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Wirtschaftsrecht
07.08.2014
Wirtschaftsrecht
OLG Köln: Irreführende Werbung mit „Made in Germany“

OLG Köln, Urteil vom 13.6.2014 – 6 U 156/13, Rev. nicht zugelassen

Amtlicher Leitsatz

Die Werbung für einen Schmiedekolben mit „Made in Germany“ ist nicht allein deshalb irreführend, weil der Schmiedevorgang, der den Schmiedekolben von einem Gusskolben unterscheidet, im Ausland stattfindet. Finden die Arbeitsschritte, durch die der Kolben als Endprodukt seine aus Verkehrssicht wesentlichen Eigenschaften erhält, in Deutschland statt und erfolgt hier auch die ganz überwiegende Wertschöpfung, ist die Angabe „Made in Germany“ weder nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG noch nach § 127 MarkenG zu beanstanden.

UWG § 5 Abs. 1 Nr. 1, MarkenG § 127

Sachverhalt

I.

Die Klägerin erhebt negative Feststellungsklage gegen die Beklagte wegen einer ihrer Ansicht nach ungerechtfertigten Abmahnung.

 

Beide Parteien vertreiben gewerbsmäßig Autoersatzteile, die Klägerin als Internet-Händlerin, die Beklagte als Herstellerin von Schmiedekolben. Ein Mitbewerber der Parteien und Kunde der Beklagten, Herr N, der im Mai 2011 gegenüber der Klägerin eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungserklärung wegen unrichtiger Werbung mit „Made in Germany“ für einen aus Spanien importierten Kolben abgegeben hatte, bot am 06.06.2011 bei F in der Auktion 260xxxxxx829 einen von der Beklagten hergestellten Schmiedekolben Modell W 2,8L 2,9L, 3,0L, Saugmotor, an mit der Angabe: „Hersteller: X Made in Germany“. Nachdem die Klägerin festgestellt hatte, dass der Rohling für diesen Kolben in Italien geschmiedet wird, nahm sie Herrn N aus dem Unterlassungsvertrag auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Anspruch, was dieser ablehnte. Wegen des Zahlungsbegehrens der Klägerin gegenüber ihrem Kunden Herrn N, das sie als unzulässige unlautere Geschäftshandlung nach §§ 3, 4 Nr. 7 und Nr. 10 UWG wertet, mahnte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 14.06.2011 ab. Der Abmahnung war eine vorformulierte Unterlassungserklärung beigefügt, wegen deren Inhalt auf Bl. 34 GA Bezug genommen wird. Die Beklagte ist der Ansicht, sie verwende die Bezeichnung „Made in Germany“ zu Recht, da sowohl die geistige Konstruktion als auch die für die Qualität entscheidende Präzisionsarbeit am Kolben in Deutschland stattfinde.

 

Die Klägerin, die ihrerseits die Abmahnung der Beklagten als unrechtmäßig erachtet, hat daraufhin das vorliegende Verfahren eingeleitet. Sie hat in erster Instanz sinngemäß Feststellung begehrt, dass der Beklagten die Unterlassungsansprüche nicht zustehen, die Gegenstand der der Abmahnung anliegenden Unterlassungserklärung sind. Der beworbene Schmiedekolben sei in Italien geschmiedet und mithin nicht in Deutschland hergestellt worden. Im Übrigen sei die Unterlassungserklärung, die sich auf alle Kolben der Beklagten beziehe, zu unbestimmt. Sie, die Klägerin, wisse nicht, ob die Beklagte auch Kolben produziere, auf die die Bezeichnung „Made in Germany“ zutreffe, sie habe sich in ihrer Vertragsstrafe-Forderung auf den konkret beworbenen Kolben beschränkt.

