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Steuerrecht
17.01.2013
Steuerrecht
FG Hamburg: Verböserung keine Ermessensentscheidung

FG Hamburg, Urteil vom 28.8.2012 - 6 K 79/10

Leitsätze

1. Die Einspruchsrücknahme ist als prozessuale Handlung grundsätzlich bedingungsfeindlich. Eine unter einer Bedingung ausgesprochene Rücknahme ist daher unwirksam und entfaltet keine Rechtsfolgen.

2. Das Finanzamt ist gem. § 85 AO zu einer Steuerfestsetzung nach Maßgabe des Gesetzes verpflichtet. Die Vornahme einer Verböserung steht daher nicht im Ermessen des Finanzamts, sondern es hat die Rechtspflicht zur Verböserung.

Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin ihren Einspruch wirksam zurückgenommen hat und der Beklagte deshalb den angefochtenen Bescheid nicht mehr verbösern durfte. Außerdem ist streitig, ob der Beklagte erklärte Werbungskosten zu Recht versagt hat.

Die Klägerin ist als ... bei der A angestellt und erzielte hieraus Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Im Rahmen der Einkommensteuererklärungen für 2003 und 2004 machte die Klägerin diverse Werbungskosten geltend. In den Anlagen zu den Einkommensteuerbescheiden 2003 und 2004 setzte sich der Beklagte umfangreich mit den erklärten Werbungskosten auseinander und wies daraufhin, dass ab dem Kalenderjahr 2006 Kraftfahrzeugkosten nur noch abgezogen werden, wenn ein Fahrtenbuch vorgelegt wird. Dieses Fahrtenbuch wäre ab Mai 2006 zu führen.

In ihrer Einkommensteuererklärung erklärte die Klägerin für das Streitjahr 2007 u. a. bei den Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit Fortbildungskosten für fünf Schulungen in B (in Form der Fahrtkosten mit dem Pkw von C nach B in Höhe von 1.503 EUR) und für einen Bildungsurlaub in der ... (Reisekosten und Verpflegungsmehraufwand) in Höhe von 925 EUR. Weitere Werbungskosten erklärte sie für einen Koffer in Höhe von 19 EUR und Schuhe in Höhe von 271 EUR. Als außergewöhnliche Belastungen erklärte die Klägerin Kosten für Nahrungsergänzungsmittel in Höhe von 402 EUR. Zudem beantragte die Klägerin in der Einkommensteuererklärung die Berücksichtigung eines Verlusts aus einer Bürgschaft als Kommanditistin gem. § 15a Einkommensteuergesetz (EStG).

Im Einkommensteuerbescheid 2007 vom 12.10.2009 erkannte der Beklagte die Kosten für den Koffer und die Schuhe in Höhe von zusammen 290 EUR nicht als Werbungskosten an, kürzte die außergewöhnlichen Belastungen um die Kosten für die Nahrungsergänzungsmittel und versagte den Verlust gem. § 15a EStG.

Gegen den Einkommensteuerbescheid 2007 legte die Klägerin am 16.11.2009, einem Montag, Einspruch ein. Sie wendete sich gegen die Nichtanerkennung der erklärten Werbungskosten und die Nichtberücksichtigung des § 15a EStG-Verlustes. Zudem seien die Kosten für Nahrungsergänzungsmittel als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen, da die Klägerin unter ... leide.

Mit Schreiben vom 26.11.2009 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die Nahrungsergänzungsmittel in voller Höhe als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden könnten, während hinsichtlich der Schuhe und des Koffers weiterhin ein Werbungskostenabzug und auch der Verlustabzug nach § 15a EStG zu versagen seien. Der Beklagte forderte die Klägerin mit gleichem Schreiben auf, ihr bis zum 15.12.2009 mitzuteilen, "ob sie ihren Einspruch bei einer entsprechenden Änderung des Bescheides als erledigt ansehe". Hieran erinnerte sie die Klägerin mit Schreiben vom 23.12.2009 unter Verlängerung der Frist bis zum 20.01.2010.

