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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
01.01.1970
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
: Rechnungszins und Inflationsrate für betriebliche Vorsorgeleistungen im nationalen und internationalen Jahresabschluss zum 31.12.2010

Jürgen Fodor, Alfred-E. Gohdes und Annette Knußmann

Rechnungszins und Inflationsrate für betriebliche Vorsorgeleistungen im nationalen und internationalen Jahresabschluss zum 31.12.2010

Ziel dieses Beitrags ist es, den bilanzierenden Unternehmen bei der Rechnungslegung für Leistungen an Arbeitnehmer unterstützende Informationen zur Wahl des maßgeblichen Rechnungszinses und der erwarteten langfristigen Inflationsrate im Euroraum zum Jahresende 2010 zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus geben die Verf. einen Überblick über die neuesten Entwicklungen beim IASB in diesem Bereich und streifen zu diesem Thema auch relevante Bestimmungen im neuen deutschen Handelsrecht.

I. Einleitung

Die sich in diesem Jahr schnell stabilisierende Konjunktur sowie die kontinuierliche Anhebung der mittelfristigen Wachstumsprognosen haben nicht nur zu einer deutlichen Entspannung auf den Arbeitsmärkten sondern insbesondere auch auf den Kapitalmärkten geführt. Allerdings reagieren Kapitalanleger immer noch sehr nervös auf unerwartete Ereignisse, so dass die am Markt zu beobachtenden Renditen kurzfristig immer noch teilweise deutlichen Schwankungen unterliegen.

Vermutlich auch wegen der im Rahmen der Konjunkturpakete bereitgestellten Liquidität liegen die Kapitalmarktzinsen aktuell auf niedrigem Niveau. Obwohl in den letzten Wochen Anzeichen für ein steigendes Zinsniveau zu verzeichnen waren, werden Unternehmen, die ihre Vorsorgeleistungen nach internationalen Rechnungslegungsvorschriften bilanzieren, nicht zuletzt wegen der wahrscheinlich zu erwartenden Entwicklung bis zum Ende des Kalenderjahres, wieder vor neue Herausforderungen gestellt.1

Auch im Jahr 2010 verharrte die Renditedifferenz (der sog. Spread) zwischen Staatsanleihen und AA-Unternehmensanleihen unverändert auf vergleichsweise hohem Niveau, auch wenn der Spread sich volatil verhielt. Hinzu kam, dass die unterschiedlichen Methoden, die die verschiedenen Beobachter zur Bestimmung der "Marktrenditen" verwenden, zu z. T. stark divergierenden Ergebnissen bei der Abbildung der Marktverhältnisse führten.

Daneben herrschte weltweit Sorge und Unsicherheit über die langfristige Entwicklung der Inflation, obwohl die gemessene Inflation immer noch auf niedrigem Niveau verblieb.

In Deutschland ist nach Meinung der Verf. eine durchschnittliche Verbraucherpreissteigerung im Jahr 2010 von etwa 1 % zu erwarten. Damit ist die nach dem sog. harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) gemessene durchschnittliche Inflationssteigerung zwar deutlich höher als die noch im Vorjahr gemessene Inflation in Höhe von 0,2 %. Dennoch läge sie damit auf deutlich niedrigerem Niveau als noch im Jahr 2008 (2,8 %).

Im April dieses Jahres hat der IASB seinen lange angekündigten Exposure Draft zu IAS 192 vorgelegt. Neben erwarteten Änderungsvorschlägen enthielt dieser auch wieder Neuerungen, die nicht nur in Fachkreisen zu Diskussionen und einer Vielzahl von eingereichten Stellungnahmen geführt haben.

Kurzfristig zu beachten sind die in diesem Jahr vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) veröffentlichten Auslegungsrichtlinien3 zum Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG).4 Sie erläutern u. a. den Rahmen, in dem Unternehmen zukünftig die Annahmen für die Bewertungen für die deutsche Handelsbilanz setzen können. Da der zu verwendende Rechnungszins monatlich von der Bundesbank fixiert und veröffentlicht wird,5 sind nur die weiteren Bewertungsparameter nach HGB analog zu den Bestimmungen nach den IFRS und US-GAAP nach dem Prinzip der besten langfristigen Schätzung zu wählen. Die nachstehenden Überlegungen zum Thema langfristige Inflationsrate sind daher auch für den nationalen Jahresabschluss relevant.

