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Arbeitsrecht
25.10.2012
Arbeitsrecht
ArbG Berlin: Diskriminierung - Kopftuch

ArbG Berlin, Urteil vom 28.03.2012 - 55 Ca 2426/12


Leitsatz


1) Trägt eine muslimische Frau in der Öffentlichkeit ein Kopftuch, ist dies als Teil ihres religiösen Bekenntnisses und als Akt der Religionsausübung anzuerkennen.




2) Wird eine Bewerberin bereits vor dem Abschluss des Bewerbungsverfahrens aus dem Kreis der in Betracht zu ziehenden Bewerberinnen ausgeschlossen, weil sie auf Nachfrage des potentiellen Vertragspartners angibt, das Kopftuch auch während der Arbeitszeit nicht ablegen zu wollen, wird die Bewerberin wegen ihrer muslimischen Religionszugehörigkeit diskriminiert.




3) Gesetzgeberische Intention des AGG ist es auch, dass sich die Subjekte der Vertragsfreiheit nicht von dem Gedanken leiten lassen mögen, der potentielle Vertragspartner zeige in Lebensfragen im Sinne von § 1 AGG eine Haltung, die von der Mehrheitshaltung abweicht.


Sachverhalt


Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch.


Die Beklagte zu 1. ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, welche eine Zahnarztpraxis betreibt. Der Beklagte zu 2. ist einer der Gesellschafter und Zahnärzte.


Die Klägerin machte ihren Abschluss am Studienkolleg der Freien Universität (vgl. Zeugnis vom 17. Juni 2010, Bl. 11 d. A.) und suchte anschließend eine Ausbildungsstelle. Auf der Internetseite der Beklagten zu 1. fand sie im Juli 2011 eine ausgeschriebene Ausbildungsstelle für einen Zahnarzthelfer/eine Zahnarzthelferin. Mit Schreiben unter dem 20. Juli 2011 (Bl. 7-10 d. A.) bewarb sich die Klägerin auf diesen Ausbildungsplatz. Sie verwendete hierbei - die Klägerin ist gläubige Muslimin - ein Bewerbungsfoto, auf welchem ein Kopftuch sämtliches Haupthaar verdeckt (vgl. Bl. 7 d. A.).


Die Beklagte zu 1. bat die Klägerin zu einem Bewerbungsgespräch, welches am 23. Juli 2011 zwischen dem Beklagten zu 2. und der Klägerin stattfand. Der Beklagte zu 2. erläuterte der Klägerin hierbei u. a., dass in der Zahnarztpraxis eine einheitliche Kleidung getragen werde, die aus weißen Hosen, Hemden, T-Shirts oder Blusen bestehe (vgl. Fotografie von der Web-Site der Beklagten zu 1., Bl. 40 d. A.). Bei Operationen trügen die Beschäftigten auch einen Mundschutz und eine Haube über dem Haar. In diesem Zusammenhang fragte der Beklagte zu 2. die Klägerin, ob diese bereit sei, während der Arbeit in der Praxis das Kopftuch abzulegen. Dies verneinte die Klägerin; die weiteren Inhalte des Gespräches sind zwischen den Parteien teilweise umstritten. Unstreitig merkte der Beklagte zu 2. jedenfalls an, dass er schon einmal eine Bewerberin wegen des Kopftuches abgelehnt habe. Er habe aber großes Interesse an der Einstellung der Klägerin, da diese ihm sympathisch und als ins Team passend erscheine. Dies ginge aber nur ohne das Tragen des Kopftuches. Letzteres lehnte die Klägerin wiederum ab.


Am 25. Juli 2011 wandte sich die Mitarbeiterin der Beklagten, Frau St., im Auftrag des Beklagten zu 2. per E-Mail an die Klägerin. Dort heißt es auszugsweise:


 „Sehr geehrte Frau B.,


Herr Dr. L. bat mich nach dem positiven Bewerbungsgespräch am letzten Freitag, Sie noch einmal freundlich zu fragen, ob Sie es sich evtl. anders überlegt haben, denn er würde Ihnen sehr gerne den Ausbildungsplatz geben."


Es ist zwischen den Parteien unumstritten, dass mit dem „anders überlegt" das Tragen bzw. Ablegen des Kopftuches gemeint war.


