R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Steuerrecht
08.02.2018
Steuerrecht
FG Köln: Keine Prozesszinsen bei Zuordnung eines Steuererstattungsanspruchs an einen anderen Steuerpflichtigen

FG Köln, Urteil vom 22.11.2017 – 9 K 2661/15

ECLI:DE:FGK:2017:1122.9K2661.15.00

Volltext: BB-Online BBL2018-342-1

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Prozesszinsen gemäß § 236 der Abgabenordnung (AO).

Die Klägerin ist eine in Großbritannien ansässige Kapitalgesellschft in der Rechtsform einer Private Limited Company (PLC). Sie war in der Vergangenheit alleinige Gesellschafterin der – zwischenzeitlich durch Ablehnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse aufgelösten (Amtsgericht A, Az: ...) – B GmbH (im Folgenden: B GmbH).

Am 27. Dezember 1999 beantragte die Klägerin beim damaligen Bundesamt für Finanzen (BfF) eine Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 3 EStG a.F. für ihr von der B GmbH zufließende Kapitalerträge, was das BfF ablehnte. Während des hiergegen gerichteten Einspruchsverfahrens schüttete die B GmbH eine Brutto-Dividende in Höhe von ... DM an die Klägerin aus, ohne Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen, woraufhin der Beklagte mit Bescheid vom 12. März 2001 Kapitalertragsteuer in Höhe von ... DM und Solidaritätszuschlag in Höhe von ... DM gegenüber der B GmbH als „Schuldner/auszahlende Stelle“ unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festsetzte. In der Folgezeit zahlten die Klägerin (... DM) und die B GmbH (... DM) die nachgeforderten Beträge.

Nachdem das BfF den Einspruch der Klägerin gegen die Ablehnung der Erteilung einer Freistellungsbescheinigung zurückgewiesen hatte, verpflichtete der 2. Senat des FG Köln das BfF mit Urteil vom 16. März 2006 (2 K 2916/02, Klageerhebung am 29. Mai 2002) zur Erteilung der beantragten Freistellungsbescheinigung. Das (nunmehr zuständige) Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) erteilte daraufhin am 20. September 2006 eine Freistellungsbescheinigung für Kapitalerträge, die der Klägerin im Zeitraum vom 1. Dezember 1999 bis zum 30. November 2002 von der B GmbH zugeflossen waren.

Im Hinblick auf diese Freistellungsbescheinigung forderte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 25. September 2006 auf, die gezahlte Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag an sie zu erstatten. Der Beklagte hob daraufhin den Nachforderungsbescheid vom 12. März 2001 gegenüber der B GmbH am 14. Februar 2007 auf, verweigerte aber die Erstattung der gezahlten Beträge an die Klägerin. Vielmehr erklärte er mit weiterem Bescheid vom 14. Februar 2007 gegenüber der B GmbH die Aufrechnung eines seiner Meinung nach aus der Aufhebung des Bescheids vom 12. März 2001 resultierenden Erstattungsguthabens der B GmbH in Höhe von ... € mit diversen Steuerschulden der B GmbH in gleicher Höhe. Hierzu erließ er am 4. Juni 2007 einen Abrechnungsbescheid gegenüber der B GmbH und am 18. März 2008 gegenüber der Klägerin. In diesen Bescheiden führte der Beklagte aus, Berechtigte des aus der Aufhebung des Steuerbescheids vom 12. März 2001 resultierenden Erstattungsanspruchs sei die B GmbH, nicht die Klägerin; dieser Erstattungsanspruch sei durch Aufrechnung mit Steuerschulden der B GmbH erloschen.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren am 3. August 2008 erhobene Klage der Klägerin gegen den Abrechnungsbescheid vom 18. März 2008 hatte Erfolg (FG Köln, Urteil vom 28. November 2012 7 K 2640/08, EFG 2013, 707). Die vom Beklagten hiergegen eingelegte Revision wies der BFH mit Gerichtsbescheid vom 29. Januar 2015 als unbegründet zurück (I R 11/13, BFH/NV 2015, 950). Erstattungsberechtigt sei die Klägerin.