 

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob der Schmiedeprozess bei der Herstellung eines Schmiedekolbens für jene Eigenschaften der Ware ausschlaggebend sei, die für die Wertschätzung des Verkehrs im Vordergrund stehe, hat das Landgericht mit Urteil vom 08.08.2013 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 29.08.2013 die Klage im wesentlichen abgewiesen und lediglich festgestellt, dass die Beklagte keinen Zahlungsanspruch gegen die Klägerin i.H.v. 2.051,00 € wegen der Mahnkosten hat. Die Werbung für den Schmiedekolben mit „Made in Germany“ beinhalte keine Täuschung nach § 5 UWG über die geographische Herkunft, da ca. 90 % des Produktionsschöpfungsprozesses – und damit mehr als für die aus Art. 24 der EWG-Verordnung Nr. 2913/92 des Rates (Zollkodex) folgende Indizwirkung erforderliche Quote – in Deutschland stattfindende. Zudem sei die Leistung, die für die Wertschätzung des angesprochenen Verkehrs im Vordergrund stehe, vorliegend weniger der in Italien geschmiedete Rohling als das hieraus in Deutschland gefertigte Endprodukt. Die Bezeichung „Schmiedekolben“ beschreibe die Herstellungsart im Unterschied zum Gusskolben, nicht zunächst eine bestimmte Qualität. Die Beklagte habe folglich gegenüber der Klägerin Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzansprüche erheben dürfen. Hinsichtlich der Abmahnkosten sei der negativen Feststellungsklage dagegen stattzugeben, da die Beklagte Grund und Höhe des berühmten Anspruchs nicht schlüssig dargetan habe. Wegen der weiteren Einzelheiten, auch hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO, wird auf das Urteil des Landgerichts sowie auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Ing. K Bl. 139 bis 144, Bl. 185 bis 187 und Bl. 236 bis 138 GA, inhaltlich Bezug genommen.

 

Mit ihrer gegen die Entscheidung vom 08.08.2013 gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens die abgewiesenen Klageanträge aus erster Instanz weiter. Eine aus Art. 24 Zollkodex folgende Indizwirkung gebe es beim „Made in…“-Recht nicht. Den angesprochenen Verkehrskreisen, denen auch Kaufinteressenten angehörten, die bislang einen Motor mit einem Serienkolben hätten und sich für den Umstieg auf einen höherwertigen Schmiedekolben interessierten, komme es keineswegs nur auf die konkreten Eigenschaften des Schmiedekolbens im Vergleich zu anderen Schmiedekolben an, sondern sie vertrauten auf die Qualität des für das Produkt wesentlichen Schmiedevorganges. Die anderen Arbeitsvorgänge seien nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens bei gegossenen wie geschmiedeten Kolben ungefähr gleich und könnten daher für die Meinung des Kunden kaum wertbildend bzw. wesentlich sein. Der deutsche Kunde erwarte nicht, dass ein deutsches Unternehmen aus Kostengründen deutsche Arbeitslöhne scheue und den Kolben in Italien billig schmieden lasse.

 

Die Klägerin beantragt,

 

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 08.08.2013, 14 O 38/12, in Gestalt des Berichtigungsbeschlusses vom 29.08.2013,

 

1. festzustellen, dass die Beklagte keinen Anspruch gegen sie, die Klägerin, hat, dass sie es unterlässt, im geschäftlichen Verkehr gegenüber Unternehmen zu behaupten, die Bezeichnung „Made in Germany“ dürfe im Zusammenhang mit dem Vertrieb der X-Kolben nicht verwendet werden;

2. festzustellen, dass die Beklagte keinen Anspruch gegen sie, die Klägerin, hat, dass sie es unterlässt, im geschäftlichen Verkehr gegenüber Unternehmen, die X-Kolben mit dem Claim „Made in Germany“ anbieten, aus wettbewerbsrechtlichen Gründen wegen der Verwendung des Claims “Made in Germany“ auf Unterlassung, Schadensersatz oder Vertragsstrafe in Anspruch zu nehmen;

3. festzustellen, dass die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch gegen sie, die Klägerin, hat;