II. Entwicklungen beim IASB 1. ED zu IAS 19

Der IASB hat im April 2010 seinen schon im Jahr 2009 erwarteten Exposure Draft (ED) veröffentlicht. Durch die vorgeschlagenen neuen Bestimmungen sollen sowohl die Transparenz der Rechnungslegung verbessert als auch die derzeit noch vielfach bestehenden Wahlmöglichkeiten verringert werden. Es ist zu erwarten, dass der Standard im ersten Halbjahr 2011 verabschiedet und im Jahr 2013 in Kraft treten wird.

Falls der ED wie vorgeschlagen übernommen würde, müssten Arbeitgeber bei der Bilanzierung künftig folgendes beachten:

  • Sämtliche Änderungen der Nettoschuld bzw. des Nettovermögens wären sofort in der Bilanz und in der Eigenkapitalveränderungsrechnung zu erfassen. Hierbei handelt es sich u. a. auch um versicherungsmathematische Gewinne und Verluste aufgrund von Abweichungen zwischen den erwarteten und den tatsächlichen Entwicklungen, Änderungen der Bewertungsannahmen, Gewinne und Verluste aus Planvermögen sowie Auswirkungen von Änderungen der Zusage (Planänderungen).
  • Anstelle des Zinsaufwands und der erwarteten Vermögenserträge wäre der Zinsertrag/-aufwand anzusetzen, der auf die Nettoschuld bzw. das Nettovermögen des Plans in der Bilanz entfällt. Der Ermittlung liegt der maßgebliche Rechnungszins zugrunde.
  • Jahr: 2010 Heft: 49 Seite: 3011
  • Der Altersversorgungsaufwand sowie der Aufwand für alle sonstigen Verpflichtungen wären für die Darstellung in der Eigenkapitalveränderungsrechnung wie folgt aufzuschlüsseln:
  • Personalaufwand,
  • Finanzaufwand und
  • anpassungsbedingter Aufwand.

Letzterer beinhaltet alle versicherungsmathematischen Gewinne und Verluste sowie die Auswirkungen von Planabgeltungen. Der anpassungsbedingte Aufwand ist künftig ausschließlich im erfolgsneutralen Teil der Eigenkapitalveränderungsrechnung zu erfassen. Im Gegensatz dazu gehen der Personal- und der Finanzaufwand in die Gewinn- und Verlustrechnung ein.

  • Die zukünftigen Kosten für die Planverwaltung wären beim Dienstzeitaufwand und bei der Defined Benefit Obligation (DBO) zu berücksichtigen. Allerdings besteht unter Beobachtern eine große Unsicherheit, ob der IASB die Auswirkungen dieser Vorgabe vollständig bedacht und gewollt hat.
  • Der Umfang der ergänzenden Anhangsangaben wäre erheblich zu erweitern, um ein besseres Verständnis für die Ausgestaltung der Pensionspläne und die damit verbundenen Risiken zu ermöglichen. Anzugeben wären dann auch Sensitivitätsanalysen, Informationen zur Entwicklung der biometrischen Annahmen, zur Bestimmung des Zeitwerts des Planvermögens und zu den pensionsplanbezogenen Zahlungsströmen. Die Anhangsanforderung, die DBO auch ohne Gehaltstrend aufzuzeigen, erfordert eine weitere Bewertung der Pensionsverpflichtungen.

Die vorgeschlagenen Änderungen würden Unternehmen - je nach Versorgungszusagen und gegenwärtiger Bilanzpolitik - unterschiedlich stark treffen.

Obwohl die vorgeschlagenen Änderungen im Vergleich zu früheren Überlegungen des IASB (beispielsweise zum Diskussionspapier vom März 2008 sowie zu den in mehreren Boardsitzungen wiederholt getroffenen vorläufigen Entscheidungen) abgeschwächt wurden, werden sie sich teilweise signifikant auf die Bilanzierung und die Offenlegung auswirken.