Nachdem der Gerichtsbescheid des BFH als Urteil wirkte, beantragte die Klägerin am 8. Mai 2015 die Auszahlung der anstehenden Beträge auf das Konto ihres Prozessbevollmächtigten. Mit Abrechnungsbescheid vom 28. Mai 2015 änderte der Beklagte daraufhin den Abrechnungsbescheid vom 18. März 2008 dahingehend, dass der Erstattungsanspruch aus der Aufhebung des Bescheids über Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuchlag zur Kapitalertragsteuer für den Anmeldungszeitraum Januar 2001 vom 13. Februar 2007 der Klägerin zusteht. Der Betrag von ... € sei an die Klägerin zu erstatten. Am 8. Juni 2015 verfügte der Beklagte die beantragte Erstattung.

Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2015 bat der Prozessbevollmächtigte „noch um Festsetzung der angefallenen Zinsen“.

Dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 9. Juni 2015 (ohne Rechtsmittelbelehrung) ab. Für eine Verzinsung nach § 233a AO fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Die Verzinsung nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO sei beschränkt auf die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer. Von der Verzinsung ausgenommen seien nach § 233a Abs. 1 Satz 2 AO die übrigen Steuern und Abgaben sowie Steuervorauszahlungen und Steuerabzugsbeträge. Da es sich bei den zu erstattenden Beträgen um Steuerabzugsbeträge handele, nämlich Kapitalertragsteuer und der dazu erhobene Solidaritätszuschlag, könne keine Verzinsung nach § 233a AO erfolgen.

Eine Verzinsung des Erstattungsbetrags nach § 236 AO komme ebenfalls nicht in Betracht, da auf der Überzahlung von Steuern beruhende Erstattungsansprüche, die ohne Änderung einer Steuerfestsetzung erst aufgrund eines Rechtsstreits über einen Abrechnungsbescheid entstehen, nicht nach § 236 AO zu verzinsen seien (BFH VII R 203/83). Voraussetzung für die Zahlung von Erstattungszinsen sei, dass durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt bzw. erhöht werde. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht erfüllt. Es würden nur deshalb Steuern erstattet, weil der BFH den Abrechnungsbescheid vom 18. März 2008 als inhaltlich unzutreffend beurteilt habe. Ein Abrechnungsbescheid aber werde im Erhebungsverfahren erlassen. Der Abrechnungsbescheid und damit auch seine Abänderung durch eine Entscheidung des BFH betreffe eine außerhalb des Festsetzungsverfahrens geregelten Vorgang im Erhebungsverfahren. Der vom BFH der Klägerin zugesprochene Erstattungsanspruch beruhe nicht darauf, dass eine festgesetzte Steuer herabgesetzt worden sei. Letzteres aber sei Tatbestandsmerkmal für die Gewährung von Erstattungszinsen nach § 236 AO.

Dem stehe nicht entgegen, dass der Erstattungsbetrag sich ursprünglich durch die Aufhebung des Nachforderungsbescheids vom 12. März 2001 ergeben habe. Denn Streitgegenstand sei nicht mehr der Nachforderungsbescheid als solcher und die in ihm jeweils festgesetzten Steuerabzugsbeträge gewesen, sondern der Streit darüber, wem der Erstattungsanspruch aus der Aufhebung dieses Bescheids zustehe.