4. festzustellen, dass die Beklagte keinen Anspruch gegen sie, die Klägerin, hat, dass sie im Sinne eines echten Vertrages zu Gunsten eines Dritten auf die mit Schreiben vom 07.06.2011 geltend gemachte Forderung gegenüber Herrn N verzichtet und Herrn N sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihm durch dieses Schreiben entstanden ist;

5. festzustellen, dass die Beklagte keinen Anspruch gegen sie, die Klägerin, hat, dass sie ihr schriftlich Auskunft erteilt, gegenüber welchen Anbieten von X Kolben die unter Ziffer 1 genannte Behauptung aufgestellt wurde.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens aus erster Instanz. Die negative Feststellungsklage sei bereits unzulässig, da die Klägerin sie sogar rechtsschutzintensiver, nämlich mit dem Ziel einer abschließenden Klärung der streitgegenständlichen Frage, ob sie ihre Produkte mit der Angabe „Made in Germany“ versehen dürfe, auf Unterlassung in Anspruch nehmen könne und müsse. Die Klage sei zudem unbegründet. Das Pressen des Rohlings, das sowohl in zeitlicher als auch wertbildender Hinsicht einen zu vernachlässigenden Teil der Produktionskette darstelle, bilde gerade keine Leistung, die für die Wertschätzung der angesprochenen spezialisierten Verkehrskreise von wesentlicher Bedeutung sei. Auch soweit sich ein Kaufinteressent aus Sorge um hiesige Arbeitsplätze für ein Produkt von ihr entscheide, würden keine Erwartungen enttäuscht, da die Entscheidung, einen Teil der Produktion im Ausland auszuführen, nur aus Gründen der geringeren Energiekosten gefällt worden sei, und der Arbeitsschritt in Italien so gut wie keines Personaleinsatzes bedürfe, während zur Fertigung in Deutschland qualifizierte Arbeiter eingesetzt würden.

Aus den Gründen

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Nicht beigetreten kann zwar der Ansicht der Beklagten zur Unzulässigkeit der negativen Feststellungsklage, diese ist jedoch, soweit nicht vom Landgericht bereits rechtskräftig zuerkannt, unbegründet.

 

1.

Die auf Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtete Klage ist nach § 256 ZPO zulässig. Durch die Abmahnung der Beklagten, mit der diese gegenüber der Klägerin Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz und Auskunft geltend gemacht hat, ist zwischen den Parteien ein Rechtsverhältnis begründet worden. Ein zu Unrecht Abgemahnter hat grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran, durch eine rechtskraftfähige Entscheidung feststellen zu lassen, dass die Forderung, deren sich die Gegenseite berühmt, nicht besteht, ohne zuvor eine Gegenabmahnung aussprechen zu müssen (Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Auflage, § 12 Rn. 1.74). Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Abmahnung der Beklagten bereits ihrerseits um eine mittelbare Gegenabmahnung handelt und die Beklagte statt der Gegenabmahnung Unterlassungsklage hätte erheben können.

 

Das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist selbst dann zu bejahen, wenn der Abgemahnte möglicherweise eine Leistungsklage, gerichtet auf die Unterlassung weiterer Abmahnungen, erheben könnte. Eine solche Leistungsklage würde nämlich voraussetzen, dass die unberechtigte Abmahnung gegenüber einem vermeintlichen allgemeinen Wettbewerbsverstoß ihrerseits als anspruchsbegründende Verletzung eines Rechts anzusehen wäre. Hiervon ist in der Regel und so auch im vorliegernden Fall  nicht auszugehen, allein schon im Hinblick auf die subjektive Seite. Da dem Abgemahnten mit einer Leistungsklage folglich ein erhebliches zusätzliches Risiko aufgebürdet würde, ist in derartigen Fällen grundsätzlich auch die Feststellungsklage als angemessenes und geeignetes Mittel zur Klärung der ungewissen Rechtslage anzusehen (BGH GRUR 1985, 571 ff., juris-Tz. 21 – Feststellungsinteresse; Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Auflage, § 12 Rn. 2.20).

