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Wirtschaftsrecht
07.12.2017
Wirtschaftsrecht
OLG Karlsruhe: Voraussetzungen und Höhe des Handelsvertreterausgleichs

OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.7.2017 – 9 U 9/15

BBL2017-2946-5

Amtliche Leitsätze

1. Weigert sich der Unternehmer grundlos, dem Handelsvertreter einen Buchauszug zu erteilen, kommt ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung des Vertrages durch den Handelsvertreter in Betracht.

2. Für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs gemäß § 89 b Abs. 1 BGB sind nur die vom Handelsvertreter geworbenen Kunden zu berücksichtigen. Fällt das erste Geschäft des Unternehmers mit einem bestimmten Kunden in die Vertragszeit des Handelsvertreters, spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Tätigkeit des Handelsvertreters für die Werbung dieses Kunden mitursächlich war.

3. Für einen Billigkeitsabschlag (§ 89 b Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 HGB) können zum einen die Sogwirkung einer Marke und zum anderen Umsatzverluste des Unternehmers durch eine Konkurrenztätigkeit des Handelsvertreters nach Ende des Vertrages eine Rolle spielen.

§ 89 b HGB

Sachverhalt

I.

Die Klägerin ist Handelsvertreterin für Industrieprodukte. Die Beklagte stellt elektronische Komponenten für Nachrichten- und Satellitentechnik her. Die Klägerin macht Ansprüche aus einem Handelsvertretervertrag geltend.

Am 01.04.1993 schlossen W. K. und die S. GmbH einen Handelsvertretervertrag (Anlage K 1). Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin von W. K.; die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der S. GmbH.

Gemäß § 2 Absatz 1 des Vertrages wurde der Handelsvertreter zum „Bezirksvertreter“ für ein bestimmtes Gebiet in Norddeutschland bestellt, welches durch die entsprechenden Postleitzahlen konkretisiert wurde. Für die Provisionsansprüche des Handelsvertreters war in § 6 Absatz 1 Folgendes geregelt:

Der HV hat Anspruch auf Provision für alle während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte, die auf seine Vermittlungstätigkeit mit den in seinem Vertretungsgebiet ihm zugeteilten dort ansässigen Kunden zustande gekommen sind. Der Provisionsanspruch besteht auch für von S. direkt ohne Mitwirkung des Handelsvertreters mit Kunden in seinem Vertretungsgebiet abgeschlossenen Geschäfte; ausgenommen hiervon sind jedoch solche mit OEM-Kunden.

Als im Vertretungsgebiet ansässig gelten diejenigen Kunden, die dort ihren gewerblichen Sitz oder Filialen haben, welche die Bestellung unmittelbar gegenüber S. vornehmen oder an die bei Bestellung über eine zentrale Stelle die Auslieferung der Ware durch S. zumindest direkt an die Filiale erfolgt.

Die Provisionszahlungspflicht besteht auch für mit Dritten - ausgenommen OEM-Kunden - abgeschlossene Geschäfte, die der HV als Kunden für Geschäfte der gleichen Art geworben hat. Gleiches gilt für von S. direkt gewonnene Kunden - außer OEM-Kunden -.

Die „OEM-Kunden“ hatten die Parteien in § 2 Absatz 2 des Vertrages wie folgt definiert:

Unter diesen Kunden werden solche verstanden, die Produkte von S. zwar beziehen, die sie jedoch unter eigener Firma und/oder eigener Produktbezeichnung vertreiben oder installieren.

Als Vertragsbeginn war der 01.04.1993 vorgesehen. Nach einer Vertragsdauer von fünf Jahren sollte die ordentliche Kündigungsfrist sechs Monate für den Schluss eines Kalendermonats betragen. Die Provision sollte 8 Prozent betragen; für einzelne Produkte wurde später eine Herabsetzung auf 5 Prozent vereinbart. Wegen der weiteren Einzelheiten der Vereinbarungen wird auf die Anlage K 1 verwiesen.

Im Laufe des Jahres 2008 ergaben sich in der Zusammenarbeit zwischen den Parteien Meinungsverschiedenheiten. Mit drei verschiedenen Anwaltsschreiben, jeweils vom 09.07.2008, rügte die Beklagte gegenüber der Klägerin verschiedene Pflichtverletzungen (Anlagen K 2, K 3, K 4). U. a. seien die monatlichen Besuchsberichte der Klägerin aus ihrer Tätigkeit als Handelsvertreterin für die Monate März, April und Mai 2008 inhaltlich unzureichend. Mit Anwaltsschreiben vom 01.08.2008 (Anlage K 5) trat die Klägerin den Vorwürfen der Beklagten entgegen. In einem weiteren Anwaltsschreiben vom 07.08.2008 (Anlage K 7) rügte die Klägerin mehrere nach ihrer Auffassung unzutreffende Provisionsabrechnungen und forderte die Beklagte zur Erstellung eines Buchauszugs auf „über die während der Vertragslaufzeit … getätigten Geschäfte“. Mit Schreiben vom 18.08.2008 (Anlage K 9) erbat die Beklagte eine Fristverlängerung bis zum 31.10.2008. In einem Anwaltsschreiben vom 31.10.2008 (Anlage K 10) erklärte die Beklagte, sie sei zu dem Ergebnis gekommen, der Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Buchauszugs sei bereits durch die in der Vergangenheit erteilten Provisionsabrechnungen erfüllt worden.

