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BB-Standpunkte
22.04.2014
BB-Standpunkte
Prof. Dr. Otto Sandrock: Jetzt geht's den Industrieländern an den Kragen, und einige Unwissende führen das Wort

Auslandsvermögen wurde im vergangenen Jahrhundert zuhauf enteignet, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg: z. B. nach der russischen Oktoberrevolution von 1917 das Vermögen aller russischen Flüchtlinge; nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg das deutsche Auslandsvermögen; während der Existenz der DDR das Vermögen der "Kapitalisten", "ostelbischen Junker" und Republikflüchtlinge; während der Dekolonialisierung das Vermögen der früheren Kolonialherren durch die Entwicklungs- und Schwellenländer; usw. Die Reihe ließ sich fortsetzen. Als deutsche Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg in beachtlichem Umfang wieder im Ausland investierten, entwickelte man in Deutschland das Konzept der Investitionsförderungs- und -schutzverträge (Bilateral Investment Treaties, BITs). Durch solche Verträge ist Deutschland heute mit fast 140 Staaten der Welt verbunden. Sie schützen deutsches Auslandsvermögen insbesondere gegen Enteignungen durch die Regierungen derjenigen Gaststaaten, in denen deutsche Unternehmen investiert haben. Auch indirekte Enteignungen sind untersagt. Die Weltbank schuf im Jahre 1965 durch ihr Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten (ICSID-Konvention) sogar die Möglichkeit, dass ein Investor seinen Gaststaat direkt vor einem internationalen Schiedsgericht verklagt, wenn dieser vertraglich vereinbarte Regeln des Investitionsschutzes verletzt hat. ICSID-Schiedsgerichte spielen dabei eine hervorragende Rolle. Die ICSID-Konvention wurde von 158 Staaten ratifiziert.

Das deutsche Modell der BITs überzeugte die meisten Staaten der Welt. Selbst die USA gaben ihre frühere Praxis der FNC (Friendship, Navigation and Commerce)-Verträge zugunsten von BITs auf. Heute zählt man etwa 3500 BITs auf der ganzen Welt. Derzeit investieren aber auch Unternehmen aus vielen Entwicklungs- und Schwellenländern in erheblichem Umfang im Ausland, sogar in den Industrieländern (etwa die Volksrepublik China). Die Unternehmen aus solchen Staaten haben ihr Auslandsvermögen ebenfalls durch den Abschluss von BITs gesichert. Private Unternehmen überall auf der Welt verlassen sich also auf diesen Schutz ihrer Auslandsinvestitionen. Denn wer Millionen in fremden Staaten anlegt, will seine Investitionen keinem willkürlichen Zugriff seines Gaststaates ausgesetzt sehen. Westliche Industriestaaten haben diesen Schutz auch de facto in Hunderten von Investitionsstreitigkeiten gegen fremde Staaten vor internationalen Schiedsgerichten in Anspruch nehmen können. Gerade unter deutschen Unternehmen gilt deshalb die Devise: Keine Investitionen im Ausland, wenn sie nicht durch BITs gesichert sind. BITs unterstützen auch die deutsche staatliche Entwicklungspolitik, indem sie (neben Arbeitsplätzen im Inland) Arbeitsplätze im Ausland schaffen und technisches und anderes Know-how dorthin exportieren.

Aber welch, Grausen! Jetzt werden sogar Industriestaaten vor internationale Schiedsgerichte "gezerrt", weil sie das Eigentum ausländischer Investoren verletzt haben sollen. So geschehen z. B. im Falle Vattenfall gegen Deutschland. Deutschland hatte im Zuge seiner Energiewende von Vattenfall verlangt, seine beiden Kernreaktoren Brunsbüttel und Moorburg stillzulegen. Deutschland ist deshalb jetzt zwei Mal vor einem internationalen Schiedsgericht verklagt worden. Ein Aufschrei geht durch das Land. "Verantwortungsbewusste" Unwissende verlangen das Ende des bisherigen Investitionsschutzes. Die Kompetenz zum Abschluss von BITs ist in der EU jetzt allerdings auf die Europäische Kommission übergegangen. Also soll doch die Kommission verhindern, dass Deutschland auf Grund von BITs verklagt werden kann. Es geht um die deutsche Energiewende, um Verbraucher- und Gesundheitsschutz usf. Im Augenblick wird gerade um das EU-Freihandelsabkommen mit den USA (Transatlantic Trade & Investment Partnership, TTIP) gerungen. Nicht nur Genmais und gechlorte Hähnchenbrüste kommen dabei zur Sprache, sondern auch der Investitionsschutz. Unser Wirtschafts- und Energieminister "will dabei insbesondere auf die umstrittenen geheimen Schiedsgerichte verzichten" (FAZ v. 24.3.2014, S. 15). Er übersieht dabei zwar, dass in den meisten solcher ICSID-Schiedsverfahren alle zwischen den Parteien und dem Gericht ausgetauschten Dokumente im Internet eingesehen werden können. Aber was tut das schon zur Sache? Die richtige Ideologie wird dem Minister von anderer Seite geliefert, so z. B. von der "Monde Diplomatique" vom 8.11.2013: "De facto ist der Ruf nach überstaatlichen Schiedsgerichten, in denen Wirtschaftsanwälte das Sagen haben, ein Affront und eine Herausforderung der Souveränität aller beteiligten Staaten. Große Konzerne, private Vereinigungen privater Geschäftemacher, maßen sich an, eine Sondergerichtsbarkeit für ihre Privatinteressen zu verlangen, die es ihnen erlauben soll, gegen jede Regelung, jede Gesetzgebung eines Staates, die ihnen nicht passt, milliardenschwere Schadensersatzklagen anzustrengen." Der Nachweis, ein "geheimes Schiedsgericht" habe dort, wo es gerechtfertigt wäre, jemals umweltschutzrechtliche, gesundheits- oder verbraucherschützende Normen verletzt, wird dabei nicht erbracht. Stattdessen verweist man bei der Diskussion des TTIP darauf, europäische und US-amerikanische staatliche Gerichte könnten doch die Aufgabe solcher Schiedsgerichte übernehmen. Dass diese Gerichte hierfür ungeeignet sind und Verfahren vor ihnen hohe Kosten verursachen, übersieht man in Berlin. Solchen Unwissenden kann man nur mit Heinrich Heine antworten: "Denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht."

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