Die Klägerin widersprach und vertrat die Auffassung, dass der angefochtene Bescheid vom 18. März 2008 nicht im Erhebungsverfahren, sondern im Festsetzungsverfahren ergangen sei. Die vom Beklagten gewählte Bezeichnung „Abrechnungsbescheid“ sei dabei unerheblich. Nach der Kommentierung bei Tipke/Kruse zu § 37 AO werde über den Erstattungsanspruch wie über den Steueranspruch durch Steuerbescheid entschieden. Bei Steuererstattungen im Sinne des § 37 Abs. 2 AO sei wie bei der Geltendmachung von Steueransprüchen zwischen dem Festsetzungsverfahren und dem anschließenden Erhebungsverfahren zu unterscheiden. Während in dem Festsetzungsverfahren darüber entschieden werde, ob ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden oder der rechtliche Grund später weggefallen sei, werde im Erhebungsverfahren der Erstattungsanspruch im engeren Sinne erfüllt und der Rückforderungsanspruch durchgesetzt. Aus den Gründen sowohl des finanzgerichtlichen Urteils als auch des BFH-Urteils ergebe sich ohne Zweifel, dass in diesem Verfahren darüber entschieden worden sei, ob ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO gegeben war. Dies sei keine Frage der Erhebung , sondern des Festsetzungsverfahrens.

Mit Bescheid vom 10. August 2015 lehnte der Beklagte die Festsetzung von Prozesszinsen nach § 236 AO ab. Zur Begründung verwies er auf sein Schreiben vom 9. Juni 2015 und wies ergänzend auf die Urteile des BFH VII R 2/89 und VII R 203/83 sowie auf den Beschluss des BFH VII ER-S 1/05 hin. Den Einspruch der Klägerin gegen diesen Bescheid vom 13. August 2015 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 2. September 2015 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 4. Oktober 2015 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren auf Festsetzung von Prozesszinsen auf den Erstattungsbetrag von ... € für das finanzgerichtliche Verfahren vor dem Finanzgericht Köln (7 K 2640/08) und das Revisionsverfahren vor dem BFH (I R 11/13) weiterverfolgt.

Nachdem die Klägerin auf eine zuvor beantragte Akteneinsicht verzichtet hat, begründet sie ihre Klage dahingehend, dass in diesen Verfahren die vorhergehende Steuerfestsetzung, die sich gegen die damalige Beigeladene, die B GmbH, gerichtet habe, dahingehend geändert worden sei, dass sie, die Klägerin, als Erstattungsberechtigte festgestellt worden sei. Insofern sei der Bescheid vom 18. März 2008 keinen Abrechnungsbescheid. In dem vom Beklagten zitierten Urteil des BFH vom 12. Mai 1987 seien die Abrechnungsbescheide immer gegenüber dem dortigen Kläger und Revisionsbeklagten ergangen; dort sei es tatsächlich um einen Streit im Erhebungsverfahren gegangen. In den vorliegenden Verfahren vor dem FG und vor dem BFH sei es demgegenüber darum gegangen, ob überhaupt ein Erstattungsanspruch der Klägerin bestanden habe. Dabei handele es sich um ein Festsetzungsverfahren.