Mit Schreiben vom 07.11.2008 (Anlage K 11) erklärte die Klägerin, der Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs sei nach ihrer Auffassung nicht erfüllt. Sie setzte eine Nachfrist bis zum 14.11.2008. In einem weiteren Schreiben vom 14.11.2008 (Anlage K 12) blieb die Beklagte bei ihrer Weigerung. Daraufhin erklärte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 18.11.2008 (Anlage K 14) die „außerordentliche und fristlose Kündigung“ des Handelsvertretervertrages. In einem Schreiben vom 05.12.2008 erklärte die Beklagte ihrerseits eine außerordentliche und fristlose Kündigung. Die Klägerin ist seit ihrer Kündigung vom 18.11.2008 nicht mehr für die Beklagte tätig.

Im Verfahren vor dem Landgericht hat die Klägerin von der Beklagten im Wege der Stufenklage die Erteilung eines Buchauszugs verlangt, sowie - zunächst unbeziffert - Zahlung restlicher Provisionen, eines Handelsvertreterausgleichs und Schadensersatz. Mit Teilurteil vom 22.04.2010 hat das Landgericht die Beklagte zur Erteilung eines Buchauszugs für einen bestimmten Zeitraum verurteilt. Nach beiderseitigen Rechtsmitteln hat der Senat mit Urteil vom 24.06.2011 dieses Urteil dahingehend abgeändert, dass der Buchauszug für die Zeit vom 01.12.2003 bis zum 18.11.2008 zur erstellen war.

Mit Schriftsatz vom 14.12.2011 hat die Klägerin im Verfahren vor dem Landgericht ihre Zahlungsanträge für Provisionsansprüche, Handelsvertreterausgleich und Schadensersatz beziffert. Sie sei am 18.11.2008 aus verschiedenen Gründen zur fristlosen Kündigung berechtigt gewesen. Die Beklagte habe gegenüber der Klägerin über viele Jahre das Weiterbestehen einer Geschäftsbeziehung zu einem von der Klägerin geworbenen Großkunden (SV.) verschwiegen. Nach der berechtigten fristlosen Kündigung habe die Beklagte den Provisionsausfall der Klägerin für ein halbes Jahr als Schadensersatz auszugleichen. Die Klägerin hat Provisionen in Höhe von 141.815,63 €, Handelsvertreterausgleich in Höhe von 227.198,60 € und Schadensersatz in Höhe von 95.461,60 €, jeweils nebst Zinsen, verlangt.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Für Geschäfte mit der Großkundin SV. habe die Klägerin keinen Anspruch auf Provision, da diese Kundin nicht von der Klägerin betreut worden sei. Daher sei der Geschäftsführer der Klägerin damit einverstanden gewesen, dass er keine Provisionen für Geschäfte mit dieser Kundin erhalte. Zu einer Kündigung des Handelsvertretervertrages sei die Klägerin nicht berechtigt gewesen; denn nicht die Beklagte, sondern die Klägerin habe Pflichten aus dem Vertrag verletzt. Daher bestehe weder ein Anspruch auf Handelsvertreterausgleich noch ein Schadensersatzanspruch.

Mit Urteil vom 18.10.2013 hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung in Höhe von 120.598,39 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 27.02.2009 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Für Geschäfte mit verschiedenen Kunden in der Zeit von November 2003 bis November 2008 stehe der Klägerin ein restlicher Provisionsanspruch in der zuerkannten Höhe zu. In dem Betrag seien insbesondere Provisionen für Geschäfte mit der Kundin SV. in Höhe von insgesamt 102.342,68 € enthalten; die Voraussetzungen für einen Provisionsanspruch gemäß § 6 Absatz 1 des Handelsvertretervertrages seien gegeben, da die Kundin im Vertretungsgebiet der Klägerin ansässig sei. Die Klägerin habe zwar gewusst, dass sie über einen Zeitraum von vielen Jahren keine Provisionen für SV.-Geschäfte erhalten habe. Aus der durchgeführten Beweisaufnahme habe sich jedoch nicht ergeben, dass die Klägerin dieser Verfahrensweise der Beklagten zugestimmt habe, beziehungsweise, dass sie auf Provisionen verzichtet habe. Provisionsansprüche für SV.-Geschäfte seien auch nicht verwirkt. Denn die Beklagte habe keineswegs darauf vertraut, dass keine Provisionen mehr zu zahlen seien. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Klägerin ihre Mitarbeiter, die Zeugen Sm. und So. angewiesen habe, den Geschäftsführer der Klägerin bei Rückfragen wegen möglicher Geschäfte mit SV. zu belügen.

Wegen der Ansprüche auf Handelsvertreterausgleich und Schadensersatz hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Ansprüche seien nicht gegeben, weil die Klägerin nicht zur Kündigung des Handelsvertretervertrages berechtigt gewesen sei. Auf die langjährige Nichtzahlung von Provisionen für SV.-Geschäfte habe die Klägerin eine Kündigung nicht stützen können. Denn es sei davon auszugehen, dass die Pflichtverletzung der Beklagten der Klägerin schon viele Jahre vor der Kündigung nicht verborgen geblieben sei. Wenn die Klägerin die Abrechnungspraxis der Beklagten lange hingenommen habe, dann habe sie damit gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass eine Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses für sie nicht unzumutbar geworden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie ist zum einen der Auffassung, das Landgericht habe zu Unrecht weitere ausstehende Provisionen nicht berücksichtigt, welche die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung konkretisiert. Entgegen der Auffassung des Landgerichts stehe ihr auch ein Anspruch auf Handelsvertreterausgleich und auf Schadensersatz zu. Denn die fristlose Kündigung vom 18.11.2008 sei berechtigt gewesen. Die Klägerin habe keineswegs schon längere Zeit gewusst, dass SV.-Geschäfte nicht verprovisioniert wurden. Außerdem habe das Landgericht die bereits erstinstanzlich vorgebrachten Kündigungsgründe unzureichend gewürdigt.

