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Steuerrecht
18.01.2018
Steuerrecht
FG Münster: Zur richtigen Bezeichnung des Inhaltsadressaten im Umsatzsteuerbescheid für eine in Liquidation befindliche GmbH

FG Münster, Urteil vom 18.5.20175 K 1954/16 U

ECLI:DE:FGMS:2017:0518.5K1954.16U.00

Sachverhalt

Zu entscheiden ist in formeller Hinsicht, ob Umsatzsteuerbescheide inhaltlich hinreichend bestimmt sind. In materiell-rechtlicher Hinsicht ist im Wesentlichen streitig, ob Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und mit ihren verbundenen Gesellschaften steuerlich anzuerkennen sind.

Die Klägerin ist eine GmbH in Liquidation. Sie war unter anderem im Bereich der Unternehmensberatung tätig. Mit Beschluss des Amtsgerichts N vom 00.00.2013 ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin mangels Masse abgelehnt worden. Die Klägerin ist aufgelöst und befindet sich seitdem in Liquidation. Zum Liquidator wurde der vormalige alleinige Geschäftsführer F M (im Folgenden: M) bestellt. Seit 2006 versteuerte die Klägerin ihre Umsätze mit Zustimmung des Beklagten nach vereinnahmten Entgelten.

Die Klägerin hatte noch vor Insolvenzantragstellung für die Streitjahre 2006 - 2010 Umsatzsteuererklärungen abgegeben, denen der Beklagte jeweils zugestimmt hatte. Am 16.05.2011 begann eine Betriebsprüfung bei der Klägerin. Während der Betriebsprüfung erstellte der damalige steuerliche Berater die Finanzbuchhaltung der Klägerin für die Jahre 2006 - 2009 neu. Der Betriebsprüfer ermittelte nach Maßgabe der neuen Buchführung die Umsätze der Klägerin nach vereinbarten Entgelten und der Beklagte erließ am 27.04.2012 geänderte Bescheide für 2006 - 2009. Dagegen legte die Klägerin vertreten durch den damaligen steuerlichen Berater Einspruch ein, der damit begründet wurde, dass die Umsätze nach vereinnahmten Entgelten zu ermitteln seien. Der Beklagte gab den Einsprüchen statt und erließ geänderte Bescheide für 2006 - 2009 jeweils vom 14.12.2015, in denen die Umsätze der Klägerin nunmehr nach vereinnahmten Entgelten berücksichtigt wurden.

Eine Leistung der Klägerin an die Firma S GmbH (im Folgenden: S) wurde vom Beklagten ausgehend von der Versteuerung nach vereinbarten Entgelten zunächst im Jahr 2008 erfasst (Bescheid vom 27.04.2012). Die Klägerin hatte diesen Umsatz für 2010 erklärt. Der Beklagte verminderte die Umsatzsteuer für 2010 im Bescheid vom 11.04.2013 um die auf den Umsatz S entfallende Umsatzsteuer. Der Bescheid stand unter Vorbehalt der Nachprüfung. Nachdem der Beklagte die Umsätze antragsgemäß nach vereinnahmten Entgelten neu berechnet hatte, erhöhte er die Umsatzsteuer für 2010 wieder um die Umsatzsteuer aus dem Umsatz S, weil das Entgelt in 2010 zugeflossen war (Bescheid für 2010 vom 23.12.2015).

Die Bescheide vom 27.4.2012 (2006 - 2009) und 11.04.2013 (2010), auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, waren jeweils wie folgt adressiert:

              „F M in Firma C GmbH…“.

Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide jeweils folgenden Vermerk:

              „als gesetzlicher Vertreter von Firma C GmbH…“.

Die Bescheide vom 14.12.2015 (2006 - 2009) und 23.12.2015 (2010), auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, waren jeweils wie folgt adressiert.

              „F M in Fa. C GmbH i. L.…“.

Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide jeweils folgenden Vermerk:

              „Als Liquidator für Fa. C GmbH i. L.…“.

Dagegen legte die Klägerin fristgemäß Einsprüche ein, die mit Einspruchsentscheidungen vom 23.05.2016 als unbegründet zurückgewiesen wurden. Die Einspruchsentscheidungen weisen die Klägerin als Einspruchsführerin aus.