Die Klägerin reagierte auf vorstehende E-Mail lediglich mit der Bitte um eine schriftliche Absage, die sie dem Arbeitsamt vorlegen könne. Ein solches schriftliches Dokument stellten die Beklagten der Klägerin indessen nicht aus.


Nachdem der Beklagte zu 2. alle Bewerbungsgespräche abgeschlossen hatte, führte er mit seinen Mitgesellschaftern - er allein kann über Einstellungen nicht entscheiden - ein Gespräch über den Stand der Bewerbungen. Über Inhalt und Ergebnis dieser Gesellschafterberatung herrscht zwischen den Parteien Streit.


Mit Schreiben unter dem 23. September 2011 (Bl. 13-15 d. A.) wandte sich das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des T. Bundes in Berlin-Brandenburg an die Beklagten und machte Entschädigungsansprüche wegen einer durch die Klägerin erlittenen Diskriminierung geltend. Der Beklagte zu 2. wies die Ansprüche in seinem Schreiben unter dem 24. September 2011 (Bl. 16 d. A.) zurück und machte hierbei u. a. geltend, dass in 2011 die Ausbildungsstelle letztlich überhaupt nicht mehr besetzt worden sei. Die Stellenausschreibung befand sich auch im November 2011 noch auf der Internetseite der Beklagten zu 1. (vgl. Bl. 52 d. A.). - Die Klägerin hat mit einem am 14. Dezember 2011 bei Gericht eingegangenen und beiden Beklagten am 21. Dezember 2011 zugestellten Schriftsatz Klage erhoben.


Die Klägerin behauptet, dass der Beklagte zu 2. im Bewerbungsgespräch vom 23. Juli 2011 nicht etwa auf eine Neutralität der Zahnarztpraxis und eine Kleiderordnung hingewiesen habe, sondern darauf, dass er aus Gründen der Gleichbehandlung der Frau das Tragen eines Kopftuches nicht tolerieren könne. Dieses Kopftuch sei aber nun der Ausdruck des Glaubens der Klägerin. Diesbezüglich sei eine Neutralität einer Zahnarztpraxis nicht notwendig, wie sich auch aus dem Neutralitätsgesetz Berlin vom 27. Januar 2005 ergebe.


Weiter behauptet die Klägerin, dem Beklagten zu 2. angeboten zu haben, ggf. mit Patienten über das Kopftuch zu sprechen und so Vorurteile abzubauen. Hiermit sei der Beklagte zu 2. aber nicht einverstanden gewesen. Sein Verhalten sei der Beklagten zu 1. zuzurechnen.


Das Tragen eines Kopftuches stehe nicht im Widerspruch zu einer angeblichen Kleiderordnung, denn es bestehe keine berufliche Anforderung im Sinne von § 8 AGG, ein solches nicht zu tragen. Das Kopftuch abnehmen zu müssen sei schlechterdings eine für eine Zahnarztpraxis unverhältnismäßige und ungerechtfertigte Bedingung. Eine solche Bedingung zu setzen, sei zwar Ausdruck unternehmerischer Freiheit, müsse sich aber an Artikel 4 des Grundgesetzes und am AGG messen lassen.


Werde bedacht, dass die Klägerin für den Ausbildungsplatz ausreichend qualifiziert und an der Ausbildung ernsthaft interessiert war, so zeigt sich, dass sie aufgrund ihrer Religion benachteiligt worden ist. Jedenfalls lägen Indizien hierfür im Sinne des AGG vor.


Dass es nicht zur Einstellung einer Auszubildenden gekommen sei, müsse mit Nichtwissen bestritten werden. Der Verweis auf die wirtschaftliche Lage der Beklagten zu 1. sei nur eine Schutzbehauptung. Selbst wenn die Gesellschafter beschlossen haben sollten, auch nach Durchführung von Bewerbungsgesprächen überhaupt keine Auszubildende einzustellen, so sei die Diskriminierung der Klägerin doch schon vor dieser Entscheidung geschehen gewesen. Die Beklagten schuldeten der Klägerin daher eine Entschädigung von mindestens drei Monatsausbildungsvergütungen, wobei für eine monatliche Ausbildungsvergütung im Regelfall 490,00 € angenommen werden könnten.


Die Klägerin beantragt,


die Beklagte zu 1. und den Beklagten zu 2. gesamtschuldnerisch zu verurteilen, eine angemessene Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion zu zahlen, deren genaue Höhe ins Ermessen des Gerichts gestellt wird.