Die Klägerin beantragt:

1.            Die Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Konstanz vom 18.10.2013, Az.: 8 O 9/09 KfH, verurteilt, an die Klägerin einen Ausgleichsanspruch in Höhe von € 227.198,60 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2008 sowie 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

2.            Die Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Konstanz vom 18.10.2013, Az: 8 O 9/09 KfH, verurteilt, an die Klägerin Provisionen in Höhe von weiteren € 21.217,24, mithin inklusive der erstinstanzlich zugesprochenen Provisionen insgesamt € 141.815,63 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

3.            Die Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Konstanz vom 18.10.2013, Az.: 8 O 9/09 KfH, verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von € 95.461,60 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

                die Berufung zurückzuweisen.

Außerdem beantragt die Beklagte im Wege der Anschlussberufung,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Konstanz vom 18.10.2013, Az.: 8 O 9/09 KfH, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil, soweit die Klage wegen Handelsvertreterausgleich und Schadensersatz abgewiesen wurde. Sie ergänzt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen zur Unwirksamkeit der Kündigung des Vertrages durch die Klägerin. Auf die Nichterteilung des Buchauszugs könne die Klägerin die Kündigung nicht stützen. Der Geschäftsführer der Beklagten, der seine Tätigkeit erst im April 2008 aufgenommen habe, sei im Herbst 2008 davon ausgegangen, dass die Abrechnungspraxis der Beklagten in Ordnung gewesen sei, und daher keine Verpflichtung bestehe, einen Buchauszug zu erteilen. Wenn man - entgegen der Auffassung der Beklagten - eine Pflichtverletzung annehme, sei die Verweigerung des Buchauszugs keineswegs derart schwerwiegend, dass sie eine fristloste Kündigung der Klägerin rechtfertigen könne. Fürsorglich erhebt die Beklagte Einwendungen zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche auf Handelsvertreterausgleich und Schadensersatz.

Die Anschlussberufung müsse zur vollständigen Abweisung der Klage führen, da es keine rückständigen Provisionsansprüche gebe. Für SV.-Geschäfte werde keine Provision geschuldet, da die Parteien eine Nichtverprovisionierung vereinbart hätten. Die entgegenstehende Beweiswürdigung des Landgerichts sei fehlerhaft. Hilfsweise sei von einem konkludenten Verzicht der Klägerin auf SV.-Provisionen auszugehen. Auch für den Kunden Cr. seien die Voraussetzungen für einen Provisionsanspruch nicht gegeben, da die Lieferungen für diese Kunden ins Ausland gegangen seien. Schließlich seien vom Landgericht mehrere nachträgliche Provisions-Herabsetzungen bei den Berechnungen nicht berücksichtigt worden.

Die Klägerin beantragt,

                die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

Soweit das Landgericht Provisionen zuerkannt hat, verteidigt die Klägerin das Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat im Termin vom 18.09.2017 die Zeugen Jürgen Ho. und F. S. vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 18.05.2017 verwiesen. Auf eine Vernehmung der Zeugin E. S. und Sm. haben die Parteien durch Erklärung im Senatstermin verzichtet.

Aus den Gründen

II.

Die Berufung der Klägerin hat überwiegend Erfolg. Die Anschlussberufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

1.         Der Klägerin stehen über die vom Landgericht zuerkannten Beträge hinaus weitere Provisionen zu für Geschäfte mit den beiden Kunden unter dem Namen „Hi.“. Die weiteren, vom Landgericht nicht berücksichtigten, Provisionen betragen insgesamt 8.353,48 Euro. Die von der Beklagten geschuldeten Provisionen erhöhen sich daher auf 128.951,87 Euro. ……. (wird ausgeführt)

2.         Die weitergehenden Beanstandungen der Klägerin gegen die Provisionsabrechnungen des Landgerichts haben keinen Erfolg. …… (wird ausgeführt)

3. Die Anschlussberufung der Beklagten, die sich gegen die vom Landgericht zuerkannten Provisionen richtet, hat keinen Erfolg. Soweit das Landgericht der Klägerin Provisionsansprüche zuerkannt hat, ist dies nicht zu beanstanden. …..(wird ausgeführt)

4. Die Klägerin hat gegen die Beklagte gemäß § 89 b HGB (in der bis zum 04.08.2009 gültigen Fassung) einen Anspruch auf Zahlung eines Handelsvertreterausgleichs in Höhe von 226.267,03 €.

a)         Der Anspruch ist nicht gemäß § 89 b Absatz 3 Ziffer 1 HGB a. F. ausgeschlossen. Denn die Klägerin war - entgegen der Auffassung des Landgerichts - zur fristlosen Kündigung des Handelsvertretervertrages mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 18.11.2008 berechtigt. Die fristlose Kündigung wurde verursacht durch schuldhafte Pflichtverletzungen der Beklagten.