Bereits im Jahr 2009 begann der Stab des IASB, sich über die geplante "Fundamental Reform" nach 2011 konkrete Gedanken zu machen. Allerdings wurde die Priorität dieses Projekts im Laufe des Jahres 2010 deutlich verringert, so dass nach h. M. kein grundlegend überarbeiteter Standard IAS 19 vor 2015 zu erwarten ist.

III. Parameter zum anstehenden Bilanzstichtag

Die für die versicherungsmathematische Bewertung maßgeblichen Parameter sind jedes Jahr anhand der am Bilanzstichtag geltenden Marktverhältnisse und Einschätzungen neu festzulegen. Das Annahmenpaket umfasst neben dem Rechnungszins regelmäßig auch den erwarteten langfristigen Vermögensertrag des Planvermögens, die künftige Anpassung laufender Rentenzahlungen, Erhöhungen der Anwartschaften, sowie die biometrischen Wahrscheinlichkeiten wie Sterblichkeits- und Fluktuationsraten.

Bekanntlich gilt mit Ausnahme des Rechnungszinsfußes bei der Festlegung des Annahmenpakets das Prinzip der besten langfristigen Schätzung. Auch wenn jeder Parameter dabei separat für sich zu betrachten ist, bestehen naturgemäß Abhängigkeiten unter den verschiedenen Prämissen, die unvoreingenommen gewählt und aufeinander abgestimmt sein müssen.6 Insbesondere müssen sie die wirtschaftlichen Zusammenhänge zwischen Faktoren wie Inflation, Lohn- und Gehaltssteigerungen, Erträgen aus dem Planvermögen und Abzinsungssätzen widerspiegeln.

Von größter Bedeutung im Hinblick auf die Höhe des Verpflichtungsumfangs sind bekanntlich die Bewertungsannahmen "Rechnungszins" und "erwartete langfristige Inflation". Daher stehen diese im Rahmen der Kontrolle durch die Wirtschaftsprüfer auch 2010 vermutlich unverändert stark im Rampenlicht. Aus der Praxis kann berichtet werden, dass vor dem Hintergrund der eingangs erwähnten Unterschiede in der Ableitung der Marktrenditen insbesondere der Bestimmung des Rechnungszinses besondere Aufmerksamkeit gilt.

In Anlehnung an die Artikel aus den Vorjahren soll nur auf die beiden wesentlichen Faktoren Rechnungszins und Inflation nachfolgend näher eingegangen werden.

1. Rechnungszinsbestimmung

Der für die Diskontierung künftiger Zahlungsströme relevante Zinssatz soll sich sowohl nach den US-GAAP als auch nach den IFRS-Regelwerken an der Umlaufrendite von AA-Anleihen orientieren, die die gleiche Laufzeit haben und in gleicher Währung lauten wie die zu bewertenden Versorgungsverpflichtungen. Dabei sind die Verhältnisse am Bilanzstichtag zugrunde zu legen.

Das HGB in der Fassung des BilMoG orientiert sich zwar grundsätzlich auch an den Renditen hochwertiger Unternehmensanleihen, schlägt für die Berechnung dagegen einen anderen Weg ein: Der Rechnungszins bestimmt sich als Durchschnittswert über einen Zeitraum von sieben Jahren und wird von der Bundesbank in einem stark vereinfachten Verfahren festgelegt. Zum Ende des Jahres 2010 wird für eine Restlaufzeit von 15 Jahren (die nach der Vereinfachungsregel des HGB für alle Verpflichtungen unterstellt werden kann) ein Zinssatz von etwa 5,1 % erwartet.

a) Überlegungen bei der Auswahl der Datengrundlage

Bei den zu bewertenden Versorgungsverpflichtungen handelt es sich um langfristige Verbindlichkeiten, die meist über einen sehr langen Zeitraum, typischerweise über mehr als 30 Jahre, zu erfüllen sind. AA-Anleihen mit solch langen Laufzeiten sind am Markt eher selten bzw. gar nicht zu erhalten, so dass man für die Ableitung entsprechender AA-Renditen auf Schätzwerte angewiesen ist. Zur Bestimmung der Schätzwerte enthalten die Richtlinien aber keine konkreten Vorgaben.

