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BB 2024, I
Probst 

Sustainable Corporate Governance ohne “Government”? Der (Kapital-)Markt schafft auch das!

Abbildung 1

Die Umsetzung der CSRD/ESRS ist in den zuerst betroffenen Unternehmen bereits in vollem Gange und herausfordernd – das fällt nun auch der Politik auf, zu spät.

Es ist schon bemerkenswert: Etwa 500 deutsche börsennotierte Gesellschaften, nämlich die, die bisher schon nach §§ 289b ff. HGB verpflichtet waren, eine nichtfinanzielle Erklärung abzugeben, sind in diesem Jahr sehr intensiv – und auch tief im Maschinenraum – damit beschäftigt, die Anforderungen der Corporate Social Responsibility Directive (CSRD, RL [EU] 2022/2464, ABlEU vom 16.12.2022, L 322, 15) zur neuen Nachhaltigkeitsberichterstattung für die Berichterstattung über das Geschäftsjahr 2024 zu erfüllen, auf Basis der detaillierten Anforderungen der European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Allein: Es gibt noch immer kein deutsches Umsetzungsgesetz zur CSRD. Aber wozu auch? Umsetzung war eben schon immer eher Unternehmensstärke, nicht zwingend auch Regierungsmerkmal. Also setzten die betroffenen Unternehmen die ESRS einfach schon mal um. Das mussten sie auch, denn sonst könnten sie Anfang 2025 nicht nach den neuen Standards berichten.

Nach der CSRD hätte die nationale Umsetzung bis zum 6.7.2024 erfolgen müssen. Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der CSRD wurde am 22.3.2024 veröffentlicht (s. dazu Wünnemann, BB 15/2024, Die Erste Seite), der Regierungsentwurf – immerhin – am 24.7.2024 (s. dazu Lanfermann/Kutter/Liepe, BB 2024, 2155 ff.). Seitdem ist man im parlamentarischen Verfahren. Und das ist – wie wir seit dem 6.11.2024, dem Tag, an dem sich das politische Berlin mit dem Ausgang der US-Präsidentenwahl als Ereignis nicht zufriedengab, sondern für weitere “Highlights” bzw. Tiefpunkte sorgte – aktuell sehr schwierig geworden. Ist noch mit einer Umsetzung in diesem Jahr zu rechnen? Who knows? Und da sind wir dann bei der zweiten Stärke von Unternehmen, die sich täglich in herausfordernder, volatiler Geoökonomik bewegen müssen: der Umgang mit Unsicherheit.

Mit rechtlicher Unsicherheit sind die betroffenen deutschen Unternehmen im CSRD-Kontext schon einmal konfrontiert worden in diesem Jahr: Die geschilderte Zeitleiste führte nämlich dazu, dass die für 2024 bereits betroffenen Unternehmen verunsichert waren, wie in den Hauptversammlungs- (HV-)Beschlüssen im Frühjahr 2024 mit der Bestellung der Prüfer für die neue Nachhaltigkeitsberichterstattung zu verfahren sei. Wird die Prüfung eine Vorbehaltsaufgabe des Wirtschaftsprüfers sein (nach CSRD national auch anders gestaltbar)? Hat die HV die Kompetenz zur Bestellung eines Wirtschaftsprüfers dafür? Wird es eine gesetzliche Übergangslösung für 2024 geben? – Es gab eine, aber nicht mehr rechtzeitig genug für viele HV. Die Praxis der HV-Beschlüsse dazu sah dann auch entsprechend vielfältig aus. Im Regierungsentwurf vom 24.7.2024 ist nun beides geregelt: Es soll eine Vorbehaltsaufgabe für Wirtschaftsprüfer werden, im Übergang gilt grundsätzlich der bestellte Abschlussprüfer als Prüfer der Nachhaltigkeitsberichterstattung – wenn es denn so kommt! Mit Verlaub: Nicht nur die Unternehmen, auch die Wirtschaftsprüfer stellen sich derzeit auf diese Kapazitäten ein – auch unter Unsicherheit.