aa)       Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung liegt vor, wenn dem Handelsvertreter ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zuzumuten ist und wenn es ihm außerdem nicht zuzumuten ist, die Kündigungsfrist einzuhalten. Dabei kommt es darauf an, ob objektive Tatsachen vorliegen, die aus der Sicht des Handelsvertreters einem Festhalten am Vertrag entgegenstehen. Maßgeblich sind insbesondere Art und Gewicht von Vertragsverletzungen des Unternehmers. Entscheidend ist dabei - im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung -, inwieweit die für die Kündigung herangezogenen Tatsachen ein wesentliches Hindernis für den Handelsvertreter sind, für die Zukunft auf eine korrekte, dem Handelsvertretervertrag entsprechende, Zusammenarbeit zu vertrauen (vgl. von Hoyningen-Huene in Münch-Komm., HGB, 3. Auflage 2010, § 89 a HGB, RdNr. 12 ff.). Unter Anwendung dieser Grundsätze lagen die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung am 18.11.2008 vor. Die Berechtigung zur fristlosen Kündigung ergibt sich aus dem unstreitigen Sachverhalt.

bb)       Entscheidend für die fristlose Kündigung war der Umstand, dass sich die Beklagte mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 31.10.2008 (Anlage K 10) und vom 14.11.2008 (Anlage K 12) geweigert hat, den von der Klägerin verlangten Buchauszug zu erstellen, obwohl sie gemäß § 87 c Abs. 2 HGB zur Erteilung eines Buchauszugs verpflichtet war. Die Klägerin hatte ein erhebliches Interesse an einem Buchauszug, da Anhaltspunkte dafür bestanden, dass Provisionsabrechnungen der Beklagten in der Vergangenheit teilweise - zu Lasten der Klägerin - unzutreffend waren. Nachvollziehbare Gründe für ihre Weigerung hat die Beklagte weder im Schreiben vom 31.10.2008 noch im Schreiben vom 14.11.2008 angegeben. Dass die in der Vergangenheit erteilten Provisionsabrechnungen den formellen Anforderungen an den Inhalt eines Buchauszugs gemäß § 87 c Abs. 2 HGB nicht entsprachen, war evident. Für die rechtlich beratene Beklagte war mithin ohne weiteres erkennbar, dass der Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs - entgegen der von ihrem Prozessbevollmächtigten im Schreiben vom 14.11.2008 geäußerten Auffassung - nicht erfüllt war.

Es war für die Klägerin nach dem Schreiben der Gegenseite vom 14.11.2008 - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nicht zumutbar, am Vertragsverhältnis festzuhalten und gleichzeitig den Anspruch auf Buchauszug gerichtlich geltend zu machen. Denn die Weigerung der Beklagten musste für die Klägerin die Besorgnis begründen, dass die Beklagte im Rahmen der weiteren Zusammenarbeit zu einem vertragstreuen Verhalten, insbesondere zu einer korrekten Abrechnung von Provisionen, teilweise nicht mehr bereit war.

cc)       Für die Bewertung der Pflichtverletzung der Beklagten und den damit verbundenen Vertrauensverlust für die Klägerin sind die folgenden Umstände maßgeblich:

aaa)      Die Beklagte hat jahrelang Provisionen für Geschäfte mit der Kundin SV. nicht abgerechnet, obwohl sie dazu verpflichtet war (siehe oben). Die im Rechtstreit vorgelegten Zahlen zeigen, dass Provisionen für Geschäfte mit dieser Kundin für die Klägerin eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hatten.

bbb)      Die Beklagte kannte ihre Verpflichtung, für Geschäfte mit der SV. Provisionen abzurechnen und an die Klägerin auszuzahlen. Dies ergibt sich aus der internen Anweisung an die Zeugen Sm. und So., gegenüber der Klägerin in den regelmäßigen geschäftlichen Kontakten Geschäfte mit der SV. zu verschweigen. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, das die Angaben dieser beiden Zeugen für glaubwürdig erachtet hat, ist nicht zu beanstanden.

Dass die Beklagte hinsichtlich der Provisionen für SV.-Geschäfte zu einem redlichen Verhalten gegenüber der Klägerin nicht bereit war, zeigt zudem - auf andere Weise - das Schreiben der Beklagten an den Zeugen Sm. vom 01.12.2008 (Anlage K 16). Der Geschäftsführer der Beklagten wollte mit diesem Schreiben den Eindruck erwecken, er habe über viele Jahre nichts davon gewusst, dass für SV.-Geschäfte keine Provisionen an die Klägerin bezahlt wurden. Dass dies unzutreffend war, ergibt sich aus dem eigenen Sachvortrag der Beklagten. Denn jedenfalls bei der Weigerung zur Erstellung eines Buchauszugs mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 31.10.2008 (Anlage K 10) wusste der Geschäftsführer, dass die Beklagte über viele Jahre für SV.-Geschäfte keine Provisionen gezahlt hatte, und nach dem Willen der Verantwortlichen der Beklagten auch nicht bezahlen wollte (vgl. die Erläuterungen des Beklagtenvertreters im Schriftsatz vom 11.04.2016, Seite 5 ff., zur Ablehnung des Buchauszugs).

ccc)      Weitere Umstände bei der Weigerung der Beklagten in den Schreiben vom 31.10.2008 und vom 14.11.2008 mussten für die Klägerin den Eindruck verstärken, dass die Beklagte zu einem vertragstreuen Verhalten nicht bereit war. Die Klägerin hatte mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 07.11.2008 (Anlage K 11) ausdrücklich danach gefragt, inwieweit die Beklagte in der Vergangenheit nicht abgerechnete Geschäfte mit der „Firma SV.“ gemacht hatte. Der Hinweis im Antwortschreiben des Vertreters der Beklagten vom 14.11.2008, die Klägerin solle die Unternehmensangabe „Firma SV.“ genauer spezifizieren, war aus der Sicht der Klägerin nicht sachlich motiviert. Denn angesichts der Bedeutung dieser Kundin und der mit der Kundin getätigten Geschäfte ist davon auszugehen, dass jeder im Hause der Beklagten wusste, welches Unternehmen mit der Bezeichnung „SV.“ gemeint war. Schließlich deutete die mit Schreiben vom 18.08.2008 für den Buchauszug erbetene Fristverlängerung bis zum 31.10.2008 aus der Sicht der Klägerin darauf hin, dass es der Beklagten dabei kaum um eine sorgfältige Prüfung von Ansprüchen der Klägerin ging, sondern lediglich um eine Zeitverzögerung. Denn für die generelle Ablehnung im Schreiben vom 31.10.2008, einen Buchauszug zu erteilen, benötigte die Beklagte kaum einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten.