Im Zuge der Volatilität an den Anleihemärkten und dem damit einhergehenden Vertrauensverlust in die Bonität der Emittenten, insbesondere in die von Finanztiteln, zeigten die Märkte erstmals gegen Ende des Jahres 2007 einen signifikanten Anstieg der Renditeabstände zwischen hochrangigen Unternehmensanleihen einerseits und Staatsanleihen andererseits. Dieser Renditeabstand ("Spread") zwischen AA- und Staatsanleihen hält sich seitdem auf historisch hohem Niveau.

Diese Entwicklung bewegt nach wie vor verschiedene Beobachter, die von unterschiedlichen Anbietern zur Verfügung gestellten Daten der am freien Kapitalmarkt gehandelten Anleihetitel näher zu analysieren. Dabei spielen die Antworten auf folgende Fragen eine wichtige Rolle:

  • Ist der gewählte Datenanbieter der Richtige? Zur Verfügung stehen eine ganze Reihe von Gesellschaften, die entsprechende Daten zur Verfügung stellen, darunter Barclays, Bloomberg und Markit.7
  • Jahr: 2010 Heft: 49 Seite: 3012
  • Sind die vergebenen Ratingstufen aktuell und richtig? Spätestens seit der Jahreswende 2007/2008 wurde die Frage gestellt, ob den anerkannten Rating-Agenturen nicht die Qualifizierung zur Abgabe von stichtagsgetreuen Bonitätseinstufungen abgesprochen werden solle.
  • Soll man neben AA-Anleihen auch andere Datengesamtheiten einbeziehen?
  • Soll man die Daten gruppieren? Manche Beobachter betrachten lediglich die von den Datenanbietern benutzte Zusammenfassung in Laufzeitgruppen, statt die Renditen von einzelnen Titeln zu betrachten, mit der Begründung, dass diese Durchschnittswerte repräsentativer seien.
  • Soll man aus der gewählten Datengrundlage bestimmte Anleihen ausschließen?
  • Welches mathematische Verfahren soll verwendet werden, um eine Kurve durch die ausgewählte Punkteschar zu ziehen?

Die Verf. stellen hier ein Verfahren vor, welches zwar auf dem des Vorjahres basiert, aber weiterentwickelt wurde. Dabei wird wie folgt vorgegangen:

b) Auswahl der Datengrundlage

Ausgangsbasis für die Betrachtungen ist die Gesamtheit der von den Ratingagenturen mit AA zertifizierten Unternehmensanleihen. In Abweichung zu den Vorjahren werden die bisher von Markit bezogenen Basisinformationen nunmehr von Bloomberg bezogen. Ein Vergleich der von diesen beiden Anbietern zur Verfügung gestellten Preis- und Renditeinformationen ergab, dass die Abweichungen sich erwartungsgemäß im vernachlässigbaren Bereich, nämlich bei den Renditen um weniger als zwei Basispunkte, bewegten.

Da Bloomberg eine deutlich umfangreichere Datenbasis unterhält, ermöglicht der Wechsel, auch Anleihen mit niedrigeren ausstehenden Nennbeträgen einzubeziehen. So werden nunmehr im Laufzeitbereich von über zehn Jahren auch Anleihen unter der von Markit gesetzten Untergrenze von 500 Mio. Euro einbezogen (diese Grenze wird jetzt bei 50 Mio. Euro gezogen). Damit wird insbesondere die Datengrundlage in dem so wichtigen Bereich der Langläufer erweitert.

Unverändert zum bisherigen Verfahren werden Anleihen mit Sondereigenschaften, wie z. B. die Möglichkeit der vorzeitigen Tilgung durch den Emittenten vor Ende der vorgesehenen Laufzeit, ausgeschlossen. Grund hierfür ist, dass diese Titel nicht die Eigenschaften von normalen festverzinslichen Anleihen aufweisen.

c) Herleitung der AA-Zinsstrukturkurve

Neben der Auswahl der Datengrundlage dem Grunde nach werden von unterschiedlichen Beobachtern auch unterschiedliche Methoden zur Ermittlung der Zinsstrukturkurve aus diesen Daten angewandt.