Die Beklagten zu 1. und 2. beantragen jeweils,


die Klage abzuweisen.


Sie behaupten, dass der Beklagte zu 2. der Klägerin im Bewerbungsgespräch vom 23. Juli 2011 erläutert habe, dass in der Zahnarztpraxis eine einheitliche Kleidung getragen werde und es sich um eine Kleiderordnung handele, die in Zahnarztpraxen so üblich sei. Die Praxis werde so geführt, dass niemand dort politische oder religiöse Symbole tragen dürfe. Außerhalb von Zahnarztpraxis und Arbeitszeit sei alles unbenommen. Im Übrigen sei es unzutreffend, dass die Klägerin angeboten habe, ggf. mit Patienten über ihr Kopftuch zu sprechen. Die Bereitschaft hierfür zeigte aber, wie ungeeignet die Klägerin sei und sich nicht von politisch/religiöser Betätigung freihalten könne.


Die bei der Beklagten zu 1. herrschende Kleiderordnung sei Ausfluss der unternehmerischen Betätigungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die Bitte nach dem Ablegen des Kopftuches sei daher nicht diskriminierend, da die Bitte wegen der Kleiderordnung zu stellen sei und die Auszubildende jederzeit Gewähr dafür bieten müsse, bei Operationen Haube und Mundschutz zu tragen. In dem Bewerbungsgespräch und danach sei es daher zu keinerlei Benachteiligung der Klägerin wegen derer Religion gekommen. Vielmehr schütze die Berufsfreiheit das Interesse des Arbeitgebers, nur Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einzustellen, die den Vorstellungen des Arbeitgebers entsprächen.


Zur Unternehmerfreiheit gehöre es auch, von einer Stellenausschreibung Abstand zu nehmen, ohne dass es auf die Beweggründe hierfür ankäme. Tatsächlich sei in 2011 keine Auszubildende eingestellt worden. So seien die Gesellschafter übereingekommen. Der Grund habe sowohl in der wirtschaftlichen Entwicklung der Praxis im Verlauf des Jahres 2011 als auch in Notwendigkeiten von Umstrukturierungen als auch in dem Umstand gelegen, dass kein Bewerber einen abschließend überzeugenden Eindruck hinterlassen gehabt habe. Die Beklagte zu 1. habe daher das Bewerbungsverfahren abgebrochen und niemanden eingestellt.


Aus den Gründen


I. Die Klage ist zulässig. Trotz der fehlenden Bezifferung des Zahlungsbegehrens liegt kein Verstoß gegen § 253 Abs. 2 Nr. 2. ZPO vor, denn § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG legitimiert die unbezifferte Schadensersatzklage.


Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 3. c) ArbGG.


II.


Die Klage ist begründet. Der der Klägerin zuzusprechende Zahlungsanspruch findet seine Grundlage in § 15 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG.


1.


Die Klägerin ist aktivlegitimiert, denn sie gilt als Beschäftigte im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG. Hieraus sind nicht nur solche Personen zu verstehen, die mit dem Anspruchsgegner in ein Vertragsverhältnis getreten sind, sondern auch solche Personen, die sich um ein solches Vertragsverhältnis bemüht haben. Deswegen ordnet § 6 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 AGG an, dass auch Bewerberinnen für ein Beschäftigungsverhältnis als Beschäftigte im Sinne des AGG gelten. Gleichzeitig wird durch § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGG klargestellt, dass auch die zu ihrer Berufsausbildung (potentiell) beschäftigten Personen Beschäftigte im Sinne des AGG sind, das Gesetz somit nicht allein auf Arbeitnehmerinnen im engeren Sinne, sondern auch auf Auszubildende anzuwenden ist.


2.


Die Beklagten sind passivlegitimiert.


Schuldner des Schadensersatzanspruches aus § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG ist der Arbeitgeber nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG. Unschädlich ist hierbei, dass die Beklagte zu 1. niemals Vertragspartnerin der Klägerin geworden. Die Beklagte zu 1. als Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist grundsätzlich als Arbeitgeberin im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG geeignet. Wie sich aus dem Zusammenspiel von § 6 Abs. 2 Satz 1 und § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2., Satz 2 AGG ergibt, gilt als Arbeitgeber auch derjenige, bei welchem sich eine Bewerberin um ein Ausbildungsverhältnis bewirbt. Hier bewarb sich die Klägerin bei der die Stellenausschreibung in das Internet stellenden Beklagten zu 1., die auch tatsächlich Ausbilderin geworden wäre, wäre es zum Abschluss des Berufsausbildungsvertrages gekommen.