Nachdem die Klägerin auch auf diese Erinnerung nicht reagierte, übernahm die Rechtsbehelfsstelle den Einspruch zur weiteren Bearbeitung. Diese stellte mit Schreiben vom 23.02.2010 der Klägerin erneut die Anerkennung der außergewöhnlichen Belastungen in Aussicht, versagte weiterhin den Werbungskostenabzug hinsichtlich der Schuhe und des Koffers als auch den Verlust gem. § 15a EStG und drohte nunmehr eine Verböserung an. Diese betraf die nachträgliche Versagung des Werbungskostenabzuges für den Bildungsurlaub in D in Höhe von 822 EUR aufgrund einer nicht untergeordneten privaten Veranlassung als auch der Fahrtkosten zu fünf Schulungsveranstaltungen der A in B in Höhe von 1503 EUR mangels Nachweises der tatsächlichen Durchführung der Fahrten.

Hierauf erwiderte die Klägerin mit Schriftsatz vom 02.03.2010, dass sie "den Einspruch als erledigt ansehe, wenn die Nahrungsmittel noch berücksichtigt werden".

Mit Schreiben vom 18.03.2010 erließ der Beklagte eine Einspruchsentscheidung mit entsprechend geändertem Einkommensteuerbescheid 2007, in welchem er die Nahrungsergänzungsmittel als außergewöhnliche Belastungen anerkannte, während er die Berücksichtigung der Kosten für den Bildungsurlaub und der Fahrten nach B als Werbungskosten versagte.

Am 19.04.2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie vertritt die Auffassung, sie habe durch ihr Schreiben vom 02.03.2010 den Einspruch wirksam zurück genommen, sodass eine verbösernde Einspruchsentscheidung der Beklagten nicht habe ergehen dürfen. Der Wille zur Rücknahme sei diesem Schreiben eindeutig zu entnehmen.

Zumindest hätte sich durch Auslegung ergeben, dass eine Rücknahme erklärt werden sollte, denn eine Rücknahmeerklärung sei als Willenserklärung entsprechend §§ 133, 157 BGB nach ihrem Wortlaut und den Begleitumständen der Erklärung auszulegen. Da die Verböserung trotz einer Berücksichtigung der Nahrungsmittel als außergewöhnliche Belastungen zu einer Erhöhung der Steuer führte, sei es auch für der Beklagte im Wege der Auslegung der Erklärung vom 02.03.2010 erkennbar gewesen, dass die Klägerin gar kein Interesse an der Fortführung des Einspruchsverfahrens hätte haben können. Der Beklagte wäre zudem verpflichtet gewesen, in Anlehnung an das BFH-Urteil vom 18.01.2007 - IV R 35/04 - vor Ergehen der Einspruchsentscheidung, durch Rückfrage beim Klägervertreter zu klären, wie das Schreiben vom 02.03.2010 gemeint gewesen sei, denn im Falle einer Verböserung bestehe die Verpflichtung rechtliches Gehör zu gewähren.

Die Erklärung der Klägerin könne auch nicht als Bedingung verstanden werden, welche die erklärte Rücknahme unwirksam mache. Denn eine echte Bedingung liege nämlich dann nicht vor, wenn die Rücknahme von einem Ereignis abhängig gemacht würde, über welches das Finanzamt selbst entscheide. Da die endgültige Entscheidung über das Eintreten des Ereignisses, nämlich die Anerkennung der Kosten, der Beklagte treffe, handele es sich gerade nicht um eine echte Bedingung.

Zudem habe der Beklagte mit Schreiben vom 26.11.2009 mitgeteilt, die Nahrungsergänzungsmittel als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Dies habe die Klägerin zu der Ansicht veranlasst, dass hinsichtlich des bisherigen Streitpunktes der Nahrungsergänzungsmittel bereits Einigkeit erzielt worden sei, sodass keinerlei Streitpunkte mehr gegeben seien. Diese Ansicht habe die Klägerin mit Schreiben vom 02.03.2010 eindeutig und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.

Im Übrigen sei der vorliegende Sachverhalt nicht anders zu beurteilen, als die Rücknahme einer Klage nach Verständigung über den Sachverhalt, wonach das Klageverfahren durch Rücknahme der Klage beendet werde und das Finanzamt einen Änderungsbescheid gemäß ihrer Zusage während des Klageverfahrens erlasse.

Für den Fall, dass das Gericht davon ausgehe, dass der Einspruch nicht wirksam zurückgenommen worden sei und der Beklagte deshalb die verbösernde Einspruchsentscheidung habe erlassen dürfen, beantrage sie, die Klägerin die Berücksichtigung der durch die Verböserung nicht mehr anerkannten Werbungskosten.

