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Arbeitsrecht
05.12.2014
Arbeitsrecht
LAG Köln: Abbruch einer Betriebsratswahl wegen Verkennung des Betriebsbegriffs

Amtliche Leitsätze

1. Der Abbruch einer Betriebsratswahl im Wege der einstweiligen Verfügung kommt nur in Betracht, wenn die Wahl voraussichtlich nichtig ist (Anschluss an BAG vom 27.07.2011, 7 ABR 61/10).

2. Dies gilt umso mehr, wenn die Bedenken gegen die Ordnungsgemäßheit der Wahl damit begründet werden, der Wahlvorstand habe den Betriebsbegriff verkannt bzw. die betriebsratsfähigen Organisationseinheiten fehlerhaft abgegrenzt; denn in § 18 Abs.2 BetrVG sieht der Gesetzgeber gerade für solche Fälle ein besonderes Klärungsverfahren vor.

§§ 18, 19 BetrVG

Sachverhalt

I.                  Der Antragsteller und Beschwerdeführer begehrt den Abbruch der laufenden Betriebsratswahl im Unternehmen der F GmbH.

Wegen des Sach- und Streitstandes wird zunächst auf die Sachverhaltsdarstellung in Abschnitt I. des angegriffenen Beschlusses des Arbeitsgerichts Bonn vom 01.04.2014 verwiesen. Ergänzend wird auf die beim Arbeitsgericht eingereichte Antragsschrift vom 29.03.2014 nebst ihren Anlagen und die vom Antragsgegner und Beschwerdegegner eingereichte Schutzschrift vom 24.03.2014 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 01.04.2014 die Antragsbegehren zurückgewiesen. Wegen der Gründe, die es dazu veranlasst haben, wird auf Abschnitt II. des arbeitsgerichtlichen Beschlusses vom 01.04.2014 Bezug genommen.

Der Beschwerdeführer behauptet und versucht dies durch diverse als Anlage zur Beschwerdeschrift und mit weiterem Schriftsatz vom 07.04.2014 eingereichte Unterlagen zu belegen, dass entgegen der vom Vorsitzenden des Beschwerdegegners abgelegten eidesstattlichen Versicherung ein Austausch der Mitarbeiter der Betriebe der Stadtwerke GmbH einerseits und der F GmbH andererseits sehr wohl stattfinde. Spätestens nach der von der Arbeitgeberseite mitgeteilten Organisationsänderung zum 01.02.2014 werde der Personaleinsatz auch von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert. Bei alledem vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, dass es entgegen der Entscheidung des BAG vom 27.07.2011,7 ABR 61/10 für den Abbruch einer Betriebsratswahl im Wege der einstweiligen Verfügung bereits ausreichen müsse, wenn die abzubrechende Betriebsratswahl offenkundig an Fehlern leide, die sie anfechtbar machten. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt.

Zudem habe das Arbeitsgericht auch nicht berücksichtigt, dass die Mitglieder des Beschwerdegegners sich rechtsmissbräuchlich verhielten, in- dem sie entgegen ihrer Auffassung, dass derzeit ein Gemeinschaftsbetrieb nicht bestehe, gleichwohl bei der vom Beschwerdeführer initiierten Betriebsratswahl des Gemeinschaftsbetriebes eigene Kandidaturen eingereicht hätten.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer beantragt nunmehr,

              den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 1.4.2014, 6 BVGa

           16/14 abzuändern und

              dem Antragsgegner aufzugeben,

1. die auf Grundlage des Wahlausschreibens vom 30.1.2014 eingeleitete Betriebsratswahl abzubrechen und dies im Betrieb der Beteiligten zu 4) bekannt zu machen;

2. für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1 dem Antragsgegner, bezogen auf jeden Tag der Fortsetzung des Wahlverfahrens, ein Ordnungsgeld in Höhe von 10.000,-€, zu vollstrecken am Vorsitzenden des Wahlvorstandes, anzudrohen.

Ergänzend wird auf den vollständigen Inhalt der Beschwerdeschrift vom 06.04.2014 und des weiteren Schriftsatzes vom 07.04.2014 Bezug genommen.

Aus den Gründen

II.               1.              Bei dem vom Antragssteller eingereichten Rechtsmittel gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 01.04.2014 handelt es sich – entgegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung, die das Arbeitsgericht seinem Beschluss beigefügt hat – um eine sofortige Beschwerde im Sinne von §§ 567 Abs. 1 ZPO, 83 Abs. 5, 78 ArbGG (GK-ArbGG/Vossen, § 85, Rdnr. 83; Schwab/Weth-Walker, ArbGG, § 85 Rdnr. 75).  Aufgrund der dringenden Eilbedürftigkeit der Angelegenheit – die Beschwerdeschrift ist am 07.04.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und wurde am Abend dieses Tages durch Schriftsatz vom 07.04.2014 ankündigungsgemäß ergänzt, die Betriebsratswahl, deren Abbruch erreicht werden soll, ist auf den 08.04 und 09.04.2014 terminiert – kam die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht in Betracht. Die Entscheidung über die Beschwerde hat durch den Vorsitzenden der zuständigen Kammer des Landesarbeitsgerichts zu ergehen (§ 78 S. 3 ArbGG und hierzu u. a. GK-ArbGG/Dörner, § 78 Rdnr. 80; GK-ArbGG-Vossen, § 85, Rdnr. 83).