Dagegen richtet sich die Klage.

Die Klägerin begehrt Umsatzsteuerfestsetzungen entsprechend ihren Erklärungen. Sie trägt vor, die Klägerin habe in den Streitjahren mit den mit ihr eng verbundenen Unternehmen M Verwaltungsgesellschaft mbH und T GmbH zusammengearbeitet. Der Bp-Prüfer habe Verträge, Buchungen und Zahlungen zwischen den Gesellschaften zu Unrecht nicht anerkannt. Dieser Auffassung des Bp-Prüfers habe sich der von der Klägerin für die Betriebsprüfung beauftragte Steuerberater später angeschlossen, was jedoch falsch sei. Für 2010 entspreche der angefochtene Umsatzsteuerbescheid der Erklärung, unrichtig sei jedoch die Angabe über die Zahlung der Umsatzsteuer.Die Klägerin beantragt,

              die Umsatzsteuerbescheide für 2006 - 2009 vom 14.12.2015 und für 2010 vom               23.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 23.05.2016 und die               vorherigen Bescheide aufzuheben und die erklärten Umsatzsteuern dem Steuer-              schuldverhältnis zugrunde zu legen.

Der Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen,

              hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.

Er meint, die geänderten Bescheide basierten auf der neuen Buchführung, die von Steuerberater U im Auftrag des M., der Geschäftsführer der Klägerin gewesen sei, gefertigt worden sei. Die Abrechnungen zwischen der Klägerin, M Verwaltungs GmbH und T GmbH, die sämtlich von M. beherrscht worden seien, seien nicht vorsteuerwirksam anzuerkennen, weil Leistungen und Zahlungen nicht erfolgt seien.

Die angefochtenen Bescheide ließen auch den Bekanntgabe- und Inhaltsadressaten in ausreichender Weise erkennen. Aus der Formulierung in den angefochtenen Bescheiden „als gesetzlicher  Vertreter von…“ und „als Liquidator für…“ werde gerade deutlich, dass die Bescheide an den Liquidator für die GmbH ergangen seien. Der Inhaltsadressat sei durch Auslegung zu ermitteln. Dabei seien die den Beteiligten bekannten Umstände und insbesondere auch ein Außenprüfungsbericht heranzuziehen. Im Streitfall sei der Betriebsprüfungsbericht unzweifelhaft gegenüber der GmbH (Klägerin) ergangen. Die Klägerin habe gegen die Umsatzsteuerbescheide Einspruch eingelegt und ihr Liquidator sei immer unter dem Briefkopf der Klägerin aufgetreten. Gerade bei Mehrdeutigkeit sei der Inhaltsadressat durch Auslegung zu ermitteln. Bei Steuerfestsetzungen stimmten in der Regel Inhaltsadressat und Bekanntgabeadressat überein und es bedürfe keiner Vermerke im Adressfeld. Wenn der Bekanntgabeadressat, Herr M., zugleich Inhaltsadressat der Bescheide wäre, hätte der Beklagte eben nicht die Vermerke „als gesetzlicher Vertreter von Fa. C…“ bzw. „als Liquidator für Fa. C…“ aufgeführt.

Nach der aktuellen Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 25.5.2016, 1 K 171/14 könne ein Steuerbescheid auch dann dem Insolvenzverwalter gegenüber wirksam bekanntgegeben sein, wenn er ohne den ausdrücklichen Zusatz „als Insolvenzverwalter“ namentlich im Adressfeld aufgeführt sei. In einem solchen Fall sei die Bekanntgabe gleichwohl wirksam, wenn gemessen am Empfängerhorizont keine Zweifel daran bestünden, dass der Adressat in seiner Funktion als Insolvenzverwalter angesprochen sei. Wenn schon eine ordnungsgemäße Bekanntgabe bei Fehlen eines Zusatzes anzunehmen sei, liege erst Recht eine ordnungsgemäße Bekanntgabe vor, wenn -wie im Streitfall- durch Zusätze der Inhaltsadressat eindeutig benannt sei.

