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Wirtschaftsrecht
07.09.2017
Wirtschaftsrecht
LG Heilbronn: Rückabwicklung eines PKW-Neukaufs mit Dieselmotor

LG Heilbronn, Urteil vom 15.8.2017 – 9 O 111/16

Volltext: BB-Online BBL2017-2113-3

unter www.betriebs-berater.de

Amtliche Leitsätze

Der Neukauf eines PKW Audi Q3, EURO-Norm 5, mit dem Dieselmotor EA 189 ist rückabzuwickeln, da die beim Kauf eingebaut gewesene Software zu einem merkantilen Minderwert führt, der nicht nachgebessert werden kann. Der Käufer hat sich Nutzungsentschädigung auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km anrechnen lassen.

Sachverhal

Der Kläger erwarb von der Beklagten, einer Audi-Händlerin, mit Bestellung vom 20.01.2014 (K1) einen neuen Audi Q3 2,0 TDI zum Kaufpreis von EUR 29.200,00 EUR. Die Übergabe des Fahrzeuges erfolgte am 02.02.2014. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 ausgestattet. Dieser Motor ist mit einer Software ausgestattet, die, je nachdem, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder in realem Fahrbetrieb befindet, unterschiedliche Abgasreinigungsmodi in Gang setzt. Auf einem Prüfstand wird im „Modus 1“ eine hohe Abgasrückführungsrate erzielt und ein entsprechend niedriger Ausstoß von Stickoxiden. Im realen Fahrbetrieb ist im „Modus 0“ die Abgasrückführungsrate niedriger.

Mit Anwaltsschreiben vom 22.07.2016 (K 2) erklärte der Kläger Anfechtung und Rücktritt vom Kaufvertrag und begehrte unter Fristsetzung bis 05.08.2016 Rückzahlung des Kaufpreises, Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

Mit Schreiben vom 22.07.2016 (K3) teilte die Beklagte dem Kläger mit, das Fahrzeug sei technisch sicher und fahrbereit und erklärte Verjährungsverzicht bis 31.12.2017.

Das Fahrzeug war wegen einer inzwischen abgelösten Fremdfinanzierung zunächst sicherungsübereignet, weshalb der Kläger zunächst mit Klage vom 28.10.2016 Feststellung der Umwandlung des Kaufverhältnisses in ein Abwicklungsverhältnis beantragt hat.

Mit Schriftsatz vom 30.03.2017 wurde Leistungsantrag gestellt.

Die Klage richtete sich zunächst auch gegen die Volkswagen AG. Insoweit wurde das Verfahren durch Beschluss vom 03.08.2017 abgetrennt und das abgetrennte Verfahren auf Antrag des Klägers an das örtlich zuständige Landgericht Rottweil verwiesen.

Der Kläger trägt vor,

Schadstoffgrenzwerte der Schadstoffnorm EURO 5 würden nur im Testbetrieb eingehalten. Euro 5 sei jedoch Beschaffenheitsgarantie auch für den Normalbetrieb. Eine Nacherfüllung sei unmöglich.

Die Klägerin beantragt (soweit möglich sachdienlich gefasst):

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 29.200,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Audi Q 3 mit der FIN … und Zug-um-Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des PKW.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1 bezeichneten PKW in Annahmeverzug befindet.

3. Die Beklagtenparteien werden jeweils getrennt, nicht gesamtschuldnerisch verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche(n) Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils EUR 2.077,74 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor,

Es läge kein Mangel vor. Eine Nachfrist sei nicht gesetzt worden. Nachbesserung sei mit Software möglich. Zudem schulde der Kläger Nutzungsersatz. Im Übrigen sei der Anspruch verjährt.

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Bezug genommen.

Aus den Gründen

17        Die Klage gegen die Beklagte ist zulässig; insbesondere ist die Änderung des Antrags Ziffer 1 von Feststellung auf Leistung sachdienlich.

18        Die Klage ist zu Teil begründet.

19        Verjährung ist aufgrund des Verjährungsverzichts der Beklagten gemäß Schreiben vom 22.07.2016 (K 2) bis 31.12.2017 nicht eingetreten.

20        Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 22.156,96 EUR aus §§ 346 Abs. 1, 437 Nr. 2, 440, 323 BGB.

21        Das erworbene Fahrzeug war bei Übergabe mit einem Sachmangel behaftet, da es nicht die Beschaffenheit aufwies, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten konnte, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB.