Nachdem die Klägerin zunächst durch ihre Klage begehrte, dass sämtliche vom Beklagten durch Änderungsbescheid vom 18.03.2010 gekürzten Werbungskosten in Höhe von 2.425 EUR berücksichtigt werden, schränkte sie ihr Begehren durch ihren Schriftsatz vom 26.06.2012 dahingehend ein, dass nunmehr nur noch die Fahrtkosten für drei Schulungen in B (am ... 2007, ... 2007 und ... 2007) berücksichtigt werden.

Die Fahrten zu den Schulungen nach B habe sie, die Klägerin mit dem privaten PKW unternommen, da sich nur so für sie die Möglichkeit ergeben habe, einen Tag vor der Schulung anzureisen und am Folgetag abzureisen. Sie habe bei den Schulungen ausgeruht sein wollen, was bei der Nutzung der vom Arbeitgeber gestellten ... wegen der Zeiten nicht möglich gewesen wäre.

Zwar könne sie für den Beweis der Durchführung der Fahrten, keine Belege einreichen, denn sie habe diese nicht aufbewahrt. Ihr sei auch nicht bewusst gewesen, dass sie ein Fahrtenbuch hätte führen müssen, denn dies habe ihr früherer Steuerberater ihr nicht erklärt. Zudem habe sie nur bis 2005 eine doppelte Haushaltsführung in B gehabt, sodass sie die Aufforderung zur Führung eines Fahrtenbuches im Jahr 2007 nicht mehr für gültig hielte, da sich der zugrunde liegende Sachverhalt veränderte habe.

Sie reiche aber in diesem Zusammenhang eine von E unterzeichnete schriftliche Bestätigung vor, dass sie der Klägerin ihren Pkw für die Zeiträume vom ... - ... 2007, ... - ... 2007 und ... - ... 2007 zur Durchführung der Fahrten nach B überlassen habe. Außerdem lege sie die schriftliche Bestätigung von F vor, dass sie, die Klägerin, an den Tagen der jeweiligen Schulungen bei ihr in G übernachtet habe.

Die Klägerin beantragt nunmehr sinngemäß,

die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2007 vom 18.03.2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.03.2010,

hilfsweise die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2007 vom 18.03.2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.03.2010 dahingehend, dass die Fahrtkosten für drei Schulungen nach B in Höhe von 902 EUR als Werbungskosten anerkannt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass die Klägerin mit Schreiben vom 02.03.2010 den Einspruch nicht wirksam zurückgenommen habe. Eine Rücknahme unter einer (echten) Bedingung sei keine Rücknahme und führe nicht zur Beendigung des Rechtsbehelfsverfahrens. Die Einspruchsentscheidung sei daher rechtmäßig ergangen.

Die Klägerin habe durch ihr Schreiben vom 02.03.2010 ausdrücklich weiterhin die Berücksichtigung der Nahrungsergänzungsmittel geltend gemacht. Folglich habe der Beklagte die Erklärung dahingehend auslegen dürfen, dass die Klägerin ihr Einspruchsbegehren weiter verfolge und den Einspruch gerade nicht zurücknehmen wolle. Der Beklagte habe auch weder bei der Klägerin nachfragen müssen, wie ihr Schreiben gemeint gewesen sei, noch habe er ein weiteres Mal rechtliches Gehör gewähren müssen.

Es sei auch keine Einigung bzw. tatsächliche Verständigung hinsichtlich der Nahrungsergänzungsmittel zustande gekommen. Zwar habe der Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass diese als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden könnten. Jedoch habe die Klägerin hierauf in der von dem Beklagten gesetzten Frist auch nach Erinnerung und Verlängerung nicht reagiert. Erst nach Verstreichen der Frist zur Einigung sei der Einspruch an die Rechtsbehelfsstelle abgegeben worden. Nachdem diese den Steuerbescheid geprüft und der Klägerin mit Schreiben vom 23.02.2010 eingehende Erläuterungen hinsichtlich der beabsichtigten Verböserungen gemacht habe, habe die Klägerin dem sich aus der vollumfänglichen Prüfung durch die Rechtsbehelfsstelle ergebenden Nachteil nur noch durch eine vollumfängliche Rücknahme des Einspruchs, unter Verzicht auf die Nahrungsergänzungsmittel als außergewöhnliche Belastungen, entgehen können. Dies ergebe sich aus Systematik des § 367 Abs. 2 Abgabenordnung (AO), da andernfalls der Einspruchsführer stets durch Rücknahme seines Einspruchs unter der Voraussetzung, dass das Finanzamt hinsichtlich anzuerkennender strittiger Kosten einen Abhilfebescheid erlasse, einer Verböserung entgehen könne.