Der Senat hat am 10.1.2017 einen Gerichtsbescheid erlassen, der durch den rechtzeitigen Antrag des Beklagten auf mündliche Verhandlung seine Wirkung verloren hat.

Die Sache ist am 18.5.2017 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Es wird auf das Protokoll Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die Klage ist zulässig und begründet.

1) Die Klägerin ist klagebefugt im Sinne von § 40 Abs. 2 FGO bzw. § 41 FGO. Der Rechtsschein eines ordnungsgemäß bekanntgegebenen und damit wirksam gewordenen Verwaltungsaktes kann durch eine Feststellungsklage beseitigt werden; sie richtet sich auf die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 41 Abs. 1, 1. Alt. FGO. Stattdessen ist auch eine Anfechtungsklage gemäß § 40Abs. 1 FGO statthaft (BFH-Beschluss vom 25.2.1999, IV R 36/98, BFH/NV 1999, 1117). Die Klägerin hat auch ein eigenes abgabenrechtliches Feststellungsinteresse bzw. ist beschwert, da der Beklagte von einer Regelungswirkung der streitgegenständlichen Bescheide ausgeht.

2) Die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide für 2006 - 2009 vom 14.12.2015 und vom 27.04.2012 und für 2010 vom 23.12.2015 und 11.04.2013 sind nichtig. Sie leiden unter einem besonders schwerwiegenden Fehler im Sinne von § 125 Abs. 1 AO, denn aus ihnen ist nicht eindeutig erkennbar, wer Inhaltsadressat (= Steuerschuldner) sein soll.

a) Die Angabe des Inhaltsadressaten ist konstituierender Bestandteil jedes Verwaltungsakts, denn es muss angegeben werden, wem gegenüber der Einzelfall geregelt werden soll. Es reicht dabei aus, wenn der Inhaltsadressat durch Auslegung anhand der dem Betroffenen bekannten Umstände sicher bestimmt werden kann. Dabei ist auf den objektiven Erklärungsinhalt aus der Sicht des Adressaten abzustellen. Auch die Erläuterungen im Bescheid sind mit heranzuziehen (BFH-Urteil vom 27.08.2003, II R 18/02, BFH/NV 2004, 203, mit weiteren Nachweisen).

Vom Inhaltsadressaten ist der Bekanntgabeadressat zu unterscheiden. Bei diesem handelt es sich um die Person, der ein Verwaltungsakt bekannt zu geben ist. Als Bekanntgabeadressaten kommen neben dem Steuerschuldner auch Dritte in Betracht, wenn eine Vollmacht erteilt worden ist oder eine rechtliche und/oder tatsächliche Empfangsbefähigung des Inhaltsadressaten nicht besteht. Bei Körperschaften des Privatrechts ist Bekanntgabeadressat regelmäßig ihr Geschäftsführer. Bei einer GmbH in Liquidation, die als solche noch Steuerrechtssubjekt ist, ist der Liquidator der Bekanntgabeadressat.

Ist der Bekanntgabeadressat nicht mit dem Inhaltsadressat identisch, so sind beide anzugeben (siehe zum Ganzen: AEAO zu § 122 Tz. 1.4 ff). Ist der Inhaltsadressat im Steuerbescheid gar nicht, falsch oder so ungenau bezeichnet, dass Verwechslungen möglich sind, ist der Verwaltungsakt nichtig und damit unwirksam. Eine Heilung im weiteren Verfahren, etwa in der Einspruchsentscheidung, ist -anders als im Fall eines Bekanntgabemangels (BFH-Urteil vom 19.12.1995, III R 100/90, NJW 1996, 1560)- nicht möglich. Es muss ein neuer Steuerbescheid ergehen. Das gilt auch dann, wenn derjenige, der den mangelhaften Bescheid erhalten hat, sich selbst als Adressat ansieht (BFH-Urteil vom 17.06.1992, X R 47/88, Bundessteuerblatt II 1993, 174). Ein nichtiger Verwaltungsakt kann nicht dadurch ersetzt (geheilt) werden, dass der Steuerschuldner in der Einspruchsentscheidung erstmals zutreffend bezeichnet wird (BFH-Urteil vom 17.08.1995, II R 25/93, BFH/NV 1996, 196).