Üblich sind Verfahren, die in einem ersten Schritt für den Bereich bis zu einer bestimmten Laufzeit, im Folgenden als "Laufzeitgrenze" bezeichnet, auf die Renditen des gewählten Datenanbieters für diesen Laufzeitbereich zurückgreifen. In einem zweiten Schritt wird für Laufzeiten über der gewählten Laufzeitgrenze die Zinsstrukturkurve durch konstante Fortschreibung des an der Laufzeitgrenze festzustellenden Spreads zur Nullkupon-Rendite deutscher Staatsanleihen bestimmt. Wird die Laufzeitgrenze bei unter 22 Jahren angesetzt, bspw. schon bei zehn oder elf Jahren, so werden dadurch tatsächlich vorhandene Daten aus der Betrachtung ausgeklammert, was wiederum nach Meinung der Verf. nicht mit den Standards im Einklang steht.

Die verwendeten Verfahren zur Ermittlung der Zinsstrukturkurve auf Basis der bis zur Laufzeitgrenze vorhandenen Daten reichen von recht einfach gehaltenen Methoden bis zu mathematisch sehr anspruchsvollen Modellen zur Kurvenbestimmung.

Nach dem im Vorjahr vorgestellten Verfahren wurde wie folgt vorgegangen:

In einem ersten Schritt wurden auf der Grundlage der getroffenen Datenauswahl mittels eines nicht-linearen Optimierungsverfahrens aus der vorhandenen Datenmenge die sechs Parameter des sog. Nelson-Siegel-Svensson-Verfahrens8 bestimmt, mit welchem die Zinsstrukturkurve für AA-Anleihen ermittelt wurde.

Im zweiten Schritt wurde die so ermittelte AA-Zinsstrukturkurve ab einer Laufzeit von 30 Jahren konstant gehalten.

Für das Jahresende 2010 wurde das Verfahren zur Ermittlung der Zinsstrukturkurve weiterentwickelt; seit Ende September dieses Jahres wird folgendes, weiterentwickeltes Verfahren angewendet:

Im ersten Schritt werden nur solche vom Anbieter bereitgestellten Anleihen einbezogen, für die mindestens die Hälfte der vier Rating Agenturen (Moodys, Standard&Poors, Fitch und Dominion Bond Rating Service) eine mit dem AA-Rating vergleichbare Klassifizierung erteilt haben. Diese werden dann um Anleihen mit Sondereigenschaften sowie um Anleihen mit einem ausstehenden Nennbetrag von unter 250 Mio. Euro (bei Restlaufzeiten bis zehn Jahren) und von unter 50 Mio. Euro (bei Restlaufzeiten über zehn Jahren) bereinigt.

Im zweiten Schritt werden die ausgewählten Anleihen mittels des sog. "Par Bond"-Ansatzes normiert. Dadurch werden Anleihen mit unterschiedlich hohen Kupons - insbesondere Nullkupon- und normale Kuponanleihen - auf eine vergleichbare Basis gestellt. Die Normierung erfolgt dadurch, dass für jede Anleihe zunächst der tatsächliche Kupon mit der am Kapitalmarkt beobachteten Umlaufrendite gleichgesetzt wird und dann die Laufzeit so angepasst wird, bis der Preis dieser angepassten Anleihe bei 100 liegt. Dabei wird die zahlungsgewichtete Laufzeit, die sog. Duration, nicht verändert.