Der Beklagte zu 2. haftet aus seiner Stellung als Gesellschafter der Beklagten zu 1. für die Zahlungsverpflichtungen der Beklagten zu 1. neben dieser unmittelbar als Gesamtschuldner (§ 421 BGB). Die Beklagte zu 1. ist eine Außengesellschaft, so dass eine akzessorische Haftung der Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen eintritt.


3.


Der Klägerin ist im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG ein Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, dadurch entstanden, dass im Zuge des Bewerbungsverfahrens von Seiten der Beklagten gegen ein Benachteiligungsverbot im Sinne von §§ 7 Abs. 1 Halbsatz 1, 15 Abs. 1 Satz 1 AGG verstoßen wurde und die Klägerin hierdurch eine Diskriminierung erfuhr - und zwar wegen ihrer Religion. Eine solche Benachteiligung ist nach §§ 1, 7 Abs. 1 Halbsatz 1 AGG untersagt.


a)


Die konkrete Benachteiligung bestand daran, dass die Klägerin nach ihrem Bewerbungsgespräch am 23. Juli 2011 und ihrer abschlägigen Antwort auf die Nachfrage der Beklagten per E-Mail vom 25. Juli 2011 aus dem Kreis der weiterverfolgten Bewerbungen ausgeschlossen wurde und dies auf dem Motiv auf Seiten des Beklagten beruhte, die Klägerin komme für den ausgeschriebene Ausbildungsplatz bereits deswegen nicht in Betracht, weil sie nicht bereit sei, während der Arbeit ihr Kopftuch abzulegen.


aa)


Dieses Kopftuch stellt nicht ein gewöhnliches Kleidungs- oder Schmuckstück dar, bei welchem der Ausbilder aus Gründen der Arbeitssicherheit, der Ästhetik, der Gleichbehandlung oder der Normsetzung im Rahmen einer Kleiderordnung das Ablegen begehren könnte. Vielmehr stellt es den unmittelbaren Ausdruck der eigenen Religiosität gegenüber der Umwelt dar, und sein Tragen ist Akt der Religionsausübung. Das Tragen des Kopftuches steht nicht im Belieben der Klägerin, sondern ist Bestandteil ihres Bekenntnisses.


Vorstehendes kann nicht dadurch widerlegt werden, dass der institutionell verfasste Islam Frauen, die das Tragen des Kopftuches ablehnen, nicht zwingend außerhalb der Religionsgemeinschaft stellt. Reformorientierte islamische Geistliche und Körperschaften werten das Selbstbestimmungsrecht der Frau hier höher. Es ist die Parallele zu ziehen zu Männern jüdischen Glaubens, die die Kippa nicht tragen, oder Frauen christlichen Glaubens, die den knöchellangen Rock nicht tragen (, sondern kürzere Röcke oder Hosen). Beide mögen verbalen (oder sogar körperlichen) Angriffen ausgesetzt sein, begeben sie sich „an den falschen Ort" - etwa in eine orthodox besiedelte Stadt in Israel oder in ein Dorf im bijbelbelt in den Niederlanden -, in keinem Falle wird ihnen jedoch durch die Allgemeinheit oder die Glaubensgemeinschaft als solcher die Befähigung abgesprochen, sich wahrhaftig zum jüdischen bzw. christlichen Glauben bekennen zu können. Hieraus folgt aber nicht, das derjenige, der sich dazu entschließt, das Glaubensbekenntnis in Form eines Kopftuches, einer Kippa oder einer Mönchskutte nach außen zu tragen, dies in Ausübung einer rein individuellen, vom Glauben losgelösten und missionarischen Haltung tut. Es handelt sich nicht um eine Marotte, die nicht unter dem Schutz der Religionsausübungsfreiheit fiele, sondern um unmittelbare Ausübung der Religionsfreiheit selbst. Das Tragen des Kopftuches und die Religiosität der Klägerin sind daher eine untrennbare Einheit.


bb)