dd)       ..................

ee)       Wegen der erheblichen Auswirkungen für die Vertragspartnerin ist vor einer fristlosen Kündigung in der Regel eine Abmahnung erforderlich (§ 314 Abs. 2 BGB). Eine Abmahnung ist im Schreiben des Klägervertreters vom 07.11.2008 (Anlage  K 11) erfolgt.

ff)         Es war der Klägerin nicht zuzumuten, bei ihrer Kündigung die Frist von sechs Monaten für eine ordentliche Kündigung (§ 7 Abs. 2 des Handelsvertretervertrages) abzuwarten. Die grundsätzliche Bereitschaft des Unternehmers zu einer vertragsgemäßen Abrechnung von Provisionen gehört zur Basis einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Unternehmer und Handelsvertreter. Nachdem diese Basis für die Klägerin entfallen war, konnte sie sich mit sofortiger Wirkung vom Vertrag lösen.

gg)       Die Kündigungserklärung ist rechtzeitig erfolgt. …. (wird ausgeführt)

b)         Eine Berechnung des Ausgleichs gemäß § 89 b Absatz 1 HGB a. F. führt zu einem Betrag von - mindestens - 263.608,49 €. Dies ergibt sich aus folgender Berechnung:

Provisionen im letzten Vertragsjahr:                                           164.837,95 €

hiervon 90 Prozent werbende Tätigkeit:                           148.354,15 €

hiervon 99,45 Prozent Stammkundenquote:                    147.538,20 €

hiervon 200 Prozent (Prognosezeitraum 4 Jahre;

abzgl. Abwanderungsquote):                                                     295.076,40 €

Abzinsung Gillardon  88,32 Prozent:                                          260.611,47 €

abzgl. 15 Prozent Billigkeitsabschlag:                            221.519,74 €

zzgl. 19 Prozent Mehrwertsteuer:                                                42.088,75 €

Gesamt:                                                                                             263.608,49 €.

 

aa)Die Provisionen des letzten Vertragsjahres in Höhe von 164.837,95 € für von der Klägerin geworbene sogenannte „Neukunden“, dazu siehe unten - berechnen sich wie folgt:

 

            Unstreitige Provisionen letztes Vertragsjahr laut 143.572,56 €

            Anlage K 18:                                                                          

            abzügl. Provisionen St. (kein Neukunde):                             990,88 €

            zzgl. Provisionen SV. (in K 18 nicht enthalten):     22.256,27 €

            Summe                                                                                   164.837,95 €

 

bb)       Für die Berechnung des Ausgleichs sind nur die von der Klägerin geworbenen Kunden zu berücksichtigen. Hingegen sind solche Kunden nicht zu berücksichtigen, die von der Klägerin nicht geworben wurden, weil Vorteile der Beklagten aus einer Geschäftsbeziehung mit solchen Kunden nicht auf einer Leistung der Klägerin als Handelsvertreterin beruhen würden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass sämtliche Kunden der Beklagten, für welche die Klägerin im letzten Vertragsjahr Provisionen erhalten hat (vgl. die Anlage K 18) von ihr geworben wurden (mit Ausnahme des Kunden St.); entsprechendes gilt für die Kundin SV., die in dieser Aufstellung nicht enthalten ist.

aaa)      Die Klägerin war als Handelsvertreterin für die Beklagte in dem zugewiesenen Bezirk ab dem 01.04.1993 bis zum Ende des Vertragsverhältnisses im November 2008 ohne Unterbrechung tätig. Zwar trifft der Begriff einer „Handelsvertreterin der ersten Stunde“ auf die Klägerin nicht ganz zu, da die Beklagte schon vor dem 01.04.1993 mit der Produktion und dem Vertrieb von Produkten unter dem Markennamen „S.“ begonnen hatte. Allerdings begann die Beklagte mit dem Vertrieb von Produkten unter eigenem Namen unstreitig erst kurze Zeit vorher, nämlich im Jahr 1991. Nach den Angaben des Zeugen F. S., des früheren Geschäftsführers der Beklagten, bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht im Termin vom 05.02.2010 sei der „geschäftliche Durchbruch“ im Jahr 1993 erreicht worden. Dazu passt die von der Beklagten vorgelegte Anlage B 51, aus der sich ergibt, dass Ende 1993 und Anfang 1994 in Fachartikeln auf für den Markt wesentlichen Neuheiten der Beklagten hingewiesen wurde. Unter diesen Umständen liegt es sehr nahe, dass auch langjährige Kunden der Beklagten während der Vertragszeit der Klägerin - ab dem 01.04.1993 - geworben wurden, und dass es sich bei den Kunden aus den Jahren 2007/2008 kaum um „Altkunden“ handeln kann, die schon vor dem 01.04.1993 Produkte von der Beklagten erworben haben.

