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BB-Standpunkte
01.06.2017
BB-Standpunkte
Stefan Skulesch: Bundesverfassungsgericht bremst Willkür im Steuerrecht

Untergang steuerlicher Verlustvorträge teilweise verfassungswidrig

Das lange Warten hat ein Ende. Fast sechs Jahre nach der Vorlage durch das FG Hamburg hat das BVerfG mit Beschluss vom 29.3.2017 entschieden: Die Regelungen des § 8c des Körperschaftsteuergesetzes, wonach bei einer Übertragung von mehr als 25 % bis zu 50 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft deren körperschaftsteuerliche und gewerbesteuerliche Verlustvorträge untergehen können, sind verfassungswidrig (Az.: 2 BvL 6/11). Das Gesetz ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

Die Karlsruher Richter machten deutlich, dass „ein sachlich einleuchtender Grund“ für die Beschränkung fehle. Eine derartige „Willkür des Gesetzgebers“ sei nicht durch die Intention begründbar, missbräuchliche Steuergestaltungen einzudämmen. Zu Recht: Denn die vom Gesetzgeber definierten Grenzen für die Verlustnutzung waren aus der Luft gegriffen. Entsprechend muss die Bundesregierung nun rückwirkend für die Zeit vom 1.1.2008 bis 31.12.2015 eine Neuregelung treffen, andernfalls tritt rückwirkend ab 2008 Nichtigkeit ein.

Seit 1.1.2008 war der Verlustabzug bei Kapitalgesellschaften beschränkt, sobald innerhalb eines Fünf-Jahres-Zeitraums mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals oder der Stimmrechte an einer Körperschaft mittelbar oder unmittelbar übertragen wurden. Die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb bestehenden, nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte (Verlustvorträge) gingen grundsätzlich anteilig, bzw. bei einer Übertragung von mehr als 50 % vollständig unter. Damit sollten Mantelkaufgestaltungen eingedämmt werden, bei denen Kapitalgesellschaften ohne operativen Geschäftsbetrieb erworben wurden, um deren Verlustvorträge zu nutzen.

Das BVerfG stellt klar, dass eine Missbrauchsbekämpfung nicht zu einer unverhältnismäßigen Ungleichbehandlung für Körperschaften führen darf. Die Richter lassen nicht den Hauch eines Zweifels, dass der Gesetzgeber im Falle des § 8c Satz 1 KStG über das Ziel hinausgeschossen ist und gegen das Willkürverbot verstoßen hat.

Insbesondere kritisieren die Richter, dass schon eine Übertragung ab 25 % der Anteile einen Sachverhalt darstellen soll, dem mit einer Missbrauchsregelung begegnet werden müsse. Während der klassische Missbrauchsfall des sog. Mantelkaufs dadurch gekennzeichnet ist, dass eine inaktive Gesellschaft vorrangig mit dem Ziel der Nutzung bestehender Verlustvorträge erworben wird, könne es eine Vielzahl von nicht-steuerlich motivierten Gründen dafür geben, eine Minderheitsbeteiligung an einer Verlust tragenden aktiven Gesellschaft zu erwerben. Eine abstrakte Missbrauchsgefahr reiche aber nicht aus, um einen derart gravierenden Eingriff zu begründen.

Ebenso wurde die Argumentation des Gesetzgebers durch das BVerfG verworfen, wonach eine wirtschaftliche Identität zwischen der verlustnutzenden und verlustverursachenden Gesellschaft ab einer Übertragung von mehr als 25 % der Anteile aufgrund der damit verbundenen Sperrminorität nicht mehr gegeben sei. Beim Erwerb einer Minderheitsbeteiligung könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Neugesellschafter nachhaltigen Einfluss auf die Unternehmensgeschicke nehmen könne. Vielmehr werde eine Gesellschaft durch ihren Unternehmensgegenstand und ihr Betriebsvermögen geprägt. Ob diese Sichtweise auch für Erwerbe von mehr als 50 % der Anteile hält, hat Karlsruhe allerdings offen gelassen.

Die seit 2010 geltenden Auflockerungen über die Konzernklausel und die Stille-Reserven-Klausel könnten an der Verfassungswidrigkeit ebenfalls nichts ändern, da sie die übermäßige Eingriffswirkung der Regelung nicht beseitigen.

Dagegen hat das BverfG ausdrücklich keine Aussage dazu getroffen, ob die seit 1.1.2016 geltende fortführungsgebundene Escape-Regelung nach § 8d KStG verfassungskonform ist. Verfassungswidrig sei ausschließlich die im Zeitraum zwischen 1.1.2008 und 31.12.2015 geltende Regelung. Da die Richter jedoch dezidiert auf die Vermeidung von Missbrauchskonstellationen abstellen, und diese bei „aktiven“ Gesellschaften (im Gegensatz zu Mantelgesellschaften) nur schwer anzunehmen ist, spricht viel dafür, dass der § 8d-Escape eine Verfassungswidrigkeit des § 8c Satz 1 KStG vermeiden könnte.

Gelingt dem Gesetzgeber keine Neuregelung bis 31.12.2018 tritt laut BVerfG rückwirkend Nichtigkeit ab 2008 ein. Mit dieser unmissverständlichen Klarstellung soll offensichtlich einem Rechtsschwebezustand für den Fall vorgebeugt werden, dass der Gesetzgeber seiner Verpflichtung nicht nachkommt. Die skurrile Diskussion im Zusammenhang mit der Erbschaftsteuerreform lässt grüßen.

Im Interesse der Unternehmen wäre eine schnelle Neuregelung, die Rechtssicherheit schafft. Denkbar wäre, die Escape-Regelung nach § 8d KStG rückwirkend ab 2008 in Kraft treten zu lassen. Profitieren werden davon letztlich nur die Unternehmen, bei denen die steuerliche Veranlagung für die Jahre 2008 bis 2015 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung oder vorläufig erfolgte, oder die Einspruch gegen den teilweisen Untergang der Verlustvorträge eingelegt haben. Nur sie können auf eine Steuererstattung hoffen.

 

Stefan Skulesch ist Rechtsanwalt, Steuerberater, Counsel im Frankfurter Büro der Wirtschaftskanzlei Bryan Cave. Sein Tätigkeitsspektrum umfasst die dauerhafte steuerrechtliche Begleitung von Unternehmen bei komplexen nationalen und grenzüberschreitenden Sachverhalten, die neben dem Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerrecht auch das Umsatzsteuer-, Grunderwerbsteuer- sowie Außensteuerrecht und das Transfer Pricing beinhalten. Im Vordergrund stehen multinationale M&A-Transaktionen sowie gestaltende Fragestellungen bei geplanten Umstrukturierungen.

 

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