 

Die Klägerin ist schließlich nicht verpflichtet, durch eine Leistungsklage das nach Ansicht der Beklagten eigentlich verfolgte Ziel, die Bezeichnung „Made in Germany“ für alle von der Beklagten produzierte Kolben zu verhindern, rechtsschutzintensiver zu verfolgen. Die Klägerin ist in der Entscheidung über Art und Umfang der möglichen Abwehrmittel gegen eine ihrer Ansicht nach ungerechtfertigte Abmahnung frei, unabhängig davon, ob es für die begehrte Feststellung, dass die Beklagte keinen Unterlassungsanspruch gegen sie habe, theoretisch auch andere Gründe als die Anknüpfung an „Made in Germany“ geben könnte.

 

2.

Der von der Beklagten in der vorformulierten Unterlassungserklärung im Zusammenhang mit der Beschaffenheitsangabe „Made in Germany“ erhobene Unterlassungsanspruch ist – bezogen auf den von Herrn N angebotenen Schmiedekolben – aus § 8 Abs. 1 UWG begründet. Danach kann derjenige, der eine nach § 3 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Schadensersatz- und Auskunftsanspruch folgt ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Vornahme einer unzulässigen geschäftlichen Handlung nach § 3 UWG aus § 9 UWG bzw. § 242 BGB.

 

a)

Dass sich die von der Beklagten vorformulierte Unterlassungserklärung dem Wortlaut nach auf alle X-Kolben erstreckt und nicht nur auf das von Herrn N in der F-Auktion 260xxxxxx829 zum Verkauf angebotene Modell W 2,8L 2,9L, 3,0L, Saugmotor, führt weder zur vollständigen noch zur teilweisen Unbegründetheit der Unterlassungsforderung. Soweit sich – wie hier – aus der außergerichtlichen Abmahnung der Sachverhalt, der den Vorwurf des wettbewerbswidrigen Verhaltens begründen soll, d.h. die konkrete Beanstandung so klar und eindeutig ergibt, dass der Abgemahnte die gebotenen Folgerungen ziehen kann, wird die Abmahnung in ihrer rechtlichen Wirkung nicht dadurch beeinflusst, dass die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung zu weit geht. Wie bereits das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, ist es dann nämlich Sache des Abgemahnten, durch Abgabe einer – eingeschränkten – Unterlassungserklärung die konkrete Verletzungsform, soweit sie wettbewerbswidrig war, abzudecken und die Wiederholungsgefahr zu beseitigen (so bereits der Senat im Beschluss vom 31.03.1987, 6 W 14/87, WRP 1988, 56; s. auch Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Auflage, § 12 Rn. 1.17, m.w.N.). Dass im vorliegenden Verfahren selbst letztlich beide Parteien in ihren Vorstellungen zur Bestimmtheit / Unbestimmtheit der Klageanträge nicht nur auf das eine, bei der F-Auktion angebotene Modell abstellen, sondern im Ergebnis auf alle Schmiedekolben der Beklagten, bei denen der Schmiedevorgang in Italien stattfindet, ändert hieran nichts. Der Bezug der Abmahnung der Beklagten nur auf die eine in der Klageschrift benannte F-Auktion ist eindeutig und unbestritten.

 

b)

Die von der Klägerin gegenüber dem Kunden der Beklagten, Herrn N, ausgesprochene Zahlungsaufforderung stellt eine unzulässige geschäftliche Handlung i.S.d. § 3 UWG dar. Geschäftliche Handlungen sind danach unzulässig, wenn sie unlauter und geeignet sind, die Interessen von Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Gemäß § 4 Nr. 7 UWG handelt insbesondere derjenige unlauter, der Waren eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft. Hier hat die Klägerin gegenüber Herrn N als Kunden der Beklagten zur Begründung ihrer Zahlungsforderung die sachlich nicht gerechtfertigte und rufschädigende Behauptung aufgestellt, dass der von der Beklagten hergestellte und vom Kunden zum Verkauf angebotene Schmiedekolben nicht die Bezeichnung „Made in Germany“ tragen dürfe. Die Klägerin weist selbst darauf hin, dass die Aussage „Made in Germany“ noch immer weltweit immens absatzförderlich ist. Die Klägerin hat durch ihr Verhalten die Gefahr begründet, dass Herr N sowie weitere Kunden die Geschäftsbeziehung zur Beklagten beenden und/oder dieser gegenüber Gewährleistungsansprüche geltend machen könnten.