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 01.04.2014 wurde formal ordnungsgemäß eingereicht.

Es kommen zwar rechtliche Bedenken in Betracht, ob der Antragsteller und Beschwerdeführer überhaupt gesetzeskonform als Wahlvorstand für eine gemeinsame Betriebsratswahl der Stadtwerke GmbH und der F GmbH in sein Amt gelangt ist, da dies ohne Beteiligung des gewählten Betriebsrats der F B GmbH erfolgt ist. Diese Frage kann jedoch in Anbetracht des besonderen Charakters des vorliegenden Eilverfahrens im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der eingelegten Beschwerde – und der Zulässigkeit des erstinstanzlich eingereichten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – dahingestellt bleiben, zumal sich die Beantwortung dieser Frage nicht als entscheidungserheblich erweist.

2.                Das Arbeitsgericht Bonn hat nämlich zutreffend erkannt, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung aus materiellrechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Abbruch der Betriebsratswahl bei der F GmbH liegen nicht vor. Daran ändern auch die Ausführen des Beschwerdeführers zur Begründung seiner Beschwerde nichts.

a.                Das Beschwerdegericht schließt sich der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts in dessen grundlegender Entscheidung vom 27.07.2011, 7 ABR 61/10, an, wonach der Abbruch einer Betriebsratswahl im Wege der einstweiligen Verfügung nur dann in Betracht kommt, wenn die Wahl voraussichtlich nichtig ist (ebenso: Thüringer Landesarbeitsgericht vom 06.02.2012, 1 TaBVGa 1/12; LAG Schleswig-Holstein vom 05.04.2012,4 TaBVGa 1/12; LAG Hamm vom 06.09.2013, 7 TaBVGa 7/13; LAG Düsseldorf vom 13.03.2013, 9 TaBVGa 5/13). Die Nichtigkeit einer Wahl ist nur zu besorgen, wenn in einem so hohen Maße gegen allgemeine Grundsätze der ordnungsgemäßen Wahldurchführung verstoßen wurde, dass nicht einmal mehr der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Betriebsratswahl besteht. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften für die Durchführung einer Betriebsratswahl handeln. Letztlich handelt es sich bei der Nichtigkeit um einen „ungewöhnlichen Ausnahmefall“ (BAG a.a.O.). Einen solchen nimmt hier, soweit ersichtlich, nicht einmal der Beschwerdeführer an.

b.                Die Kritik, die der Beschwerdeführer insbesondere erstinstanzlich an der Rechtsprechung des BAG geübt hat, teilt die Beschwerdekammer nicht. Das BAG hat sich in seiner Begründung keineswegs auf den Gesichtspunkt beschränkt, dass betriebsratslose Zeiten unbedingt zu vermeiden seien. Es hat vielmehr unter anderem auch darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber für „normale“ Fehler und Verstöße gegen Wahlvorschriften exklusiv das Rechtsinstitut der Wahlanfechtung vorgesehen hat. Dieses vom Gesetzgeber vorgegebene, grundsätzlich in sich abgeschlossene System der Reaktion auf Wahlverstöße darf nur in solchen Ausnahmefällen durchbrochen werden, in denen dies zur Wahrung elementarer Grundsätze des Demokratieprinzips unumgänglich ist. Dies ist nur der Fall, wenn aufgrund offensichtlich zutage tretender Umstände die Nichtigkeit der Wahl zu besorgen ist.

c.                Dies gilt umso mehr, wenn die Bedenken gegen die Ordnungsgemäßheit der Wahl damit begründet werden, dass der oder die zuständigen Wahlvorstände den Betriebsbegriff verkannt und die Abgrenzung betriebsratsfähiger Organisationseinheiten möglicherweise unzutreffend vorgenommen haben. Gerade für diesen speziellen Fall hat der Gesetzgeber nämlich in § 18 Abs. 2 BetrVG ein besonderes Verfahren der Klärung vor dem Arbeitsgericht eingeführt. Die Durchführung des Verfahrens nach§ 18 Abs. 2 BetrVG nimmt zwar regelmäßig mehr Zeit in Anspruch als ein Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes, führt dafür aber auch zu zuverlässigeren und bestandfähigeren Aussagen. Aufgrund der Existenz des Verfahrens nach § 18 Abs. 2 BetrVG sind somit an die Möglichkeit, eine Betriebsratswahl wegen Verkennung des Betriebsbegriffs im Wege der einstweiligen Verführung unterbinden zu lassen, erst recht Anforderungen zu stellen, wie sie das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 27.07.2011 allgemein für richtig hält.