Was ist also mit dem parlamentarischen Verfahren? Nach erster Lesung im Bundestag Ende September 2024 wurde der Regierungsentwurf an den federführenden Rechtsausschuss geleitet. Kurz darauf folgte der erste Durchgang im Bundesrat, der eine Stellungnahme beschlossen hat, in der insbesondere die erhebliche Mehrbelastung für Unternehmen bemängelt wird. Zwischenzeitlich leitete die Europäische Kommission am 26.9.2024 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein, weil Deutschland die CSRD nicht fristgerecht in nationales Recht umgesetzt hat. Die Bundesregierung hat am 9.10.2024 – dann doch schon – geäußert, dass sie sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen will, dass die umfangreichen Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung reduziert werden. Am 16.10.2024 hat sich der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages mit dem CSRD-Umsetzungsgesetz befasst; Vertreter aus Unternehmensverbänden, Wirtschaft und Gewerkschaften forderten in der öffentlichen Anhörung Nachbesserungen am Gesetzentwurf – dies alles bei einer EU-Directive, die bereits Ende 2022 beschlossen wurde.

Was macht die Unternehmenspraxis? Seit zwei Jahren ist das Thema in der konkreten “CSRD/ESRS-Ausprägung” (nach dem Vorlauf mit eher allgemeiner Environmental, Social and Governance-[ESG-]Diskussion) auf der Agenda jedenfalls der Vorstände und Aufsichtsräte der bereits für 2024 berichtspflichtigen Unternehmen und wird mit zunehmender Detailtiefe in allen wichtigen Fachzirkeln diskutiert. Die wesentlichen Share- und Stakeholdergruppen fordern von “those charged with governance” seit geraumer Zeit – auch öffentlich in den HV – eine hohe Transparenz bezüglich des Umgangs mit der Nachhaltigkeitstransformation ein, auch ohne geänderte Berichterstattung: Was bedeutet die Transformation für das Geschäftsmodell in Bezug auf Chancen und Risiken? Wie ist das Unternehmen fachlich bei Nachhaltigkeitsthemen aufgestellt? Wie sieht auch im Aufsichtsrat das Kompetenzprofil in Bezug auf Nachhaltigkeit aus? Wie ist die Einbindung der Nachhaltigkeitsziele in die Vorstandsvergütung vorgesehen? Im Maschinenraum der Unternehmen selbst arbeitet man intensiv in Projektgruppen “an den ESRS entlang”: Wesentlichkeitsanalyse, Ableitung von Impacts, Risiken und Chancen, Ableitung der relevanten Datenpunkte, Umsetzung in ein internes Kontrollsystem, Etablierung von Prozessen und Kontrollen, Vorgabe strategischer Ziele, Überlegungen zur Vergütungsstruktur etc., alles auch möglichst prüfsicher umgesetzt. Den Beteiligten wird schnell klar: Es geht nicht (nur) um Berichterstattung, sondern um (messbare) Änderung unternehmerischen Verhaltens – das ist klar, schon seit dem Green Deal der EU von 2020.

Fazit: Gute Corporate Governance antizipiert Entwicklungen am (Kapital-) Markt und agiert vorausschauend auf Global Trends, denen man sich ohnehin nicht entziehen kann. Der Pacemaker ist der Markt – offenbar sind sogar seine Kräfte “for the good” kraftvoller als die der Politik. Nach vier Jahren Green Deal und zwei Jahren CSRD/ESRS jetzt ggf. diskussionswürdige Änderungen auf europäischer Ebene zu fordern ist – leider – zu spät, jedenfalls für die zuerst betroffenen Unternehmen.

Prof. Dr. Arno Probst, WP/StB, leitet als Partner bei der Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft das Deloitte Board Program und das Center for Corporate Governance in Deutschland. Seit 2024 ist er zudem als Global Boardroom Program Lead auch für die globale Koordination der Boardroom-Aktivitäten bei Deloitte zuständig. Er ist Honorarprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg. Der Beitrag stellt seine persönliche Meinung dar.

 
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