b) Im Streitfall weisen die streitgegenständlichen Bescheide als Bekanntgabeadressaten jeweils M. aus. Zusätzlich ist unterhalb des Adressfeldes, dort wo üblicherweise bei Auseinanderfallen von Bekanntgabe- und Inhaltsadressaten der Inhaltsadressat angegeben ist, der Vermerk „als gesetzlicher Vertreter von Firma C GmbH…“ (Bescheide vom 27.04.2012 für 2006 - 2009 und vom 11.04. 2013 für 2010), bzw. „als Liquidator für Firma C...“ (Bescheide vom 14.12.2015 für 2006 - 2009 und vom 23.12.2015 für 2010) angegeben. Der richtige Inhaltsadressat der Umsatzsteuerbescheide wäre jedoch die GmbH gewesen, auch noch im Liquidationsstadium, und nicht etwa ihr Geschäftsführer bzw. ihr Liquidator (siehe dazu AEAO § 122 Tz. 2.8.3.1, 2.8.3.2).

Zwar ist aus den Erläuterungen der Bescheide jeweils erkennbar, dass die Änderungen auf Feststellungen der bei der Klägerin (GmbH) stattgefundenen Betriebsprüfung beruhten, so dass die Erläuterungen eine Auslegung zulassen, dass die Bescheide die GmbH betreffen sollten. Aus den Erläuterungen ergibt sich somit im Wege der Auslegung als Inhaltsadressat die GmbH, während oben in Bescheid nicht die GmbH, sondern ihr Geschäftsführer bzw. Liquidator als Inhaltsadressat angegeben ist. Der Bescheid ist somit mehrdeutig und deshalb unbestimmt und nichtig.

c) Das vom Beklagten herangezogene Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 25.5.2016, 1 K 171/14, EFG 2017, 177 (Rev. vom BFH zugelassen, Az. X R 39/16) steht der Auffassung des erkennenden Senats nicht entgegen, denn das Urteil betrifft eine andere Fallgestaltung. Während dort dem Grunde nach das richtige Steuerrechtssubjekt  angegeben war und lediglich der Zusatz „als Insolvenzverwalter“ fehlte, wird im Streitfall der falsche Inhaltsadressat benannt, nämlich M.  Durch die Angabe „als gesetzlicher Vertreter von Fa. C…“ bzw. „als Liquidator für Fa. C…“ wird entgegen der Auffassung des Beklagten nicht die GmbH als Inhaltsadressatin konkretisiert, sondern nur die Funktion des M. genannt. Umsatzsteuerrechtlich sind M. und die GmbH jedoch verschiedene Steuerrechtssubjekte. Die Adressierung hätte daher lauten müssen „Fa. C …, z. Hd. des gesetzlichen Vertreters/Liquidators“ (siehe dazu auch BMF v. 5.9.2016, Tz. 2.8.3.1, sogen. Bekanntgabeerlass, juris)

Da – wie oben ausgeführt wurde – nichtige Bescheide nicht geheilt werden können, ist es unerheblich, dass in der Einspruchsentscheidung vom 23.05.2016 die Klägerin als Einspruchsführerin genannt ist.

Nichtige Bescheide können nicht aufgehoben werden, weil sie keine Rechtswirkungen entfalten. Das Urteil ergeht somit als Feststellungsurteil.

3) Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil eine Einzelfallentscheidung unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergangen ist und der Senat auch nicht vom sogenannten Bekanntgabeerlass abgewichen ist. Zwar hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 20.10.2016 und nochmals in der mündlichen Verhandlung auf das Praxishandbuch der OFD NRW hingewiesen, wonach die Anweisung aus AEAO zu § 122, Tz. 2.8.3.1 „…in der Praxis etwas anders…“ aussieht, als „…in der AO-Kartei dargestellt.“. Dem Senat ist jedoch nicht bekannt, dass die vorgenannte Regelung im Praxishandbuch im Bezirk der OFD NRW zu massenhaft fehlerhaften Bekanntgaben führt. Soweit im Geschäftsbereich des erkennenden Senats vereinzelt Bekanntgabefehler erfolgt sind, wurden diese bislang von den betroffenen Finanzämtern berichtigt.

 

 

 

 

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