Wäre die Klägerin tatsächlich von einer Einigung ausgegangen, hätte es einer Erwähnung der Bedingung zur Anerkennung der Nahrungsergänzungsmittel in dem Schreiben der Klägerin vom 02.03.2010 auch nicht mehr bedurft.

Die Kosten für die Fahrten zu den Schulungen in B seien nicht als Werbungskosten abzugsfähig, da die Klägerin nicht habe darlegen und beweisen können, dass sie auch tatsächlich mit dem PKW nach B gefahren sei. Insbesondere habe die Klägerin keine Tankquittungen, kein detailliertes Schulungsprogramm und vom Arbeitgeber angebotene Anreisemöglichkeiten vorgelegt. Das Versäumnis des ehemaligen Steuerberaters, der Klägerin mitzuteilen, ab 2006 für Fahrten zu Schulungen ein Fahrtenbuch zu führen, entlaste die Klägerin nicht. Ebenso wenig habe die Klägerin die zwischenzeitlich aufgegebene doppelte Haushaltsführung von der Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuches entbinden können. Es bestehe auch die Vermutung, dass die Klägerin aus privaten Gründen, insbesondere um die in G wohnende Freundin zu besuchen, mit dem privaten PKW gefahren sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter gem. § 79a Abs. 3 und 4 Finanzgerichtsordnung (FGO) einverstanden erklärt und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Dem Gericht haben die Einkommensteuerakten (Band II und III) und die Rechtsbehelfsakten zu der Steuernummer .../.../... vorgelegen.

Aus den Gründen

Die Entscheidung ergeht gem. § 79a Abs. 3 und 4 FGO und § 90 Abs. 2 FGO im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

I.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage wird dahingehend ausgelegt, dass die Klägerin primär die Aufhebung des Änderungsbescheides vom 18.03.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung begehrt. Zwar hat sie in der Klage ihren Antrag dahingehend formuliert, dass das Gericht feststellen solle, dass die Klägerin ihren Einspruch durch das Schreiben vom 02.03.2010 wirksam zurückgenommen habe. Eine Feststellungsklage wäre jedoch wegen der in § 43 Abs. 2 FGO ausdrücklich enthaltenen Subsidiarität nicht zulässig, denn die Klägerin kann ihr Interesse auch durch eine Gestaltungsklage in Form einer Anfechtungsklage erreichen, da durch eine Anfechtungsklage bewirkt werden kann, dass der sie belastende Änderungsbescheides vom 18.03.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufgehoben wird und sie danach wieder in die Lage zurückversetzt wird wie sie gestanden hätte, wenn sie keinen Einspruch eingelegt bzw. ihn wirksam zurückgenommen hätte. Es handelt sich hierbei auch nicht um einen Fall der sog. isolierten Anfechtungsklage, die nur ausnahmsweise zulässig ist, denn die Klägerin begehrt nicht nur die Aufhebung der Einspruchsentscheidung und Fortsetzung des Rechtsbehelfsverfahrens, sondern den endgültigen Abschluss des Verfahrens bezüglich des Einkommensteuerbescheides 2007. Nur wenn die Klägerin mit diesem Begehren nicht erfolgreich ist und damit lediglich hilfsweise, begehrt sie die Berücksichtigung der Fahrtkosten zu den drei Schulungen in B.

Weder der Hauptantrag noch der Hilfsantrag sind begründet.

Der angefochtene Änderungsbescheid vom 18.03.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).

1. Der Beklagte konnte den Einkommensteuerbescheid 2007 noch verbösern.

a) Die Klägerin hat vor Ergehen des Änderungsbescheides und der Einspruchsentscheidung am 18.03.2010 ihren Einspruch nicht zurückgenommen.

Es liegt bereits keine Rücknahmeerklärung vor, denn die Klägerin hat in ihrem Schreiben vom 02.03.2010 erklärt, dass sie den Einspruch als erledigt ansehe, wenn die Nahrungsmittel noch berücksichtigt werden. Eine Erledigungserklärung ist grundsätzlich etwas anderes als eine Rücknahme. Dies muss auch einem Lohnsteuerhilfeverein bewusst gewesen sein.