Wenn der Beklagte vortrage, der Erstattungsanspruch sei nicht in einem gerichtlichen Verfahren erstritten worden, dann möge er darlegen, um was denn sonst in diesen Verfahren gestritten worden sei. Soweit der Beklagte seine Einspruchsentscheidung damit begründe, Streitgegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens sei nicht mehr der Nachforderungsbescheid als solcher und der in ihm festgesetzte Steueranspruch gewesen, sondern der Streit über die Verwirklichung der Steueransprüche, so sei dies falsch und unklar. So müsse der Beklagte zunächst erklären, was er unter einem „Streit über die Verwirklichung der Steueransprüche“ verstehe. Zudem sei Streitgegenstand der vorgehenden Verfahren vor dem FG und dem BFH ausschließlich der Nachforderungsbescheid und der darin festgesetzte Steueranspruch gewesen. Dieser Nachforderungsbescheid sei gegen die damalige Beigeladene, die B GmbH, gerichtet gewesen. Ein Steueranspruch, der gegen eine Person gerichtet sei, sei nicht identisch mit dem Steueranspruch, der, wenn auch in gleicher Höhe, gegen eine andere Person gerichtet sei. Dementsprechend sei der Erstattungsanspruch einer Person nicht identisch mit dem Erstattungsanspruch, einer anderen Person, wenn auch in gleicher Höhe. Mit dem Abrechnungsbescheid sei über den Steuererstattungsanspruch der Klägerin entschieden worden; mit der Änderung dieses Abrechnungsbescheids sei der Tatbestand des § 236 AO erfüllt.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 10. August 2015 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 2. September 2015 Prozesszinsen auf den Erstattungsbetrag von ... € für die Zeit vom Tag der Rechtshängigkeit des Verfahrens FG Köln 7 K 2640/08, dem 3. August 2008, bis zur Auszahlung des Erstattungsbetrags am 11. Juni 2015 (vgl. § 224 Abs. 3 Satz 3 AO) festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Tatbestandsmerkmal für einen Anspruch auf Prozesszinsen sei die Herabsetzung einer festgesetzten Steuer, die Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des BFH sei dies mit einer im Erhebungsverfahren streitigen Überzahlung nicht vergleichbar, weshalb eine ausdehnende Auslegung dieser Vorschrift auf sich aus anderen Gründen ergebende Erstattungsbeträge wie solche, die sich aufgrund gerichtlicher Entscheidung im Erhebungsverfahren ergäben, nicht in Betracht komme. An einer im gerichtlichen Verfahren erstrittenen Herabsetzung einer Steuer fehle es im Streitfall. Der Erstattungsanspruch habe sich aus der Aufhebung des Nachforderungsbescheides ergeben und sei nicht in einem gerichtlichen Verfahren erstritten worden. Streitgegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens sei nicht der Nachforderungsbescheid als solcher und der in ihm festgesetzte Steueranspruch gewesen, sondern der Streit über die Verwirklichung der Steueransprüche. Über die Frage, wem dieser Erstattungsanspruch zustehe, sei zutreffend durch Abrechnungsbescheid gemäß § 218 AO entschieden worden, da es sich um eine Streitigkeit gehandelt habe, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betroffen habe. Streitig sei die Frage gewesen, ob der Erstattungsanspruch durch die Aufrechnung gegenüber der Tochtergesellschaft erfüllt war bzw. ob dieser Anspruch nicht vielmehr der Klägerin zugestanden habe. Der Wortlaut des § 236 AO sei eindeutig und im Streitfall nicht erfüllt.

Aus den Gründen

24        Die Klage ist unbegründet.

25        Der angefochtene Bescheid vom 10. August 2015 und die Einspruchsentscheidung vom 2. September 2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zu Recht keine Prozesszinsen gemäß § 236 AO zugunsten der Klägerin festgesetzt.

26        1.              Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass der Erstattungsbetrag von ... € für die Dauer der Rechtshängigkeit der finanzgerichtlichen Klage vor dem FG Köln unter dem Aktenzeichen 7 K 2640/08 und vor dem BFH unter dem Aktenzeichen I R 11/13 bis zur Auszahlung des Erstattungsbetrags nach § 236 AO verzinst wird.

27        a.               Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis werden gemäß § 233 Satz 1 AO nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass rückständige Staatsleistungen (angemessen) zu verzinsen sind (z.B. BFH-Urteile vom 29. April 1997 VII R 91/96, BStBl II 1997, 476 und vom 16. Mai 2013 II R 20/11, BStBl II 2013, 770, jeweils m.w.N.; Kögel in Beermann/Gosch, AO/FGO, 136. Lieferung, § 236 AO Rn. 9).

28        Gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 AO entsteht ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt wird. Dies gilt entsprechend, wenn sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Erlass des beantragten Verwaltungsakts erledigt hat (§ 236 Abs. 2 Nr. 1 AO). Der Zweck des § 236 AO besteht darin, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. November 2000 XI R 31/00, BStBl II 2002, 119).