bbb)      Für das Tatbestandsmerkmal der „Werbung“ eines neuen Kunden gemäß § 89 b Absatz 1 Ziffer 1 HGB a. F. ist es nicht erforderlich, dass der erste Geschäftsabschluss mit dem neuen Kunden allein auf die Tätigkeit des Handelsvertreters zurückgeht. Es reicht vielmehr aus, dass die Tätigkeit des Handelsvertreters mitursächlich ist. Hierbei sind an die Mitverursachung eines Geschäfts durch den Handelsvertreter grundsätzlich geringe Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, NJW 1996, 2302, 2304; BGH, NJW-RR 2002, 1548, 1551). Wenn feststeht, dass das erste Geschäft des Unternehmers mit einem bestimmten Kunden während der Vertragszeit des Handelsvertreters abgeschlossen wurde, spricht grundsätzlich ein Anscheinsbeweis für eine Mitursächlichkeit der Werbung durch den Handelsvertreter (vgl. von Hoyningen-Huene in Münchener Kommentar, HGB, 3. Auflage 2010, § 89 b HGB Rn. 62). Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Handelsvertreter auf vielfältige Art und Weise bei einem Gebietskunden zu einem Geschäftserfolg auch dann beigetragen haben kann, wenn dieses Geschäft zunächst ohne ihn angebahnt oder vorbereitet wurde. Wenn ein Handelsvertreter nach einer anderweitigen Anbahnung durch zusätzliche Informationen gegenüber dem Kunden, durch Erläuterung eines bereits vorliegenden Angebots, oder auch durch ein bloßes „Nachhaken“, tätig wird, ist es ohne Weiteres möglich, dass eine solche Tätigkeit für den Geschäftsabschluss entscheidend wird.

ccc)      Unter den gegebenen Umständen ist für die Beweiswürdigung von erheblicher Bedeutung, dass während der Vertragszeit zwischen den Parteien unstreitig Geschäfte mit von der Klägerin angegebenen Kunden abgeschlossen wurden. Nach Auffassung des Senats muss im Rahmen der Beweiswürdigung für diese Kunden von einer Neukundeneigenschaft (erster Geschäftsabschluss nach dem 01.04.1993) ausgegangen werden, wenn und soweit keine konkreten Anhaltspunkte für ein erstes Geschäft vor dem 01.04.93 vorliegen.

Maßgeblich für die Werbung eines Neukunden ist der jeweilige Geschäftsabschluss. Anfragen, Angebote, Werbung, Gespräche und Verhandlungen, die mit bestimmten Kunden möglicherweise vor dem 01.04.1993 stattgefunden haben, spielen keine Rolle, wenn solche Vorbereitungen noch nicht zu einem Geschäft vor dem 01.04.1993 geführt haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass von der Beklagten vorgelegte Anfragen und Angebote in der Zeit vor dem 01.04.1993 - für sich allein - auch kein ausreichendes Indiz darstellen, dass ein Geschäft vor dem 01.04.1993 abgeschlossen worden ist. Denn es ist gerade bei den von der Beklagten hergestellten Neuheiten und bei einem Vertrieb an Großhändler zu erwarten, dass Anfragen und Angebote vielfach zunächst erfolglos sind, und dass es oft einer längeren Vorlaufzeit durch Kontakte und Werbemaßnahmen bedarf, bis ein erster Geschäftsabschluss zustande kommt. (Siehe im Übrigen zur Berücksichtigung der von der Beklagten vorgelegten schriftlichen Unterlagen im Einzelnen unten.)

Wenn ein erstes Geschäft nach dem 01.04.1993 abgeschlossen wurde, können bestimmte von der Beklagten vorgelegte Unterlagen zu einer Geschäftsanbahnung ohne die Klägerin grundsätzlich nicht ausreichen, um den Anscheinsbeweis einer Mitverursachung des Geschäfts durch die Klägerin zu erschüttern. Denn aus Schriftverkehr zwischen der Vertriebszentrale der Beklagten und dem jeweiligen Kunden (oder Schriftverkehr mit einem anderen Handelsvertreter der Beklagten, der sich auf diesen Kunden bezieht) ergibt sich  nicht, welche Aktivitäten gegenüber diesem Kunden - gleichzeitig - von der Klägerin entfaltet wurden (siehe oben bbb)). Der Anscheinsbeweis für eine Mitverursachung wäre allerdings dann erschüttert, wenn davon auszugehen wäre, dass die Klägerin einen bestimmten Kunden vor Abschluss des ersten Geschäftes überhaupt nicht kannte. Ein solcher Sachverhalt liegt allerdings für keinen der bei der Ausgleichsberechnung berücksichtigten Neukunden vor (Die beiden beim Provisionsanspruch berücksichtigten Kunden Hi. - siehe oben 1. - spielen für die Ausgleichsberechnung keine Rolle.)

cc)       Entsprechend der Abrechnung der Klägerin ist von den Provisionen für die Berechnung gemäß § 89 b Absatz 1 HGB ein Verwaltungskostenanteil von 10 Prozent abzuziehen (vgl. zu einem solchen Abzug von Hoyningen-Huene, a. a. O., § 89 b HGB Rn. 98 ff.). Umstände, die einen höheren Abzug für Verwaltungskosten rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht geltend gemacht.