Allerdings unterliegt auch die Rücknahme des Einspruchs den Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB. Da es sich um eine empfangsbedürftige, bedingungsfeindliche Willenserklärung handelt, ist maßgeblich darauf abzustellen, wie das Finanzamt als Erklärungsempfänger den objektiven Erklärungswert verstehen musste. Im Rahmen der Auslegung sind daher auch Umstände in Betracht zu ziehen, die sich nicht aus dem Rücknahmeschreiben selbst ergeben, die jedoch der entscheidenden Behörde und ggf. den anderen Verfahrensbeteiligten bekannt sind (BFH vom 18.01.2007 IV R 35/04, BFH/NV 2007, 1509). Die Frage, ob der Einspruch und damit die Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Ganzen nicht mehr weiter verfolgt werden soll, hängt maßgeblich von dem ursprünglichen Einspruchsbegehren ab. Der Beklagte hat daher zu Recht die Auslegung der Rücknahmeerklärung in den Kontext zu der vorherigen Einspruchseinlegung gestellt.

Die Klägerin hat in ihrem Einspruchsschreiben nicht nur die Berücksichtigung der außergewöhnlichen Belastungen, sondern auch die Bürgschaftsverluste und Berücksichtigung weiterer Werbungskosten begehrt. In ihrem Schreiben vom 02.03.2010 hat sie dann eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie ohne die Berücksichtigung der Nahrungsmittel den Einspruch nicht zurücknehmen wird. Selbst wenn das Schreiben der Klägerin entgegen des Wortlauts als Rücknahme und nicht als Erledigung betrachtet werden könnte, wäre eine solche Rücknahme nicht wirksam, denn eine Rücknahme ist bedingungsfeindlich.

Die Erklärung, "wenn die Nahrungsergänzungsmittel noch berücksichtigt werden" stellt eine echte Bedingung dar, es handelt sich gerade nicht um eine unechte oder innerprozessuale Bedingung. Die Einspruchsrücknahme ist als prozessuale Handlung grundsätzlich bedingungsfeindlich. Eine unter einer Bedingung ausgesprochene Rücknahme ist daher unwirksam und entfaltet keine Rechtsfolgen.

Eine innerprozessuale Bedingung, eine sogenannte unechte Bedingung, liegt vor, wenn die Rücknahme von einer bestimmten Prozesssituation abhängig gemacht wird. Im Steuerrecht ist daher eine bedingte Rücknahme zulässig, wenn die Rücknahme von einem Ereignis abhängig gemacht wird, über welches das Finanzamt selbst entscheidet. Es muss also auch rechtlich die Möglichkeit haben, über den Antrag, an welchen die Bedingung anknüpft, zugunsten des Einspruchsführers zu entscheiden.

Vorliegend lag es gerade nicht "in den Händen des Finanzamtes" den Eintritt des Ereignisses herbeizuführen. Das Finanzamt ist gem. § 85 AO zu einer Steuerfestsetzung nach Maßgabe des Gesetzes verpflichtet. Die Vornahme einer Verböserung steht daher nicht im Ermessen des Finanzamts, sondern es hat die Rechtspflicht zur Verböserung. Dies gilt insbesondere nachdem das Finanzamt im Rahmen der umfassenden erneuten Prüfung des Steuerbescheides einen materiell-rechtlichen Fehler in der Festsetzung erkannt hat. Ab der Feststellung eines materiell-rechtlichen Fehlers im angegriffenen Steuerbescheid und der erfolgten Androhung der Verböserung ist es dem Finanzamt rechtlich verwehrt, an einem vorher unterbreiteten Abhilfevorschlag festzuhalten bzw. nur unter Berücksichtigung der Verböserung. Durch Einspruchseinlegung wird gesetzlich eine vollumfängliche Nachprüfungspflicht, aber auch eine Verböserungsbefugnis begründet. Im Gegenzug hierzu darf das Finanzamt, wenn aufgrund der Androhung der Verböserung gegenüber dem Einspruchsführer dessen Einspruchsrücknahme erfolgt, den Steuerbescheid nur noch in dem Umfang der allgemeinen Korrekturvorschriften korrigieren, weil der Steuerbescheid nach Rücknahme bestandskräftig ist. Es entspricht daher der Systematik, dass bei einer nicht erfolgten - oder wie vorliegend unwirksamen Rücknahme- dem Finanzamt nach Androhung der Verböserung als Handlungsalternative nur die verbösernde Einspruchsentscheidung bleibt, allerdings unter Berücksichtigung der zugunsten des Einspruchsführers anzuerkennenden Aufwendungen. Ausschlaggebend ist der Zeitpunkt, zu welchem die Klägerin die bedingte Rücknahme erklärt hat.