Der gewollte Ausschluss von Personen, die sich zum Islam bekennen und ihn auf ihre Art leben, stellt zwingend eine Andersbehandlung wegen der Religion dieser Personen dar. Dass es für die Beklagte zu 1. das bestimmende Motiv für die frühe Aussortierung der Klägerin war, dass diese ein ihrem religiösen Bekenntnis entsprechendes Verhalten an den Tag legen wollte, ist auf Grundlage der unstreitigen Gesprächsinhalte zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2. am 23. Juli 2011 und der am 25. Juli 2011 durch Frau St. übersandten Email festzustellen. Die Äußerungen des Beklagten zu 2. - auch die E-Mail ist ihm ausweislich ihres Textes unzweideutig zuzuordnen - lassen keinen Zweifel an der Ablehnungsmotivation zu. Er bat die Klägerin um das Ablegen des Kopftuches, er verwies darauf, bereits schon einmal eine Bewerberin wegen des Kopftuches abgelehnt zu haben, er zeigte großes Interesse an der Einstellung der Klägerin - aber nur der des Kopftuches entkleideten Klägerin -, und er ließ nachfragen, ob sich die Klägerin nicht zwischenzeitlich doch zum Ablegen des Kopftuches am Ausbildungsort entschlossen habe. Dass die Gesellschafterversammlung letztlich keine der Bewerberinnen „abschließend überzeugend" fand, hat genau in dieser Haltung des Beklagten zu 2. den Ursprung.


Nicht entscheidend ist, ob der Beklagte zu 2. am 23. Juli 2011 auf von einer Neutralität der Praxis oder von der Gleichberechtigung der Frau sprach, was zwischen den Parteien umstritten ist. Gleiches gilt für die Frage, ob die Klägerin anbot, mit Patienten über das Tragen des Kopftuches zu diskutieren.


Nach Überzeugung der erkennenden Kammer ist vorliegend eine Diskriminierung der Klägerin positiv festzustellen. Auf Indiztatsachen für die Benachteiligung im Sinne von § 22 AGG braucht daher nicht eingegangen zu werden. Die Tatsachen, die die Überzeugung der Kammer tragen, wären indessen auch solche Indizien. Somit trügen die Beklagten die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sich aus den beklagtenseits verfolgten Motiven kein Verstoß gegen die Verbotnormen der §§ 1, 7 Abs. 1 Halbsatz 1 AGG ergeben. Dieser Darlegungslast vermöchten die Beklagten nicht nachzukommen; insbesondere reichte die Behauptung nicht hin, letztendlich sei niemand eingestellt worden. Die pönalisierte Diskriminierung besteht nämlich in der gedanklichen Vorab-Aussortierung der Klägerin anhand des Merkmals der Religion.


b)


Eine objektive Notwendigkeit im Sinne von § 8 Abs. 1 AGG, die ausgeschriebene Ausbildungsstelle mit einer Person zu besetzen, die nicht dem islamischen Glaubensgemeinschaft angehörig ist, zu besetzen, ist nicht gegeben. Ebensowenig besteht eine Notwendigkeit, während der Tätigkeit in der Zahnarztpraxis aus zahnmedizinischen Gründen ein Kopftuch nicht zu tragen. Das Kopftuch ist nicht in stärkerem Maße ein Träger von Gesundheitsgefahren - etwa von Erregern oder Schmutz - als das menschliche Haupthaar. Es lässt sich mit Haube und Mundschutz ebenso leicht kombinieren wie mit einer einheitlichen Kleidung bestehend aus weißen Hosen, Hemden, T-Shirts oder Blusen. Auf den Streit der Parteien über die Frage, ob es bei der Beklagten zu 1. eine Kleiderordnung gebe, kommt es nicht an.


Eine Privilegierung der Beklagten zu 1. gemäß § 9 AGG kommt nicht in Betracht. Eine Zahnarztpraxis ist keine Einrichtung einer Religionsgemeinschaft.


c)


Von vorstehendem Ergebnis ist auch nicht deswegen abzuweichen, weil die Klägerin anhand ihrer Qualifikation von vornherein nicht für die ausgeschriebene Stelle in Frage kam. Der Abschluss am Studienkolleg vermittelt der Klägerin immerhin die allgemeine Hochschulreife. Auf Seiten der Beklagten sah man entsprechend auch eine Kandidatin für den Ausbildungsplatz mit hohem Entwicklungspotential.


d)