29        Der Anspruch auf Prozesszinsen setzt nur, aber auch zwingend voraus, dass eine festgesetzte Steuer im gerichtlichen Verfahren herabgesetzt bzw. eine Steuervergütung gewährt wird. Der Grund, der zur Herabsetzung der festgesetzten Steuer geführt hat, ist für den Anspruch auf Prozesszinsen dabei ohne Bedeutung. Der Anspruch auf Prozesszinsen besteht daher auch dann, wenn die festgesetzte Steuer im gerichtlichen Verfahren deshalb herabgesetzt oder der Steuerbescheid deshalb aufgehoben wird, weil eine Steuerschuld mangels wirksamer Bekanntgabe des Bescheids nicht bestand. Lediglich auf Überzahlung von Steuern beruhende Erstattungsansprüche, die nicht auf der Änderung oder Aufhebung einer Steuerfestsetzung, sondern z.B. auf einem erfolgreichen Rechtsstreit gegen einen Abrechnungsbescheid oder auf Billigkeitsmaßnahmen beruhen, werden nach § 236 AO nicht verzinst (BFH-Urteile vom 12. Mai 1987 VII R 203/83, BStBl II 1987, 702 und vom 16. Mai 2013 II R 20/11, a.a.O.; Rüsken, in Klein, AO, 13. Aufl., § 236 Rn. 10 m.w.N.; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, 150. Lieferung 10.2017, § 236 AO, Rn. 9; Kögel, in Beermann/Gosch, AO/FGO, 136. Lieferung, § 236 AO Rn. 14; Heuermann, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand August 2015, § 236 AO Rn. 13).

30        Steuererstattungsansprüche werden dann nicht nach § 236 verzinst, wenn um sie selbst in der Hauptsache gestritten wird, z.B. infolge von Überzahlungen oder doppelter Zahlung im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Abrechnungsbescheid (Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, 150. Lieferung 10.2017, § 236 AO, Rn. 5; Kögel, in Beermann/Gosch, AO/FGO, 136. Lieferung, § 236 AO Rn. 12). In diesen Fällen erfolgt keine Verzinsung, weil der Rechtsstreit nicht dadurch beendet wird, dass eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird, mithin die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 236 schlicht nicht erfüllt sind. Die analoge Anwendung des § 236 scheitert an einer fehlenden Regelungslücke (Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, 150. Lieferung 10.2017, § 236 AO, Rn. 5)

31        b.              Hiernach ist der Erstattungsbetrag nicht für die Dauer der Rechtshängigkeit der Klagen wegen der Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheids vom 14. Februar 2007 vor dem FG Köln unter dem Aktenzeichen 7 K 2640/08 und vor dem BFH unter dem Aktenzeichen I R 11/13 zu verzinsen. Es fehlt an der für die Erfüllung des Zinstatbestands nach § 236 Abs. 1 AO erforderlichen Herabsetzung einer festgesetzten Steuer bzw. der Gewährung einer Steuervergütung durch oder aufgrund einer rechtskräftigen Entscheidung in diesem Verfahren.

32        In dem Verfahren vor dem FG Köln unter dem Aktenzeichen 7 K 2640/08 und vor dem BFH unter dem Aktenzeichen I R 11/13 wurde – nur noch – über den Erstattungsanspruch selbst gestritten, namentlich darüber, ob er der B GmbH zustand und durch Aufrechnungserklärung des Beklagten erloschen war, oder aber ob er der Klägerin zustand und daher noch zu erfüllen war. Eine Steuerherabsetzung, die ihrerseits erst zu einem Erstattungsanspruch führt, war nicht mehr Gegenstand dieses Verfahrens und erfolgte weder durch noch aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung in diesem Verfahren. Wenn auch nach den vorgenannten Entscheidungen des FG Köln und des BFH in der Sache unzutreffend, hat der Beklagte verfahrensrechtlich richtigerweise über diese Frage des Erhebungsverfahrens durch Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO entschieden. Einer besonderen Festsetzung des Steuererstattungsanspruchs durch „Steuererstattungsbescheid“ hatte hingegen nicht zu erfolgen. Denn die Abgabenordnung kennt, abweichend von §§ 150 ff. der Reichsabgabenordnung, kein besonderes Erstattungsverfahren, so dass Erstattungsansprüche nicht festgesetzt werden (vgl. z.B. Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, 135. Lieferung, § 37 AO Rn. 88f; Ratschow, in Klein, AO/FGO, 13. Aufl., § 37 Rn. 45). Rechtsgrundlage der Erstattung ist vielmehr der Steuerbescheid, mit dem die Steuer niedriger als die Vorauszahlungen festgesetzt wird, bzw. der Änderungsbescheid, mit dem die zuvor festgesetzten Steuern herabgesetzt wird. Daher bestand der Erstattungsanspruch bereits mit der Aufhebung des Nachforderungsbescheids gegenüber der B GmbH vom 12. März 2001 durch den Beklagten.