22        Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das Fahrzeug mit einer Umschaltsoftware ausgestattet ist, die die Abgasrückführung in zwei verschiedenen Modi betreibt, je nachdem, ob es sich auf dem Prüfstand (Modus 1) oder im realen Fahrbetrieb (Modus 0) befindet. Die mit Hilfe dieser Vorrichtung auf dem Prüfstand erzielten Abgaswerte weichen damit nicht nur deshalb von denjenigen im realen Fahrbetrieb ab, weil der durchgeführte Fahrzyklus nicht dem realen Fahrbetrieb entspricht, sondern weil die Abgasrückführungsrate im Prüfbetriebsmodus (Modus 1) höher ist, als auf der Straße (Modus 0).

23        Der Zweck der vom Kläger beanstandeten Vorrichtung besteht einzig darin, niedrigere Abgaswerte vorzutäuschen. Mit einer solchen Umschaltsoftware versehene Fahrzeuge sind - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht vorschriftsmäßig.

24        Das Vorhandensein der Umschaltsoftware im System des erworbenen Fahrzeuges stellt eine negative Abweichung von der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Fahrzeuge dar. Der Durchschnittskäufer eines Neufahrzeuges darf objektiv erwarten, dass in dem von ihm erworbenen Fahrzeug eine solche, auf Täuschung der zuständigen Kontrollinstanzen angelegte und vorschriftswidrige Vorrichtung nicht vorhanden ist. Beworben wurden die Fahrzeuge vom Hersteller mit den Abgaswerten, die sie im Testbetrieb (Modus 1) erreicht hatten. Dieses ist eine Beschaffenheitsgarantie im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB, da auch der Beklagten diese Werte bekannt waren. Beim Käufer wurde dadurch nicht nur der Eindruck erweckt, dass diese Fahrzeuge im Realbetrieb zumindest ähnliche Werte erreichen - es wurde vor allem der Eindruck erweckt, die Motoren dieser Fahrzeuge würden im Realbetrieb betreffend die Abgasreinigung genauso betrieben, wie im Testbetrieb. Dass dem nicht so war, ist eine Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit.

25        Die Genehmigung des Software-Updates durch das Kraftfahrtbundesamt ist offensichtlich auch politisch motiviert und dient dem Schutz eines systemrelevanten Motorenherstellers (VW-Konzern). Sie besagt gerade nichts darüber, ob das Fahrzeug nach dem Software-Update die beim Verkauf zugesagte Beschaffenheit erreicht. Zur Überzeugung des Gerichts ist das auch nicht der Fall, wie ein einfaches Gedankenexperiment zeigt:

26        Die Ingenieure der Motorenentwicklung hätten, wenn sie durch das jetzige Update die Möglichkeit gesehen hätten, die zugesagten Abgaswerte zu erreichen, dieses Update gleich bei der Produktion des Motors eingebaut - sie hätten sich also die Entwicklung und Programmierung des Modus 0 schlicht erspart und die Fahrzeuge im Modus 1 hergestellt und ausgeliefert. Dass jemand zusätzlichen Aufwand betreibt um das zu erreichen, was er ohne vorherigen Aufwand bereits hatte, ist in der auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Automobilbranche nicht vorstellbar. Es wurde vielmehr „geschummelt“, um den Test zu bestehen, sodann das Fahrzeug mit den bei einem korrekten Test nicht erreichbaren Abgaswerten beworben und damit auch mit dieser - nicht erreichbaren - Beschaffenheit verkauft. Um diese Unkorrektheit bei Nachprüfungen zu verheimlichen, wurde weiter entschieden, diese „Schummel-Software“ in alle Fahrzeuge einzubauen und nicht nur in die Fahrzeuge, die offiziell getestet wurden. Genau dieses System kann nur als flächendeckendes Betrugssystem bewertet werden, das zu einem so erheblichen Vertrauensverlust gegenüber Dieselmotoren des Herstellers VW führt, dass ein nicht nachbesserbarer merkantiler Minderwert nach den Gesetzen des freien Marktes offensichtlich gegeben ist. Die betroffenen Fahrzeuge sind auf dem Gebrauchtwagenmarkt nur mit erheblichem Abschlag zu veräußern. Das tief sitzende Misstrauen der Kunden zeigt sich insbesondere in den rückläufigen Zulassungszahlen für neue Dieselfahrzeuge, obwohl diese der EURO-6-Norm entsprechen sollen. Dieses hat negative Auswirkung auf die Preisentwicklung der gebrauchten EURO-5-Diesel, wie dem streitgegenständlichen. Nach einem Bericht der Zeitschrift „Der Spiegel“ in der Ausgabe vom 05.08.2017 (dort Seite 15) sind die Preise für gebrauchte Dieselfahrzeuge um bis zu 25 % gefallen und sind die Zulassungszahlen für Dieselfahrzeuge im Vergleich zum Vorjahresmonat um 13 % gesunken. Ergänzend wird auf die umfangreichen und im Internet zugänglichen Untersuchungen des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen zu diesem Thema verwiesen.