d.                Anders liegen die Dinge möglicherweise dann, wenn ein sich abzeichnender Fehler bei der Durchführung der Wahl noch korrigiert werden könnte, ohne dass die laufende Wahl abgebrochen werden müsste. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

e.              In seiner Entscheidung vom 27.07.2011 hat das BAG die in der zweitinstanzlichen Rechtsprechung weit verbreitete Auffassung ausdrücklich verworfen, wonach der Abbruch einer Betriebsratswahl bereits dann in Betracht kommt, wenn die ‚sichere Anfechtbarkeit‘ der Wahl zu erwarten ist. Selbst wenn man jedoch dieser Auffassung folgte,  könnte die Beschwerde keinen Erfolg haben; denn auch nach dieser Auffassung darf an der voraussichtlichen Anfechtbarkeit der Wahl aufgrund der erkennbaren Umstände kein vernünftiger Zweifel bestehen. Dies ist vorliegend nicht zu bejahen.

aa.              Zunächst ist festzuhalten, dass der vom Beschwerdeführer erstinstanzlich in Bezug genommene Zuordnungstarifvertrag, der die Wahl eines gemeinsamen Betriebsrates in den Unternehmen der Beteiligten zu 3 ) und 4 ) vorsieht, bislang – unstreitig – nicht zustande gekommen ist. Der Beschwerdeführer hat erstinstanzlich selbst eingeräumt, dass über die endgültige Formulierung dieses Tarifvertrages noch keine abschließende Einigkeit besteht. Der bloße Tarifvertragsentwurf vermag aber noch keinerlei Rechtsfolgen zu zeitigen.

bb.              Im Weiteren hat der Beschwerdeführer zwar einzelne Indizien dafür angeführt, dass zumindest seit der Mitteilung der Organisationsänderung zum 01.02.2014 auch in tatsächlicher Hinsicht bereits die Schwelle von einer engen unternehmerischen Zusammenarbeit zur Führung eines Gemeinschaftsbetriebes überschritten worden sein könnte. Wie jedoch die gegensätzlichen eidesstattlichen Versicherungen zeigen, erscheint dies bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht eindeutig. Dies ergibt sich mit der notwendigen Deutlichkeit auch nicht aus den vom Beschwerdeführer zweitinstanzlich eingereichten Unterlagen. Diese lassen zwar darauf schließen, dass mit einer gewissen Regelmäßigkeit in geringerem Umfang Mitarbeiter der Beteiligten zu 3) F der Beteiligten zu 4) übernehmen und umgekehrt. Nicht erkennbar ist jedoch nach wie vor der Gesamtzuschnitt der jeweiligen Tätigkeitsbereiche der Beteiligten zu 3) und 4). Zudem deuten die erst- wie zweitinstanzlich eingereichten Unterlagen ebenfalls darauf hin, dass grundsätzlich jedenfalls getrennte Dienstpläne existieren.

f.              Das Beschwerdegericht kann somit zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar nicht ausschließen, dass sich die Betriebsorganisation bei den Beteiligten zu 3) und 4) mittlerweile so weiterentwickelt hat, dass die Schwelle zu einem Gemeinschaftsbetrieb bereits überschritten sein könnte. Ein entsprechender Tatbestand ist jedoch derzeit weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht mit der für den Abbruch einer Betriebsratswahl nötigen Klarheit und Intensität erkennbar, auch nicht dann, wenn man der vom BAG verworfenen Meinung folgte, dass eine „sichere Anfechtbarkeit“ genügt.

g.              Schließlich beruft sich der Beschwerdeführer zu Unrecht darauf, dass sich die Mitglieder des Antragsgegners rechtsmissbräuchlich verhielten, indem sie in eigener Person bei der vom Beschwerdeführer initiierten Gemeinschaftswahl Wahlvorschläge eingereicht haben. Die Mitglieder des Antragsgegners mussten zur Kenntnis nehmen, dass der Antragsteller/Beschwerdeführer aus eigener Initiative dazu übergegangen ist, eine den Zuständigkeitsbereich des bisherigen Betriebsrats der Beteiligten zu 4) mit umfassende Gemeinschaftswahl durchzuführen. Sie mussten sich darauf einstellen, dass auch eine solche Gemeinschaftswahl aus vergleichbaren Gründen wie im umgekehrten Falle lediglich anfechtbar sein könnte. Wenn die Mitglieder des Antragsgegners sich vor diesem Hintergrund durch eine eigene Kandidatur bei der Gemeinschaftswahl im Rahmen eines etwaigen dann zustande kommenden Gemeinschaftsbetriebsrates Einfluss sichern wollten, stellt dies eine legitime Wahrung eigener Interessen dar. Ein entscheidungserheblicher Rechtsmissbrauch ist darin für das Beschwerdegericht nicht erkennbar.

h.               Aus den genannten Gründen konnte die Beschwerde keinen Erfolg haben.

III.             Gegen die vorliegende Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel gesetzlich nicht vorgesehen, § 92 Abs.1 S.3 ArbGG.

 

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