33        Das nachfolgende Verfahren vor dem FG Köln und dem BFH gegen den Abrechnungsbescheid vom 18. März 2008 hinsichtlich der Frage, wer Gläubiger des Erstattungsanspruchs ist und ob der Erstattungsanspruch durch Aufrechnung erloschen war, betraf nur noch das dem Festsetzungsverfahren nachgelagerte Erhebungsverfahren, das Festsetzungsverfahren war mit der Aufhebung des Nachforderungsbescheids abgeschlossen.

34        Der Senat folgt der Klägerin nicht in ihrer Auffassung, der Abrechnungsbescheid vom 18. März 2008 stelle sich aus dem Grund als Teil des Festsetzungsverfahrens dar, weil er den Gläubiger eines Erstattungsanspruchs im Sinne des § 37 Abs. 2 AO bestimmte, so dass die Änderung dieses Abrechnungsbescheids der Herabsetzung einer Steuerfestsetzung oder der Gewährung einer Steuervergütung im Sinne des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO gleichstehe. Zwar kann ausnahmsweise die Festsetzung eines Erstattungsanspruchs erforderlich sein, namentlich in den Fällen der Über- oder Doppelzahlung, in denen keine Steuer festgesetzt bzw. herabgesetzt werden kann, aber auch kein Streit über die Verwirklichung des Erstattungsanspruchs besteht (vgl. Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, 139. Lieferung, § 218 AO Rn. 7f. m.w.N.). Im Streitfall dagegen beruht das Entstehen des Erstattungsanspruchs auf der Aufhebung des Nachforderungsbescheids gegenüber der B GmbH vom 14. Februar 2007, die ihrerseits nicht durch oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung im Verfahren vor dem FG Köln unter dem Aktenzeichen 7 K 2640/08 und vor dem BFH unter dem Aktenzeichen I R 11/13 erfolgte. Die in diesem Verfahren allein streitige Frage, ob der Klägerin der Erstattungsanspruch zusteht oder ob dieser durch Aufrechnung gegenüber der B GmbH erloschen war, gehört bereits zum Erhebungsverfahren, so dass während der Rechtshängigkeit dieser Klage eine Erstattung nach § 236 Abs. 1 AO ausscheidet. Eine Verzinsung nach § 236 Abs. 1 AO kommt nach dem klaren Wortlaut der Rechtsnorm für ein gerichtliches Verfahren, dessen Gegenstand nicht die Herabsetzung einer Steuer, sondern nur die Frage ist, ob ein bereits entstandener Erstattungsanspruch durch Aufrechnung gegenüber einem Dritten wieder erloschen ist, nicht in Betracht.

35        2.              Eine Verzinsung des Erstattungsanspruchs nach § 236 FGO kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Rechtshängigkeit der Klage der Klägerin wegen der nicht erteilten Freistellungsbescheinigung vor dem 2. Senat des FG Köln (2 K 2916/02) in Betracht. Diese Argumentation klingt bei der Klägerin an, wenn sie vorträgt, dass im vorliegenden Streitfall schließlich der Nachforderungsbescheid gegenüber der B GmbH aufgehoben worden sei.

