08.11.1988 - 1 ABR 17/87 - AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 38 zu B II 2 der Gründe bzw. Beschluss vom 31.01.1995 - 1 ABR 35/94 - AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 56 zu B II 3 b bb der Gründe ) nicht des Herstellens immer neuer Beziehungen im Rahmen informeller Personenkontakte. Dies spricht gegen eine karitative Prägung der Tätigkeit der betroffenen Mitarbeiterin in ihrer Funktion als Vormund und lässt diese Tätigkeit eher als übliche, durch die Beachtung rechtlicher Vorgaben geprägte Verwaltungsaufgabe erscheinen.

512.3.2.2.2.2 Auch in ihrer bisherigen Leitungsfunktion war die betroffene Mitarbeiterin nicht als Tendenzträger anzusehen. Es war nicht erkennbar, welchen inhaltlich gestaltenden Einfluss diese Mitarbeiterin auf die Tätigkeit der ihr unterstellten Vormünder hätte ausüben können. Die in ihrer Stellenbeschreibung genannte allgemeine Dienst- und Fachaufsicht genügt dafür angesichts der rechtlichen Vorgaben für das Tätigwerden der Vormünder nicht. Dass diese Aufsicht über das hinausging, was für Vorgesetzte von Beamten im Rahmen einer Amtsvormundschaft in § 54 Abs. 2 Satz 2 AG KJHG Berlin 9. Mai 1995 i.d.F. vom 27. April 2001 ( GVBl. S. 134 ) geregelt ist, hat der Arbeitgeber nicht dargelegt. Danach sollen Vorgesetzte mit Weisungen nur in solchen Fällen eingreifen, in denen dies zur Abwendung rechtswidrigen Handelns oder unmittelbar bevorstehenden Schadens erforderlich ist. Inwieweit sich aus den übrigen in der Stellenbeschreibung aufgeführten Tätigkeiten ein prägender Einfluss auf eine Tendenzverwirklichung hätte ergeben können, die über eine bloße Mitwirkung hinausging, ist vom Arbeitgeber ebenfalls nicht dargetan worden. Angesichts der großen Zahl eigener Vormundschaften der betroffenen Mitarbeiterin erschien dies auch kaum vorstellbar. Für die Eigenschaft als Tendenzträger müssen tendenzbezogene Aufgaben aber zumindest in nicht völlig unbedeutendem Umfang verrichtet werden ( BAG, Beschluss vom 20.11.1990 - 1 ABR 87/89 - AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 47 zu B IV 4 a der Gründe; Beschluss vom 20.04.2010 - 1 ABR 78/08 - NZA 2010, 902 R 21 ).

522.3.2.2.3 Die Eigenart des Unternehmens des Arbeitgebers stand einer Zustimmungsbedürftigkeit der Versetzung gem. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch deshalb nicht entgegen, weil die neu geschaffene Stelle, auf welche die betroffene Mitarbeiterin versetzt worden ist, ihrerseits keinesfalls die eines Tendenzträgers ist. Dabei konnte für die Beurteilung von der etwas überarbeiteten aktuellen Fassung der Stellenbeschreibung ausgegangen werden, weil damit lediglich der genaue Inhalt der mit dieser Stelle verbundenen Tätigkeit präzisiert worden ist, es sich mithin um die nämliche Stelle handelt.

532.3.2.2.3.1 Die sog. Leitung einer eigenen Beistandsrate lässt erkennen, dass die Mitarbeiterin dabei bloß mit der rechtlichen Abwicklung von Beistandschaften befasst ist, die sich in der Ermittlung von Unterhaltsschuldnern und der Durchsetzung von Forderungen gegen diese erschöpft. Die Leitung der Mündelbuchhaltung mit einer Mitarbeiterin stellt ebenfalls einen tendenzneutralen Beitrag ohne prägenden Einfluss dar.

542.3.2.2.3.2 Soweit nun im Falle der Versetzung eines Tendenzträgers eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass diese im Hinblick auf die Verfolgung der Tendenz geschieht ( BAG, Beschluss vom 01.06.1987 - 1 ABR 22/86 - BAGE 56, 71 = AP BetrVG 1972 § 101 Nr. 10 zu B 2 a bb der Gründe ), kann dies nur gelten, wenn der Tendenzträger weiterhin als solcher beschäftigt werden soll. Anders verhält es sich dagegen, wenn er durch die Versetzung seine Eigenschaft als Tendenzträger verliert ( vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.03.1996 - 22 TaBV 1/98 - zu II 2 b und c der Gründe ). Dann kommt ein Ausschluss des Zustimmungserfordernisses nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur noch in Betracht, wenn diese Versetzung gerade aus tendenzbedingten Gründen vorgenommen werden soll. Dem entspricht es, dass auch im Falle der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Tendenzträgers als Mitglied des Betriebsrats § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG nur eine außerordentliche Kündigung mit dessen Zustimmung zulässt, wenn diese Kündigung aus tendenzbedingten Gründen, etwa wegen Schlechtleistungen, erklärt werden soll, weil dadurch die Freiheit des Tendenzunternehmers zur Tendenzbetätigung und -verwirklichung nicht ernsthaft gefährdet werden kann ( dazu BAG, Beschluss vom 28.08.2003 - 2 ABR 48/02 - BAGE 107, 204 = AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 49 zu B II 2 b cc (1) der Gründe ).

552.3.2.2.3.3 Da der Arbeitgeber die Versetzung der betroffenen Mitarbeiterin damit begründet hat, Personalführung sei nicht deren Stärke, wies diese Maßnahme keinen Tendenzbezug auf. Sie stellte vielmehr eine Reaktion auf einen allgemeinen Leistungsmangel dar ( zu einem ähnlichen Fall BAG, Urteil vom 03.11.1982 - 7 AZR 5/81 - BAGE 40, 296 = AP KSchG 1969 § 15 Nr. 12 zu III 4 der Gründe ).

562.4 Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht, weil im Beschlussverfahren gemäß § 2 Abs. 2 GKG, § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG Kosten nicht erhoben werden ( vgl. BAG, Beschluss vom 30.10.1972 - 1 ABR 7/71 - BAGE 24, 459 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 7 C der Gründe ).

stats