Im dritten Schritt werden die so normierten Anleihen in neun Restlaufzeitgruppen unterteilt. Dabei werden die Restlaufzeiten für die ersten fünf Gruppen fest vorgegeben: Bis zu einem Jahr, von ein bis drei Jahren, von drei bis fünf Jahren, von fünf bis sieben Jahren und von sieben bis zehn Jahren. Für die letzten vier Gruppen werden die Anleihen so gruppiert, dass die Summe der ausstehenden Nennbeträge in jeder Gruppe in etwa gleich hoch ist. Nun werden in jeder Gruppe jeweils 10 % der Anleihen herausgefiltert, die die niedrigsten und höchsten Umlaufrenditen aufweisen. Schließlich werden für jede der neun Gruppen die mit dem ausstehenden Nennbetrag gewichteten durchschnittlichen Laufzeiten und Umlaufrenditen ermittelt.

Im vierten Schritt wird mittels eines Cubic-Spline-Verfahrens eine Kurve durch diese neun Punkte gezogen, aus der dann mittels des sog. Bootstrapping-Verfahrens die Zinsstrukturkurve ermittelt wird. Ab einer Laufzeit von 30 Jahren wird die ermittelte Zinsstrukturkurve konstant gehalten.

d) Ermittlung des einheitlichen Rechnungszinses

Der für die Bewertung verwendete einheitliche Rechnungszins ist mittels einer nachvollziehbaren Methodik zu bestimmen.

Ein explizites Verfahren zur Ermittlung des Rechnungszinsfußes wird allerdings von den Standards nicht vorgeschrieben. Der Jahr: 2010 Heft: 49 Seite: 3013 US-amerikanische FASB hat jedoch als Anhaltspunkt9 vorgegeben, dass der Rechnungszins dem einheitlichen Zins entsprechen sollte, der zu demselben Barwert führt wie der Marktwert eines Portfolios von hochrangigen Null-Kuponanleihen, das die einzelnen Rentenleistungen zum jeweiligen Fälligkeitstermin zur Auszahlung bringt.

Daher wird immer noch vereinzelt - insbesondere von US-Wirtschaftsprüfern - dieses sog. "theoretisch korrekte" Verfahren (im Folgenden als "Theoretisches Cashflow-Matching"10 bezeichnet) als verpflichtend anzuwendendes Verfahren verlangt. Dabei wird übersehen, dass die gegebenen Anhaltspunkte nur den theoretischen Ansatz beschreiben, nicht aber die Methode als zwingend anzuwenden vorsehen. Lässt sich der beschriebene Zins auch mit einfacheren Methoden ermitteln, steht dem seitens der Richtliniengeber ausdrücklich nichts im Wege.

Da das theoretische Cashflow-Matching-Verfahren nicht nur sehr zeit- und kostenaufwändig, sondern auch von den Richtliniengebern nicht verbindlich vorgeschrieben ist, haben sich in der Praxis weniger aufwändige Näherungsmethoden etabliert, die ebenfalls zu sachgerechten Ergebnissen führen. Die ermittelten Rechnungszinsen unterscheiden sich nur unwesentlich von denen des theoretischen Cashflow-Matching.

Solche praxisgerechten Verfahren sind als sachgerecht im Sinne der Rechnungszinsfindung zu sehen, wenn sie

  • der Bestandsstruktur und der Fristigkeit der Zahlungen adäquat Rechnung tragen,
  • die Verhältnisse zum Stichtag angemessen berücksichtigen,
  • objektiv und konsistent anwendbar sind,
  • praktikabel und für außen stehende Dritte nachvollziehbar sind.

In der Praxis ist bei der Auswahl des Verfahrens zur Bestimmung des Rechnungszinses somit zu gewährleisten, dass das Verfahren die Fristigkeits- und Verpflichtungsstruktur widerspiegelt und, insbesondere für den Wirtschaftsprüfer, "nachvollziehbar" ist.

Die Verf. verwenden - wie in den Vorjahren - für ihre Bewertungen ein sog. modifiziertes Durationsverfahren. Dabei ermitteln sie für von ihnen erzeugte typische Cashflowverläufe für relevante Durationen den Barwert der Zahlungsströme durch Abzinsung der einzelnen Zahlungen mit dem aus der Zinsstrukturkurve jeweils vorgegebenen Zinssatz und bestimmen anschließend den einheitlichen Rechnungszins, der zum gleichen Barwert führt. Mit diesen Ergebnissen erhalten sie die sog. "einheitliche Rechnungszinskurve", an der der Ersatzzins anhand der Duration des jeweils zu bewertenden Versorgungswerks direkt abgelesen werden kann.