 

Der streitgegenständliche Schmiedekolben ist ein Produkt „Made in Germany“; die Bezeichnung ist nicht irreführend, weder als allgemeine Angabe i.S.d § 5 UWG noch als geographische Herkunftsangabe i.S.d. § 127 MarkenG.

 

aa)

Nach der Rechtsprechung (BGH, MDR 1973, 650 f. – Ski-Sicherheitsbindung; OLG Hamm, MPR 2013, 68 ff. [Kondome]; OLG Düsseldorf, GRUR-Prax 2011, 280 [Besteckset]; OLG Stuttgart, NJWE-WettbR 1996, 53) ist es in Übereinstimmung mit der Literatur (Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 5 Rn. 4.83 ff.; Mey/Eberli, „Made in Germany“ im europäischen und internationalen Kontext, GRUR-int 2014, 321 ff.; Dück, Kriterien für eine geographisch korrekte Benutzung von „Made in Germany“, GRUR 2013, 576 ff.; Klein/Sieger, „Made in EU“, „Germany“ oder die deutsche Flagge - Alternativen zu „Made in Germany“?, GRUR-Prax 2013, 57 ff.; Slopek, Schwarz, rot, bunt – wie „deutsch“ muss ein Produkt „Made in Germany“ sein?, GRUR-Prax 2011, 291 f.) für die Bezeichnung „Made in Germany“ nicht erforderlich, dass die Ware zu 100 %, vom gedanklichen Entwurf bis zur endgültigen Fertigstellung, in Deutschland produziert wird. Notwendig aber auch ausreichend ist vielmehr, wenn der zentrale Produktionsvorgang, bei dem die Ware ihre aus Verkehrssicht wesentlichen Bestandteile oder bestimmenden Eigenschaften erhält, im Inland stattfindet bzw. auf einer deutschen Leistung beruht. Neben diesem qualitativen Beurteilungskriterium wird jedenfalls in der Literatur teilweise auch quantitativ auf den Wertschöpfungsanteil abgestellt und angeregt, Art. 24 Zollkodex und/oder die Praxishinweise der Industrie- und Handelskammern als Indizien heranzuziehen (Dück, a.a.O., Slopek, a.a.O.; Klein/Sieger, a.a.O.).

 

bb)

Für die Frage, ob eine irreführende Benutzung der Bezeichnung „Made in Germany“ vorliegt, kommt es danach zunächst auf die Verkehrsauffassung der durch das Verkaufsangebot angesprochenen Interessenten an. Dies sind hier vor allem Fachleute wie Kfz-Hersteller, -Fachhändler und -Werkstätten, aber auch technisch interessierte Laien wie die von der Klägerin angesprochenen Umsteiger. Wie die Beklagte zu Recht ausführt, ist bei all diesen Kunden ein Vorverständnis hinsichtlich der verschiedenen Kolbenarten und deren jeweiligen Eigenschaften vorhanden.

 

