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BB-Standpunkte
26.05.2014
BB-Standpunkte
Prof. Niko Härting, RA: Google Spain – Kommunikationsfreiheit vs. Privatisierungsdruck

Das EuGH-Urteil zu Google Spain ist ein Paukenschlag. Die Luxemburger Richter sehen Google in der Pflicht, die Persönlichkeitsrechte europäischer Bürger zu schützen. Nur „in besonders gelagerten Fällen“ soll es noch einen Vorrang der Informationsfreiheit vor der Privatsphäre geben.

Es ging um einen Fall, der eine ausführliche Abwägung zwischen Privatsphäre und Informationsinteressen erwarten ließ: Ein spanischer Bürger, dessen Grundstück 1998 versteigert wurde, störte sich daran, dass eine amtliche Bekanntmachung dieser Maßnahme mehr als ein Jahrzehnt später noch im Netz auffindbar war.

Dass der spanische Kläger jegliche Erinnerung an die Zwangsversteigerung tilgen wollte, ist mehr als verständlich. Für heutige Geschäftspartner mag es jedoch durchaus noch von Interesse sein, von den vergangenen Schwierigkeiten zu erfahren. Und ganz allgemein stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß es richtig ist, Informationen dadurch zu privatisieren, dass man einem „Betroffenen“ Verbots-, Entfernungs- und Löschungsrechte gibt.

Sehr ausführlich, anschaulich und überzeugend beschreiben die Luxemburger Richter die Unannehmlichkeiten, die mit der Informationssuche verbunden sein können. Durch die Eingabe des Namens einer beliebigen Person in die Suchmaske erhält man sekundenschnell eine Ergebnisliste, die viel über die Person verrät. Wie unbehaglich dies sein kann, habe ich vor einigen Jahren am eigenen Leib erfahren, als mich eine Stalkerin immer wieder mit Informationen konfrontierte, die das Ergebnis einer höchst intensiven Google-Personensuche waren.

Leider erweisen sich die EuGH-Richter als auf dem anderen Auge blind. Liest man das Urteil, vermisst man jegliche Würdigung der überragenden Bedeutung der Google-Suche für unseren alltäglichen Informationsbedarf. Ob vom Desktop, Tablet oder Smartphone: Google ist im Zweifel unsere erste Anlaufstelle. Und:„Was bei Google nicht gefunden wird, gibt es nicht.“ Möchte ich eine Information, die über mich im Internet kursiert, unterdrücken, ist die zwangsweise Entfernung aus dem Google-Index wie ein Sechser im Lotto.

Die Meinungs-, Kommunikations- und Informationsfreiheit kommt in dem gesamten Urteil nur ganz am Rande vor. Mit einem lapidaren Satz wird es Google verwehrt, sich auf das datenschutzrechtliche Medienprivileg zu berufen. Und Art. 11 der europäischen Grundrechtecharta (Meinungs- und Informationsfreiheit) wird in dem gesamten Urteil nicht einmal erwähnt.

In Deutschland liegt der Marktanteil der Google-Suchmaschine bei mehr als 90 %. Google ist damit eine Hauptschlagader des Informationsflusses. Die weitreichenden Löschpflichten, die der EuGH Google auferlegt, sind daher ein empfindlicher Rückschlag für die Kommunikationsfreiheit in Deutschland und in Europa. Google wird unfreiwillig in die Rolle einer zentralen Anlaufstelle gedrängt, wenn es um die Unterdrückung von Informationen jedweder Art geht.

Hätte das Gericht genauso entschieden, wenn es sich bei Google um einen europäischen Weltkonzern handeln würde? Ich glaube nein. Denn die Richter dürften nicht ganz unbeeinflusst gewesen sein von der zunehmenden Dämonisierung amerikanischer Internetkonzerne in Europa.

Google, Apple, Microsoft, Facebook: Die Giganten der digitalen Kommunikation sind US-amerikanische Unternehmen. Europa hat schon lange den Anschluss verpasst und versucht, durch Skandalisierung und Regulierung den Abstand zu verkürzen, statt konsequent und entschlossen eine einheimische Start-Up-Kultur zu fördern, die dem Silicon Valley Paroli bieten kann. Den einen Tag diskutiert man über immer höhere Strafen für Datenschutzverstöße, um am nächsten Tag über ein „Schengen-Netz“ zu phantasieren und die Zerschlagung von Google mit den Instrumenten des deutschen Kartellrechts zu erwägen.

Der größte Tummelplatz für trotzige Phantasien im europäisch-amerikanischen Wettbewerb ist die europäische Datenschutzreform. Kommission und Parlament überbieten einander bei dem Feilen an Vorschriften, die auf Google, Facebook & Co. abzielen, aber für jedes datenverarbeitende Unternehmen in Europa gelten werden.

Schwerfällige Einwilligungserfordernisse, „Recht auf Vergessenwerden“, „Privacy by Default und Design“: All dies hilft keinem Start-Up aus Kreuzberg, das an einer Suchmaschine der nächsten Generation bastelt. Und ein Gigant wie Google wird Wege finden, mit den neuen Regularien zurechtzukommen.

Bei dem Versuch einer Bändigung amerikanischer Unternehmen drohen vielfältige Kollateralschäden: Europäische Mittelständler werden mit administrativem Aufwand („red tape“) belastet, der nur uns Anwälte und Datenschutzberater freuen wird. Und die Kommunikationsfreiheit in Europa wird schleichend ausgehöhlt, wenn sich ein europäisches Gericht allzu stark dazu veranlasst sieht, seine Muskeln spielen zu lassen.

Ein stetiger Strom von Löschanfragen wird Google nicht erspart bleiben. Und es wäre für Google am bequemsten, der Luxemburger Linie zu folgen und – „im Zweifel“ – stets zu löschen. Im Kampf um den freien Zugang zu Informationen in Europa sind wir jetzt darauf angewiesen, dass sich Google nicht in eine Komfortzone begibt und unsere Kommunikationsfreiheit gegen den Privatisierunsgsdruck entschlossen verteidigt.

Prof. Niko Härting, RA, ist Partner von HÄRTING Rechtsanwälte, Berlin, und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin. Seine Tätigkeitsschwerpunkte bilden das Medien- und Internetrecht.

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