dd)       Maßgeblich für die im Rahmen von § 89 b HGB a. F. zu schätzenden Vorteile des Unternehmers sind nur Geschäfte mit Stammkunden, bei denen der Unternehmer auch in der Zukunft mit weiteren Geschäften rechnen kann. Der Senat schätzt die Stammkundenquote entsprechend der Abrechnung der Klägerin auf 99,45 Prozent. Dieser Prozentsatz ergibt sich aus der unstreitigen Aufstellung über Provisionszahlungen im letzten Vertragsjahr in der Anlage K 18. Die schriftsätzlichen Einwendungen der Beklagten beziehen sich nicht auf die Frage, welche Kunden als Stammkunden anzusehen sind, sondern auf die Unterscheidung zwischen Altkunden und Neukunden (dazu siehe oben). Bei einem Vertrieb ausschließlich an Großhändler ist es im Übrigen naheliegend, dass fast alle (Großhändler-) Kunden, die Produkte der Beklagten in ihr Sortiment aufgenommen haben, nicht nur ein einziges Mal bestellen, sondern wiederholt Geschäfte mit der Beklagten abschließen werden.

ee)       Für die gemäß § 89 b Absatz 1 Ziffer 1 HGB a. F. abzuschätzenden Unternehmervorteile ist eine Prognose erforderlich. Entsprechend der Abrechnung der Klägerin ist davon auszugehen, dass von der Klägerin geworbene Neukunden über einen Zeitraum von circa vier Jahren Folgegeschäfte abschließen werden. Unter Berücksichtigung einer üblichen Abwanderungsquote sind die Vorteile der Beklagten mit 200 Prozent der relevanten Provisionen des letzten Vertragsjahres (dazu siehe oben) zu schätzen. Der Prognosezeitraum von vier Jahren und die dabei berücksichtigte Abwanderungsquote entsprechen den in der Rechtsprechung üblichen Maßstäben bei Schätzungen gemäß § 89 b Absatz 1 HGB (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 11.02.2000 - 35 U 45/99 -, zitiert nach juris; BGH, NJW-RR 2009, 824).

ff)         Gemäß § 89 b Absatz 1 Ziffer 2 HGB a. F. sind Unternehmervorteile beim Handelsvertreterausgleich insoweit zu berücksichtigen, als dem Handelsvertreter wegen der Beendigung des Vertrages Ansprüche auf Provision entgehen. Es ist generell davon auszugehen, dass die entsprechend den obigen Grundsätzen ermittelten Unternehmervorteile den Provisionsverlusten des Handelsvertreters entsprechen. Dies gilt auch für den vorliegenden Fall. Die Provisionsverluste der Klägerin sind im Rahmen von § 89 b Absatz 1 HGB a. F. nicht um ersparte Betriebskosten zu reduzieren; denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin außergewöhnlich hohe Betriebskosten erspart hätte (vgl. BGH, NJW-RR 2003, 821).

gg)       Der mit Ende des Vertragsverhältnisses im November 2008 fällige Handelsvertreterausgleich ist abzuzinsen, da es sich - aus der Perspektive vom 18.11.2008 - um den Ausgleich künftiger Vorteile der Beklagten und künftiger Provisionsverluste der Klägern handelt. Diese Abzinsung - für einen Zeitraum von 60 Monaten mit einem Zinssatz von 5 Prozent - schätzt der Senat nach der Methode Gillardon mit 88,32 % ab.  (Vgl. zur Berechnung Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 2, 2008, Kapitel VIII Rdnr. 101, Fußnote 137.)

hh)       Der Handelsvertreterausgleich wird als Bruttobetrag geschuldet, so dass die Mehrwertsteuer hinzutritt (vgl. BGH, NJW-RR 2003, 821).

ii)         Bei der Berechnung des Handelsvertreterausgleichs gemäß § 89 b HGB     a. F. kommt ein Billigkeitsabschlag gemäß § 89 b Absatz 1 Ziffer 3 HGB a. F. in Betracht. Dieser Billigkeitsabschlag beträgt vorliegend maximal 15 Prozent.

            aaa)      Bei der Billigkeitsabwägung sind grundsätzlich alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Dabei obliegt die Darlegungs- und Beweislast für konkrete Umstände, die zu einer Herabsetzung führen können, dem Unternehmer, also der Beklagten (vgl. Staub/Emde,   HGB,  5.  Auflage  Band 2  2008,  § 89 b HGB Rn. 177).

            bbb)      Es kommt ein Billigkeitsabschlag in Betracht für die sogenannte Sogwirkung der Marke S.; außerdem kommt ein Billigkeitsabschlag in Betracht, weil die Klägerin ab dem 01.02.2009 als Handelsvertreterin Konkurrenzprodukte vertrieben hat. (Vgl. zu diesen Gesichtspunkten von Hoyningen-Huene, a. a. O., § 89 b HGB Rn. 113, 115; BGH, NJW 1996, 2302; BGH, NJW-RR 2002, 1548; NJW-RR 2003, 1340). Ein Billigkeitsabschlag für die Sogwirkung der Marke „S.“ erscheint grundsätzlich gerechtfertigt, weil es sich um ein Markenprodukt handelt, so dass die Bedeutung der Werbung durch den Handelsvertreter für die Unternehmervorteile etwas geringer angesetzt werden kann. Zugunsten der Klägerin ist dabei allerdings zu berücksichtigen, dass sie allein aufgrund der zeitlichen Dauer ihrer Tätigkeit ab April 1993 erheblich zu Etablierung der Marke in dem ihr zugewiesenen Vertragsgebiet beigetragen hat. Im Übrigen sind erhebliche und kostenaufwändige Werbe- und Vertriebsaufwendungen der Beklagten - die zu ihren Gunsten zu berücksichtigen wären - nicht ersichtlich. Aus den angegebenen Gründen ist die Bedeutung der Marke „S.“ im Rahmen der Billigkeitsabwägung nicht vergleichbar mit der Bedeutung einer bekannten Automarke beim Ausgleichsanspruch eines Kfz-Händlers (vgl. dazu beispielsweise BGH, NJW 1996, 2302). Die von der Klägerin ab Februar 2009 aufgenommene Konkurrenztätigkeit ist zwar bei der Billigkeitsabwägung grundsätzlich ebenfalls zu berücksichtigen, da diese Konkurrenztätigkeit die von der Beklagten aus der Vertragsbeziehung mit der Klägerin gewonnen Vorteile möglicherweise nach Beendigung der Vertragsbeziehung vermindert hat. Allerdings ist ein mit dieser Konkurrenztätigkeit verbundener besonderer Umsatzverlust der Beklagten nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht dargetan. Unter Berücksichtigung von Beispielsfällen in der Rechtsprechung hält der Senat nach alledem einen Billigkeitsabschlag von maximal 15 Prozent für gerechtfertigt (vgl. zu entsprechenden Billigkeitsabwägungen BGH, NJW 1996, 2302; BGH, NJW-RR 2002, 1548, 1553 f.; BGH, NJW-RR 2003, 1340; BGH, NJW-RR 2010, 1550; BGH, NJW 2011, 2438).