Der Verstoß gegen die Bestimmungen aus §§ 1, 7 Abs. 1 Halbsatz 1 AGG ist durch die Beklagte zu 1. im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG zu vertreten. Die diskriminierende Motivlage bei dem verantwortlichen Beklagten zu 2. ist der Beklagten zu 1. nach §§ 278, 714 BGB zuzurechnen.


e)


Der Eingriff in die Vertragsfreiheit der Beklagten zu 1. ist zugleich eine Eingriff der Berufsausübungsfreiheit ihrer Gesellschafter aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese steht jedoch unter Gesetzesvorbehalt, und ein solches Gesetz ist das AGG. Das AGG ist hierbei der Versuch eines gesellschaftlichen Erziehungsprogramms (auch wenn der rot-grüne Gesetzgeber niemals die Traute besaß, dies offen auszusprechen und zum Ausdruck des ureigenen Reformwillens zu machen): Es soll bewirken, dass sich die Subjekte der Vertragsfreiheit nicht von dem Gedanken leiten lassen, der potentielle Vertragspartner zeige eine Haltung, die von der Mehrheitshaltung abweicht. Im Kern soll also einem menschlichen Grundübel entgegengewirkt werden, der Xenophobie. Diese gibt es durchaus auch im progressiven Gewande. Die Frau mit Kopftuch gilt als unemanzipiert und rückständig. Dabei ist sie in Wahrheit nicht verkehrt, sondern nur anders. Und Mensch, unter dem Schutz der Gesetze.


4.


Die Kammer bemisst den Nicht-Vermögensschaden auf drei Monatsbruttoentgelte, die die Klägerin im hypothetischen Ausbildungsverhältnis mit der Beklagten zu 1. verdient hätte. Der Höhe des Monatsbrutto-Ausbildungsentgeltes in Höhe von 490,00 EUR brutto ist von Seiten der Beklagten nicht in Zweifel gezogen worden. Das Dreifache hiervon ist nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG der gesetzliche Höchstbetrag, denn es ist dafürzuhalten, dass die Klägerin auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, weil die Beklagte zu 1. letztendlich überhaupt keine Auszubildende eingestellt hat. Dieser Behauptung vermag die Klägerin nicht entgegenzutreten; dass die Stellenanzeige noch im November 2011 online war, ist unergiebig. Gleichzeitig ist aber in Ansehung des Diskriminierungstatbestandes die Festsetzung des Höchstbetrages angemessen.


5.


Ein Verfall des Anspruches nach § 15 Abs. 4 AGG kommt nicht in Betracht.


Die Frist zur Geltendmachung beträgt ausweislich § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG zwei Monate. Fristbeginn im Sinne von § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG war frühestens der 25. Juli 2012 - der Tag an welchem die E-Mail der Beklagten der Klägerin verdeutliche, dass sie das Ausbildungsverhältnis nur um den Preis des Ablegens des Kopftuches werde erhalten können. Ein Datum des Zugangs der Ablehnung ist im Übrigen nicht näher bestimmbar, da die Beklagten auf die Bitte der Klägerin, ihr eine schriftliche Absage zu erteilen, nicht reagierten. Der Schadensersatzanspruch ist durch das Schreiben des Antidiskriminierungsnetzwerkes Berlin des T. Bundes in Berlin-Brandenburg vom 23. September 2011 rechtzeitig geltend gemacht worden. Das Netzwerk ist nach § 23 AGG zur Besorgung dieser Rechtsangelegenheit für die Klägerin aufgerufen gewesen. Zugegangen ist das Schreiben spätestens am 24. September 2011, denn an diesem Tage wurde es durch die Beklagten beantwortet.


Ferner ist die Klagefrist aus § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt worden. Die Zustellung der Klageschrift am 21. Dezember 2011 liegt innerhalb der durch das Geltendmachungsschreiben vom 23. September 2011 ausgelösten Frist von drei Monaten.


III.


Die Kosten des Rechtsstreites haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen, denn sie sind vollständig unterlegen, §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 100 Abs. 4 Satz 1 ZPO. Ein Unterliegen der Klägerin ist vorliegend nicht gegeben, denn sie hat den Schadensersatzbetrag in das Ermessen des Gerichtes gestellt und selbst zuletzt den ausgeworfenen Betrag in den Raum gestellt.


IV.


Der Wert der Beschwer der Beklagten durch dieses Urteil ist gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ff. ZPO jeweils in Höhe des titulierten Schadensersatzanspruches festzusetzen. Die Klägerin ist nicht beschwert.

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