36        Zwar endete dieses Verfahren mit einem rechtskräftigen Urteil, woraufhin das damalige BfF die begehrte Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 3 EStG a.F. erteilte und der Beklagte den Nachforderungsbescheid gegenüber der B GmbH schließlich aufhob. Die Steuerfestsetzung durch den Nachforderungsbescheid gegenüber der B GmbH war aber nicht Gegenstand eines finanzgerichtlichen Verfahrens, so dass die Aufhebung nicht durch oder aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung erfolgte.

37        Der nur mittelbare Zusammenhang mit der Verurteilung des BfF, eine Freistellungsbescheinigung zu erlassen, reicht insoweit nicht aus. Der Begriff „aufgrund“ ist dahingehend zu verstehen, dass die Finanzbehörde die Steuer nach Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheids durch das Gericht gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO weisungsgemäß herabsetzt (BFH-Urteil vom 29. August 2012 II R 49/11, BStBl. II 2013, 104); nicht jeder mittelbare Zusammenhang einer Steuerherabsetzung mit einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung ist unter den Begriff „aufgrund“ zu subsumieren.

38        Da die Freistellungsbescheinigung auch keinen Grundlagenbescheid für den Aufhebungsbescheid vom 14. Februar 2007, mit welchem der Nachforderungsbescheid gegenüber der B GmbH vom 12. März 2001 aufgehoben wurde, darstellt, liegen auch die Voraussetzungen für eine Verzinsung nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 AO nicht vor.

39        3.              Schließlich ist § 236 AO vorliegend auch nicht entsprechend anzuwenden. Voraussetzung einer Analogie ist die planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts (z.B. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2007 I R 52/07, BStBl. II 2008, 431). Ein solcher Fall liegt (nur) vor, wenn das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und der ihm immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer gesetzlich gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Grundsätzlich ist zwar auch § 236 AO einer Lückenausfüllung im Wege einer Analogie zugänglich; § 233 AO steht dem nicht grundsätzlich entgegen. Unter Berücksichtigung der in § 233 Satz 1 AO getroffenen Regelung hat aber der Zinstatbestand des § 236 AO einen ersichtlich abschließenden Charakter. Nach Auffassung des BFH, der der erkennende Senat folgt, sind daher an eine lückenausfüllende Rechtsfortbildung des § 236 AO strenge Anforderungen zu stellen (vgl. nur BFH-Urteil vom 29. August 2012 II R 49/11, BFH/NV 2013, 276).

40        Nach diesen Maßstäben ist eine derartige planungswidrige und damit ausfüllungsbedürftige Regelungslücke für die vorliegende Fallgestalltung nicht zu erkennen. Eine Zinspflicht nach § 236 AO ohne dass eine Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt wird, widerspricht dem eindeutigen Wortlaut der Norm. Eine Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung insoweit ist nicht zu erkennen.

41        4.              Eine andere Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Verzinsung des Erstattungsbetrags ist nicht ersichtlich. Zutreffend hat der Beklagte keine Zinsen nach § 233a AO festgesetzt, da die Verzinsung nach dieser Vorschrift auf die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft,- Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer beschränkt ist; für die Erstattung von Kapitalertragsteuer ist eine Verzinsung nach § 233a AO nicht vorgesehen.

42        Eine allgemeine Pflicht zur Verzinsung auch außerhalb der normierten Verzinsungstatbestände besteht nicht (vgl. oben unter 1.a.).

43        5.              Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

44        Der Senat lässt die Revision hinsichtlich der Frage zu, ob die Änderung eines Abrechnungsbescheids, mit dem das Finanzamt entschieden hat, dass ein Steuererstattungsanspruch nicht dem Steuerpflichtigen, sondern einem anderen Steuerpflichtigen zusteht, der Herabsetzung einer festgesetzten Steuer bzw. der Gewährung einer Steuervergütung im Sinne des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO gleichsteht.

stats