Ob in dem angesprochenen spezialisierten Verkehrskreis der Herstellungsprozess für einen Schmiedekolben im Detail bekannt ist oder nur bestimmte Vorstellungen hinsichtlich der durch den Schmiedevorgang grundsätzlich erzeugten besonderen Qualität – höhere Festigkeit, Belastbarkeit, Widerstandskraft als beim gegossenen Kolben – bestehen, kann dahinstehen. Weder aus der Sicht eines Fachmanns noch aus der Sicht eines Laien wird speziell dem Schmiedevorgang die entscheidende wertbildende Eigenschaft beigemessen, nur weil das Produkt als „Schmiede“-Kolben im Unterschied zum herkömmlichen Gusskolben bezeichnet wird und bei beiden Kolbenarten die Verarbeitungsschritte nach dem Schmieden bzw. Gießen des Rohling bis zum fertigen Produkt weitgehend gleich sind. Auch ein geschmiedeter Kolben ist in erster Linie ein Kolben, der in einen Verbrennungsmotor eingesetzt werden und die auf ihn wirkenden Gaskräfte mittels der Pleuelstange auf die rotierende Kurbelwelle übertragen soll. Die Erwartungen der Kunden betreffen bei einem Gusskolben ebenso wie bei einem Schmiedekolben „Made in Germany“ gleichermaßen das Endprodukt als solches. Sie sind umfassend auf eine besondere Zuverlässigkeit und Qualität des Endprodukts im Vergleich zu den Konkurrenzprodukte der jeweiligen Gattung ausgerichtet. Die wertbildenden Eigenschaften werden dabei nicht nur durch das Material und dessen Festigkeit bestimmt, sondern auch durch das dem Produkt zugrunde liegende Know-how sowie die gesamte technische Verarbeitung. Daneben kann die Motivation der angesprochenen Verbraucher, ein deutsches Produkt zu erwerben, ihren Grund auch in der Sorge um die hiesigen Arbeitsplätze haben.

 

cc)

Die angesprochenen Verbraucher gehen im vorliegenden Fall nicht fehl, wenn sie den streitgegenständlichen Schmiedekolben hauptsächlich wegen der Eigenschaften schätzen, die auf deutschen Leistungen beruhen. Eine Irreführung durch das Merkmal „Made in Germany“ ist im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände weder unter Heranziehung der quantitativen noch der qualitativen Beurteilungskriterien feststellbar.

 

(1)

Nach den Zollvorschriften ist der Kolben eindeutig ein deutsches Produkt. Art. 24 Zollkodex lautet:

„Eine Ware, an deren Herstellung zwei oder mehrere Länder beteiligt waren, ist Ursprungsware des Landes, in dem sie der letzten wesentlichen und wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung unterzogen worden ist, die in einem dazu eingerichteten Unternehmen vorgenommen worden ist und zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt.“,

 

wobei in Anlehnung an Art. 39, 40 i.V.m. Anh. 11 der DurchführungsVO zum Zollkodex für ein Industrieprodukt die Wesentlichkeitsgrenze bei 45 % erreicht ist .

 

Die von den Industrie- und Handelskammern empfohlene Wertgrenze für die Herkunftsbezeichnung „Made in Germany“ liegt, offenbar ausgerichtet an den Zollvorschriften, ebenfalls bei einem Wertschöpfungsanteil von 45 % (s. Dück, a.a.O., S. 581).

 

Ob die zollrechtliche Wertschöpfungsquote für die Frage einer wettbewerbsrechtlichen oder markenrechtlichen Irreführung als Untergrenze ausreichend ist, kann dahinstehen, da die Wertschöpfung vorliegend zu über 90 % in Deutschland erfolgt. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass angesichts dieses extrem hohen Inlandanteils die Frage der Indizwirkung des Art. 24 Zollkodex nachrangig ist.

 

(2)

Der streitgegenständliche Schmiedekolben ist auch bei qualitativer Betrachtung nach seiner geistigen Konzeption und der Formgebung als ein deutsches Produkt anzusehen.