Übertragen auf den Streitfall folgt hieraus, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der bedingt erklärten Rücknahme am 02.03.2010 die Klägerin bereits auf die Verböserung hingewiesen hatte. Es war dem Finanzamt zu diesem Zeitpunkt aufgrund seiner Rechtspflicht aus § 85 AO nicht mehr möglich, von einer Verböserung abzusehen. Denn es entspricht der Systematik des § 367 Abs. 2 AO, dass nach Androhung der Verböserung, der Einspruchsführer eine Einspruchsentscheidung nur noch durch eine bedingungslose Rücknahme verhindern kann. Andernfalls könnte ein Einspruchsführer auch nach angedrohter Verböserung dieser durch eine Rücknahme unter der Bedingung der vormals seitens des Beklagten vorgeschlagenen Änderung entgehen.

Auch das Argument der Klägerin eine solche Auslegung ihres Schreiben ergebe keinen Sinn, da der Beklagte nicht hätte davon ausgehen können, dass sie höhere Steuern hätte zahlen wollen, überzeugt nicht, denn das Schreiben kann durchaus so verstanden werden, dass die Klägerin die Ansicht vertritt, dass ihr sowohl die Berücksichtigung der außergewöhnlichen Belastungen als auch die Berücksichtigung aller erklärten Werbungskosten zustehen.

b) Es ist auch keine sog. tatsächliche Verständigung zustande gekommen, die den Beklagten gehindert hätte, die verbösernde Entscheidung zu erlassen.

Zwar hat der Beklagte, der Klägerin mit Schreiben vom 26.11.2009 vorgeschlagen, die Kosten der Nahrungsergänzungsmittel zu berücksichtigen und um Stellungnahme oder Einspruchsrücknahme gebeten. Die Klägerin hat hierauf jedoch trotz Erinnerung vom 23.12.2009 und der Verlängerung der Frist zur Stellungnahme bis zum 20.01.2010 nicht reagiert. Eine sog. tatsächliche Verständigung, die zu einer übereinstimmenden Erledigung hätte führen können, ist also nicht zustande gekommen. Das Gericht kann deshalb auch nicht dem Vortrag der Klägerin folgen, dass bereits hinsichtlich der Nahrungsergänzungsmittel eine verbindliche Einigung vorgelegen haben solle.

Erst nach Androhung der Verböserung am 23.02.2010 hat die Klägerin reagiert. Zu diesem Zeitpunkt traf das Finanzamt bereits eine Verböserungspflicht und es war auch für die steuerlich vertretene Klägerin erkennbar, dass das Finanzamt zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr an seinen Abhilfevorschlag festgehalten hat.

c) Im Übrigen hat der Beklagte der Klägerin nach der Androhung der Verböserung mit Schreiben vom 23.02.2010 ausreichend rechtliches Gehör gewährt. Eine erneute Rückfrage nach Stellungnahme der Klägerin mit Schreiben vom 02.03.2010 war nicht erforderlich. Der Beklagte konnte davon ausgehen, dass die steuerlich beratene Klägerin bzw. ihr Prozessbevollmächtigter der verfahrensrechtliche Inhalt ihrer Erklärung bewusst war.

2. Auch der hilfsweise gestellte Antrag ist unbegründet. Die Kosten für die Fahrten zu den drei Schulungsveranstaltungen des Arbeitgebers am ... 2007, ... 2007 und ... 2007 nach B sind nicht als Werbungskosten anzuerkennen.

Werbungskosten sind gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Grundsätzlich stellen Aufwendungen, die durch beruflich bedingte Fortbildungs- oder Schulungsveranstaltungen entstehen, Werbungskosten dar. Dies gilt auch für Fahrtkosten.

Das Gericht ist jedoch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin tatsächlich Fahrtkosten tragen musste, denn die Klägerin hat keine Belege eingereicht, aus denen sich ergibt, dass sie Aufwendungen, insbesondere für Benzin im Zusammenhang mit den Schulungsveranstaltungen hatte. Unbestritten bestand die Möglichkeit, dass die Klägerin kostenlos ... zu den Schulungsveranstaltungen nutzen konnte.