27        Zudem gelten Dieselmotoren seit dem Abgasskandal als Sündenböcke insbesondere für die Feinstaubbelastung. Gemäß Presseberichten erwägen zumindest die Städte München und Stuttgart Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, die auch die EURO 5 Norm nach dem Software-Update treffen werden. Ob das auch geschehen wäre, wenn die Motoren des Typs EA 189 deutschlandweit den Abgaswerten nahe gekommen wären, die sie in dem Testmodus 1 erreicht haben und dieses einen zusätzlichen Rücktrittsgrund darstellt, mag der Bundesgerichtshof entscheiden. Einer Aufforderung zur Nachbesserung bedurfte es demzufolge nicht, da der Schaden des merkantilen Minderwerts hierdurch nicht zu beseitigen ist.

28        Vielleicht wird sich sogar in der Automobilindustrie die Erkenntnis durchsetzen, dass lediglich eine Hardware-Lösung zumindest bei den EUR-5-Fahrzeugen, kostenmäßig derzeit diskutiert zwischen 1.500.- bis 2.000.- EUR, den erforderlichen Schritt für eine umweltgerechte Lösung bringen wird.

29        Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, die Pflichtverletzung sei unerheblich, weil die Kosten der Nachbesserung für das Fahrzeug der Klägerin lediglich ca. EUR 100 betragen würden. Es greift bereits zu kurz, lediglich auf den bloßen Aufwand der Fachwerkstatt abzustellen, der im Rahmen der tatsächlichen Nachbesserungsarbeiten entsteht. Dies ließe zu Unrecht den ganz erheblichen und kostenträchtigen Aufwand zur Entwicklung der Nachbesserungsmaßnahmen unberücksichtigt, der bei dem Hersteller des Motors (und wahrscheinlich auch dem Hersteller der verwendeten Software) entstanden ist und vermag den eingetretenen merkantilen Minderwert des Fahrzeugs nicht zu beseitigen.

30        Der vom Kläger erklärte Rücktritt ist wirksam.

31        Nach allem steht der Klägerin in der Rechtsfolge ihres erklärten Rücktritts gemäß § 346 Abs. 1 BGB die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen als Wertersatz (§ 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) zu, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges. Der Nutzungsersatz wird bei Neufahrzeugen ermittelt, indem der Bruttokaufpreis mit den gefahrenen Kilometern multipliziert und das Ergebnis durch die Gesamtlaufleistung geteilt wird (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Auflage RN 1166 m. w. N.; LG Krefeld 2 O 83/16 unter Bezug auf OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008,1199 und LG Hamburg 301 O 96/16).

32        Die Gesamtfahrleistung des streitgegenständlichen Fahrzeuges schätzt das Gericht in Übereinstimmung mit den Schätzungen auch in den oben zitierten Entscheidungen für andere Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 auf 250.000 km.

33        Die Laufleistung des Fahrzeuges betrug zum Schluss der mündlichen Verhandlung unbestritten 60.300 km.

34        Es errechnet sich somit ein Nutzungsvorteil von 7.043,04 EUR (29.200 EUR x 60.300 km : 250.000 km) der von dem Kaufpreis abzuziehen ist. Hiernach steht der Klägerin ein Betrag von 22.156,96 EUR zu (29.200 EUR./. 7.043,04 EUR).

35        Diesen, oder einen anderen Nutzungsvorteil hätte die Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Klageeinreichung anhand der damals gefahrenen Kilometer ermitteln und vom geforderten Zahlbetrag abziehen können; der antragsgemäß geltend gemachte Abzug Zug-um-Zug genügte nicht, zumal es nicht Aufgabe der Beklagten war, diese Nutzungsvergütung zu ermitteln. Nutzer des Fahrzeugs war der Kläger; nur ihm standen damit die erforderlichen Daten zur Verfügung. Soweit deshalb von diesem Kaufpreis eine Nutzungsentschädigung in Abzug gebracht wird, ist der Kläger unterlegen und die Klage im Übrigen abzuweisen.

36        Der Feststellungsantrag Ziffer 2 ist zulässig und begründet. Der Kläger hat der Beklagten das Fahrzeug im Rücktrittschreiben durch Aufforderung zur Zahlung, Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs angeboten, §§ 293, 295 BGB.

37        Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind von der Beklagten nicht zu erstatten. Sie werden geltend gemacht für eine vorgerichtliche Tätigkeit in einer Zeit, in der seitens der Beklagten noch kein Verzug bestand. Dieser trat erst ein nach Ablauf der Frist im Schreiben vom 22.07.2016 (K2), in welchem der Rücktritt erklärt wurde. Mangels Verzug bei Entstehung der Kosten ist die Klage auch insoweit abzuweisen.

38        Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO.

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