 

Nach dem detaillierten Vortrag der Beklagten, der von der Klägerin nicht bestritten wird, laufen sämtliche Produktionschritte unternehmensintern ab, wobei die gesamte Entwicklung und die gesamte Fertigung mit Ausnahme eines einzigen Arbeitsschrittes in Deutschland liegt. Die Klägerin übt von der Konstruktion über die Herstellung des Rohmaterials und dessen Qualitätsanalyse bis hin zur Fertigung der Kolben alle Produktionsschritte selbst aus. Alle Ingenieurleistungen wie die Entwicklung der Kolbenkonstruktion und der Formenbau, insbesondere die Anfertigung des Modells für die Schmiedeform und dessen Aussparungen, finden in Weil am Rhein statt. Dort werden auch alle weiteren technischen Details des Schmiedevorgangs geplant, einschließlich der Bestimmung der Zusammensetzung der Aluminiumoxidlegierung für die Grundeigenschaft - Dichte und Festigkeit - des Metalls. Die bestimmte Aluminiumoxidlegierung wird zunächst in eine Stange gegossen, aus der später die Scheiben geschnitten werden, die zu den Kolben-Rohlingen gepresst – „geschmiedet“ – werden.

Der Produktionsschritt des Schmiedens findet geographisch nicht in Deutschland, sondern in Italien statt, unter der ausschließlichen Kontrolle der Beklagten. Die Beklagte betreibt in Italien ein Schmiedewerk. Die Aluminiumoxid-Scheiben werden dort auf 400° erhitzt und dann in einer Presse geformt. Der Pressvorgang dauert ca. 30 Sekunden. Das dabei eingesetzte Know-how und die technische Ausstattung kommen aus Deutschland. Neben der Form, in die die erhitzte Scheibe gepresst wird, werden auch die technischen Rahmenbedingungen wie die Fließgeschwindigkeit und die Temperatur beim Schmieden in Deutschland festgelegt. Der Grund für den Pressvorgang in Italien ist, dass der Schmiedeprozess äußerst energieintensiv ist und die Energiekosten in Italien um ca. ein Drittel günstiger sind als in Deutschland. Die Arbeitslöhne spielen dagegen keine Rolle. Das Schmieden ist aus Sicht des Endprodukts einer der einfachsten Arbeitsschritte, bei dem Arbeiter ohne spezifische Qualifikation eingesetzt werden können.

Das Ergebnis des Schmiedevorgangs ist ein Rohling, der nur im Groben die Form des späteren Endprodukts hat. Die Weiterverarbeitung des Rohlings in einen Hochleistungskolben erfolgt in ca. 15 weiteren Arbeitsschritten in Deutschland. Die komplexe Bearbeitung des Außendurchmessers, der Ventiltaschen, der Kolbenring-Nuten sowie der Kolbenbolzen-Bohrung erfolgt durch computergesteuerte Werkzeugmaschinen und bedarf einer erheblichen Präzisionsleistung im Mikrobereich sowie eines besonderen technischen Know-hows. Die Bearbeitung des Rohlings bedarf ferner einer besonderen Überwachung, da beim Drehen und Schleifen eine mögliche Wärmeausdehnung die genaue Bearbeitung beeinträchtigen kann und die Kolben auf den Hundertstel Millimeter genau produziert werden müssen. Zudem werden die Kolben beschichtet, damit sie besser laufen. All diese Schritte finden bei der Beklagten in X2 statt. Dort erfolgt schließlich auch die gesamte Qualitätskontrolle und Sicherung, angefangen bei der Überprüfung der Rohlinge auf Unregelmäßigkeiten bis hin zu den regelmäßigen Tests der fertigen Kolben.

 

Der in Italien gepresste Rohling ist mithin lediglich ein Halbfabrikat, das durch die weitere aufwändige Verarbeitung sein Wesen verändert und zu einem funktionsfähigen Hochleistungsprodukt wird. Die Weiterverarbeitung des Rohlings bis zum fertigen, werthaltigen Kolben übersteigt sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch nach der Anzahl der anfallenden Arbeitsschritte und dem hierfür benötigten Personal deutlich den Pressvorgang. Auch der Wert des fertigen Kolbens übersteigt den Wert des Rohlings bei weitem, nach den Feststellungen des Sachverständigen um ca. das 20-fache.

 

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

Das Urteil betrifft die tatrichterliche Übertragung allgemein anerkannte Auslegung und Rechtsanwendungsgrundsätze auf einen Einzelfall, so dass kein Anlass besteht, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen.

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