Zwar hat die Klägerin vorgetragen, dass diese für sie kostenlosen ... nur zu für sie ungünstigen Zeiten zur Verfügung gestanden haben. Diesen Vortrag hat sie jedoch ebenso wenig nachgewiesen wie die Durchführung der Fahrten mit einem Auto für welches sie die Kosten tragen musste.

Beweispflichtig für anspruchsbegründende Tatsachen ist die den Anspruch geltend machende Partei. Zweifel oder die Nichtnachweisbarkeit steuermindernder Tatsachen gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen (BFH vom 5.11.1970 IV R 71/67, BStBl II 1971, 220).

Zwar muss die Klägerin kein eigenes Auto benutzt haben. Auch hat die Klägerin als Zeugin E benannt und dem Gericht liegt diesbezüglich eine von E unterzeichnete schriftliche Bestätigung vor, dass sie der Klägerin ihren Pkw für die Zeiträume vom ... - ... 2007, ... - ... 2007 und ... - ... 2007 zur Durchführung der Fahrten überlassen habe. Allerdings genügt dies nicht als Nachweis, dass die Klägerin das Auto auch wirklich genutzt hat.

Auch die schriftliche Bestätigung von F, der Freundin der Klägerin, dass die Klägerin an den Tagen der jeweiligen Schulungen bei ihr in G übernachtet habe, genügt nicht, denn hieraus ergibt sich nicht, dass die Klägerin die Strecke von C nach B mit einem ihr zur Verfügung stehenden PKW tatsächlich durchgeführt hat. F hat keine Aussage darüber getroffen, wie die Klägerin nach B gekommen ist.

Im Streitfall bestehen zudem erhöhte Anforderungen an die Substantiierungspflicht der Klägerin, da die Kosten für die Fahrten zu Schulungsveranstaltungen bereits Gegenstand eines früheren Einspruchsverfahrens gewesen sind. Der Beklagte hatte in den Erläuterungen der Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 darauf hingewiesen, dass ab dem Kalenderjahr 2006 Kraftfahrzeugkosten nur noch dann als Werbungskosten abgezogen werden können, wenn ein Fahrtenbuch vorgelegt wird. Dieser Verpflichtung ist die Klägerin nicht nachgekommen.

Der Vortrag der Klägerin, sie habe aufgrund der zwischenzeitlichen Aufgabe ihrer Stand-by-Wohnung in B und damit einhergehenden Aufgabe der doppelten Haushaltsführung die Aufforderung zum Führen eines Fahrtenbuches als obsolet angesehen, entbindet die Klägerin nicht von ihrer Nachweispflicht. Insbesondere hätte die Klägerin bei Zweifeln hinsichtlich der Verpflichtung zum Führen eines Fahrtenbuches nach Aufgeben der doppelten Haushaltsführung zunächst durch einen Anruf bei dem Beklagten nachfragen können und müssen, ehe sie eigenverantwortlich auf das Führen eines Fahrtenbuches verzichtete.

Auch der Einwand der Klägerin, ihr damaliger Steuerberater habe versäumt ihr die Verpflichtung zum Führen eines Fahrtenbuches mitzuteilen, entlastet die Klägerin nicht. Ein Verschulden des Steuerberaters ist der Klägerin zuzurechnen und entbindet sie nicht von ihren steuerlichen Pflichten. Schließlich widersprechen sich die Vorträge der Klägerin, indem sie zunächst erklärte, von der Verpflichtung zum Führen eines Fahrtenbuches keine Kenntnis gehabt zu haben und später das fehlende Fahrtenbuch damit begründete, dass sie davon ausgegangen sei, dass dies mit Begründung ihres alleinigen Wohnsitzes in C nicht mehr notwendig gewesen sei.

Letztendlich ist entscheidend, dass die Klägerin ihren Vortrag auch nicht durch andere Belege substantiiert hat. Insbesondere hätte sie Tankbelege vorlegen oder durch die Vorlage ihrer Kontoauszüge die Tankvorgänge belegen müssen, denn bei der erklärten Entfernung von ... km zwischen C und B bzw. G entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Klägerin mindestens ein- bis zweimal pro Schulungsveranstaltung getankt haben muss. Die Klägerin hat jedoch mitgeteilt, dass sie keine Belege mehr einreichen kann und dies obwohl zumindest die Kontoauszüge noch eingereicht hätten werden können, weil die Bank der Klägerin zur Speicherung der Daten noch verpflichtet gewesen sein musste.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO. Gründe, die Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, lagen nicht vor.

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