Diese einheitliche Rechnungszinskurve zum 29.10.2010 bildet die Grundlage für die im folgenden Diagramm dargestellten Rechnungszinssätze für "typische" Durationen.

2. Langfristige Inflationserwartung

Die am Anstieg der an den harmonisierten Verbraucherpreisen gemessene jährliche Teuerungsrate lag in Deutschland im Jahr 2009 bei durchschnittlich 0,2 %, die über die Eurozone harmonisierte Verbraucherpreissteigerung bei 0,3 %. In diesem Jahr erwarten die Verf. dagegen sowohl in Deutschland als auch im Euroraum gegenüber der faktischen Preisstabilität des Jahres 2009 einen moderaten Anstieg auf etwa 1,5 %.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte angesichts der im Euroraum herrschenden volkswirtschaftlichen Gesamtlage die Leitzinsen im Siebenmonatszeitraum von Mitte Oktober 2008 bis Mitte Mai 2009 von 4,25 % auf den historischen Tiefststand von 1,0 % abgesenkt. Seitdem wurde der Leitzins nicht verändert. Dies wurde von der EZB in der Sitzung vom 7.10.2010 erneut bestätigt. Zurzeit schätzt die EZB, dass sich die Wirtschaft im Euro-Währungsgebiet stabilisiert hat und sich wieder in einer moderaten Wachstumsphase befindet. Allerdings sei die Unsicherheit nach der Griechenlandkrise hoch. Auch wenn die Bandbreiten für die kurzfristigen Inflationserwartungen im September leicht nach oben korrigiert wurden, so bleiben die mittel- und längerfristigen Erwartungen der EZB jedoch unverändert bei 2 % p. a. Die Erwartungen der Finanzmärkte liegen allerdings, wie bereits gegen Ende 2009, leicht über der Zielgröße der EZB: Die Renditedifferenz zwischen nominalen und inflationsindexierten europäischen Staatsanleihen, ein Indikator der langfristigen Inflationserwartungen der Marktteilnehmer, betrug am 29.10.2010 ca. 1,7 % bis 2,4 %.11 Auch unter Hinzuziehung anderer Vergleichsgrößen erwarten die Verf. europaweit eine langfristige Inflation zwischen 1,5 % bis 2,5 % p. a., es sind aber regionale Unterschiede festzustellen. Für Deutschland liegt die erwartete langfristige Inflationsrate erfahrungsgemäß etwas unter dem europäischen Durchschnitt.

IV. Zusammenfassung

  • In Abhängigkeit vom zugrunde gelegten Referenzindex, von der ausgewählten Datenmenge und der gewählten AbleitungsmethodeJahr: 2010 Heft: 49 Seite: 3014 können sich, gerade bei den derzeitigen Marktverhältnissen, große Unterschiede im maßgeblichen Rechnungszins für IFRS bzw. US-GAAP Zwecke ergeben.
  • Die Verf. erwarten daher, dass wie im Vorjahr eine relativ große Bandbreite für den Rechnungszins als akzeptabel anzusehen ist, sofern die zugrunde liegende Methode richtlinienkonform, objektiv, nachvollziehbar und konsistent anwendbar ist. Dazu werden auch erhöhte Anforderungen an die Dokumentation des gewählten Vorgehens gestellt werden.
  • Nach dem hier vorgestellten Verfahren wird die sich zum 31.12.2010 ergebende Spanne für den Rechnungszins - bei unveränderter Fortschreibung der Verhältnisse vom 29.10.2010 (Grenzen jeweils für Rentner- und Aktivenbestände, Mischbestände innerhalb der Bandbreite) - zwischen 4,1 und 5,0 % und damit deutlich unter dem Vorjahreswert liegen.
  • Diese Ergebnisse geben die zum Stand 29.10.2010 feststellbaren Marktverhältnisse für den zum Bilanzstichtag 31.12.2010 aufzustellenden Jahresabschluss wieder. In diesem Jahr ist jedoch erneut zu erwarten, dass die am letzten Handelstag vor dem Jahresende zu beobachtenden Kapitalmarktdaten von den Verhältnissen Ende Oktober abweichen werden.12
  • Da für deutsche Versorgungsverpflichtungen zum einen die Rentenanpassungen i. d. R. nur im Dreijahresrhythmus erfolgen, zum anderen die nettolohnbezogene Obergrenze zu berücksichtigen ist und Deutschland regelmäßig eine niedrigere Inflationsrate als der gesamte Euroraum aufweist, sollte der zugrunde zu legende jährliche Rententrend langfristig geringer ausfallen als die erwartete EU-Inflationsrate von 1,5 % bis 2,5 %. Nach Meinung der Verf. dürfte daher die Langfristannahme für die jährliche Rentenanpassung in Deutschland im Bereich von 1,25 % bis 2,25 % p. a. liegen (sofern nicht eine jährliche feste 1 %ige Anpassung garantiert wurde).