kk)       Entgegen der Auffassung der Beklagten führen besondere Umstände in der Geschäftsbeziehung zu der Kundin SV. nicht zu einem weiteren Billigkeitsabschlag. Es kann dabei dahinstehen, ob die Klägerin, wie das Landgericht angenommen hat, über einen Zeitraum von vielen Jahren wusste, dass provisionspflichtige SV.-Geschäfte von der Beklagten nicht vergütet wurden. Bei der Frage des Handelsvertreterausgleichs kommt ein weitergehender Billigkeitsabschlag schon deshalb nicht in Betracht, weil die Verantwortlichen der Beklagten ihre Provisionspflicht gegenüber der Klägerin zu jedem Zeitpunkt kannten (siehe im Einzelnen oben).

c)         Der gemäß § 89 b Absatz 1 HGB a. F. errechnete Handelsvertreterausgleich wird begrenzt durch den Höchstbetrag gemäß § 89 b Absatz 2 HGB a. F.. Dieser Höchstbetrag beträgt 226.267,03 €.

 

aa)       Der Höchstbetrag ergibt sich aus der Abrechnung der Klägerin im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 01.03.2013 (I 639) wie folgt:          

 

            Provisionen der letzten fünf Vertragsjahre:                      950.701,79 €

            durchschnittliche Jahresprovision:                                  190.140,36 €

            19 Prozent Mehrwertsteuer:                                            36.126,67 €

            Summe brutto:                                                             226.267,03 €.

 

            Die Grundlagen dieser Berechnung sind unstreitig. Die Beklagte geht selbst von einer höheren durchschnittlichen Jahresprovision aus (Schriftsatz vom 11.04.2016 Seite 7, II 203).

bb)       Der Höchstbetrag ist nach der gesetzlichen Regelung - anders als bei der Berechnung gemäß § 89 b Absatz 1 HGB - nicht um bestimmte Korrekturbeträge zu vermindern. Insbesondere findet im Rahmen von § 89 b Absatz 2 HGB a. F. kein Billigkeitsabschlag statt.

5.         Der Klägerin steht nach der fristlosen Kündigung des Handelsvertretervertrages gemäß § 89 a Absatz 2 HGB ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 75.092,79 Euro zu. Auch insoweit hat die Berufung Erfolg. ………(wird ausgeführt)

6.         Der Klägerin stehen Zinsen wie folgt zu:

a)         Der Provisionsanspruch ist gemäß §§ 291, 288 Absatz 2 a. F. BGB mit 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verzinsen. Über Zinsen vor Rechtshängigkeit hatte der Senat nicht mehr zu entscheiden, da die Klägerin die entsprechende Zinsstaffel im Berufungsverfahren fallengelassen hat.

b)         Der Anspruch auf Zahlung eines Handelsvertreterausgleichs ist ab Beendigung des Vertrages, also ab dem 19.11.2008, gemäß §§ 352 Absatz 1, 353 Satz 1 HGB mit 5 Prozent zu verzinsen. Ab Rechtshängigkeit schuldet die Beklagte Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Denn der Handelsvertreterausgleich ist eine „Entgeltforderung“ im Sinne von § 288 Absatz 2 BGB (BGH, NJW 2010, 3226).

c)         Der Schadensersatzanspruch ist gemäß §§ 288 Absatz 1, 291 BGB mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

7.         Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Absatz 1 ZPO. Bei den Kosten im Verfahren des Landgerichts hat der Senat auch das Teilunterliegen der Klägerin im vorausgegangenen Auskunftsverfahren mit berücksichtigt.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.

8.         Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Absatz 2 ZPO) liegen nicht vor. Die für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Rechtsfragen sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Ob die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung des Handelsvertretervertrages vorliegen, ist eine Frage der Umstände des Einzelfalles. Dies gilt - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch für die Frage, welche Folgen sich ergeben können, wenn der Unternehmer sich weigert, dem Handelsvertreter einen Buchauszug zu erteilen. Die Entscheidung des Senats hält sich im Rahmen der üblichen Bewertung von vertraglichen Pflichtverletzungen (vgl. dazu beispielsweise von Hoyningen-Huene, a. a. O., § 89 a HGB Rn. 53).

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