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Arbeitsrecht
22.01.2016
Arbeitsrecht
BAG: Außerordentliche Kündigung - unerlaubte Herstellung digitaler Kopien am Arbeitsplatz - Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess - eigene Ermittlungen des Arbeitgebers - Beginn der Zwei-Wochen-Frist - Beteiligung des Personalrats

Das BAG hat mit Urteil vom 16.7.2015 - 2 AZR 85/15 – wie folgt entschieden:

1. Ein Arbeitnehmer, der dienstliche Computer ohne Erlaubnis dazu benutzt, unter Umgehung eines Kopierschutzes Vervielfältigungen privat beschaffter Musik- oder Film-CDs/DVDs herzustellen, verletzt seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme erheblich. Ein solches Verhalten ist - zumal dann, wenn der Arbeitnehmer für die Anfertigung der Kopien dem Arbeitgeber gehörende CD/DVD-Rohlinge verwendet - grundsätzlich geeignet, eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Das gilt unabhängig von einer möglichen Strafbarkeit der damit verbundenen „Brenn“- und Kopiervorgänge.

2. Die Rechtfertigung einer Kündigung wegen einer tatsächlichen Pflichtverletzung („Tatkündigung“) hängt allein davon ab, ob im Kündigungszeitpunkt objektiv Tatsachen vorlagen, die zu der Annahme berechtigen, dem Kündigenden sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses - im Fall der außerordentlichen Kündigung auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - unzumutbar. Eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts liegt bei der „Tatkündigung“ im eigenen Interesse des Arbeitgebers. Unterlässt er sie, trägt er im Prozess das Risiko, die (schuldhafte) Pflichtverletzung nicht nachweisen zu können.

3. Die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess ist abgestuft, soweit es um Gründe geht, die das Verhalten des Arbeitnehmers entlasten oder entschuldigen könnten. Der Arbeitgeber darf sich zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung vorzutragen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund ausschließen. Vielmehr ist es Sache des Arbeitnehmers, für das Eingreifen solcher Umstände zumindest greifbare Anhaltspunkte aufzuzeigen. Der Arbeitgeber muss erst bei substantiierter Einlassung des Arbeitnehmers beweisen, dass dessen Behauptungen nicht zutreffen. Das gilt erst recht, wenn der Arbeitgeber außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einem solchen Fall kann schon auf der Ebene des objektiven Kündigungstatbestands eine sekundäre Darlegungslast des Arbeitnehmers eingreifen.

4. Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der seine arbeitsvertraglichen Pflichten in gemeinschaftlichem Zusammenwirken mit einem Beamten verletzt hat, ist nicht deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber nicht zugleich die Entlassung des Beamten aus dem Dienst betreibt oder doch andere disziplinarische Maßnahmen diesem gegenüber ergreift. Für eine (analoge) Heranziehung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist insoweit kein Raum. Selbst im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander scheidet dessen Anwendung bei verhaltensbedingten Kündigungen grundsätzlich aus.

5. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers hat, kann grundsätzlich den Fortgang eines laufenden Straf- und/oder Ermittlungsverfahrens abwarten. Kündigt er in einem solchen Fall zu einem nicht willkürlich gewählten späteren Zeitpunkt, reicht dies zur Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB regelmäßig aus. Diese Möglichkeit des Zuwartens schränkt den Arbeitgeber in der Wahl seiner Mittel zur Sachaufklärung nicht ein. Es steht ihm frei, eigene Ermittlungen anzustellen und die Strafverfolgungsbehörden nicht oder nicht unmittelbar einzuschalten. Auch „private“ Ermittlungen hemmen - zügig vorangetrieben - den Lauf der Zwei-Wochen-Frist.

6. Der Arbeitgeber kann vor Erklärung der Kündigung seine Informationen gegenüber dem Betriebs/Personalrat jederzeit ergänzen. Die Beurteilung, ob darin eine eigenständige Anhörung liegt, mit der die Äußerungsfrist für den Betriebs- oder Personalrat neu in Lauf gesetzt wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

BGB § 626 Abs. 1 und Abs. 2; BPersVG § 108 Abs. 2; PersVG LSA § 67 Abs. 2; ArbGG § 72 Abs. 5; ZPO § 138 Abs. 1 bis Abs. 3, § 286 Abs. 1, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2; PersBef-AV Teil 1 Ziff. 2 Satz 1 Buchst. a, Teil 3 Ziff. 12.3 Satz 1

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