Autoren

Jürgen Fodor ist als Senior Consultant bei Towers Watson, Reutlingen, tätig. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die aktuarielle Beratung verschiedener Großkunden insbesondere auf dem Gebiet der Konzernrechnungslegung sowie Grundsatzfragen der internationalen Rechnungslegung.

Alfred-E. Gohdes ist Leiter der aktuariellen Beratung bei den Towers Watson Gesellschaften in Deutschland. Schwerpunkt seiner Tätigkeit sind alle Aspekte der aktuariellen Unternehmensberatung. Er beteiligt sich auch aktiv in verschiedenen nationalen wie internationalen Fachgremien.

Annette Knußmann ist als Senior Consultant bei Towers Watson, Wiesbaden, tätig. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind die internationale Beratung verschiedener Großkunden insbesondere auf dem Gebiet der Konzernrechnungslegung sowie Grundsatzfragen der internationalen Rechnungslegung.

1

Seit 2000 jährlich im BB zu diesem Thema Gohdes/Baach bzw. seit 2009 Gohdes/Knußmann, zuletzt BB 2009, 2638 ff.; dies., BB 2010, 175; vgl. auch Thurnes/Vavra, DB 2008, 2719 ff. und Höfer/Früh/Neumeier, DB 2008, 2437 ff.; Höfer/Früh/Neumeier, DB 2009, 2389 ff.

2

Vgl. dazu z. B. Mehlinger/Seeger, BB 2010, 1523.

3

Stellungnahme zur Rechnungslegung: Handelsrechtliche Bilanzierung von Versorgungsverpflichtungen (IDW RS HFA 30 vom 9.9.2010) und Stellungnahme zum Übergang auf die neuen BilMoG-Regelungen (IDW RS HFA 28 vom 27.11.2009); vgl. dazu auch Lucius/Veit, BB 2010, 235; Lucius/Thurnes, BB 2010, 3014 (in diesem Heft).

4

Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) vom 25.5.2009, BGBl. I, 1102 ff.

5

Stapf/Elgg, BB 2009, 2134.

6

Vgl. IAS 19.72.

7

Markit stellt die iBoxx-Indexreihen zur Verfügung.

8

Genannt nach Nelson und Siegel, die 1987 ein Verfahren vorstellten, das 1995 von Svensson weiter verfeinert wurde.

9

Vgl. US-GAAP 715.30.35.44 zur theoretisch gewollten Rechnungszinsbestimmung.

10

Ausführlich zu dieser Thematik Bauer/Gohdes/Lucius/Rhiel, Der Aktuar 13/2007, 86 ff.

11

Eigene Berechnungen unter Verwendung von www.barcapint.com.

12

Der "Betriebs-Berater" wird im Januar 2011 die am letzten Handelstag des Kalenderjahrs 2010 maßgeblichen Werte veröffentlichen. Die Werte sind ab Anfang Januar abrufbar unter //BB-Online BBL2010-3014-1. Dort wird dann bis Dezember 2011 monatlich eine aktualisierte Abbildung eingestellt werden.

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