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Arbeitsrecht
13.09.2012
Arbeitsrecht
BAG: Massenentlassungsanzeige - fehlende Stellungnahme des Betriebsrats - falsche Angabe der Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer

Das BAG entschied in seinem Urteil vom 28.6.2012 - 6 AZR 780/10 - wie folgt: Ein vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwischen dem Schuldner und dem bei ihm gebildeten Betriebsrat mit Zustimmung des vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalters geschlossener Interessenausgleich mit Namensliste entfaltet nicht die Wirkungen des § 125 InsO. Vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist § 125 InsO weder unmittelbar noch analog anzuwenden. Bei der gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KSchG iVm. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 KSchG zwingend erforderlichen Angabe der Anzahl der zu entlassenden Arbeitnehmer sind auch die Arbeitnehmer mitzuzählen, die auf Veranlassung des Arbeitgebers im Wege der Eigenkündigung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden und damit einer sonst erforderlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung zuvorgekommen sind. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis davon hat, dass diese Arbeitnehmer bereits ein neues Arbeitsverhältnis begründet haben. Wird in einer Massenentlassungsanzeige die Anzahl der zu entlassenden Arbeitnehmer zu niedrig angegeben, können sich auf diesen Fehler nur die Arbeitnehmer berufen, die von der Massenentlassungsanzeige nicht erfasst sind. Die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige. Die Stellungnahme des Betriebsrats genügt den gesetzlichen Anforderungen des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG nur, wenn sie sich auf die angezeigten Kündigungen bezieht und eine abschließende Meinungsäußerung des Betriebsrats zu diesen Kündigungen enthält, wobei auch eine eindeutige Äußerung, keine Stellung nehmen zu wollen, ausreichend ist. Der Arbeitgeber kann nicht nur bei einer fehlenden Stellungnahme, sondern auch bei einer den gesetzlichen Anforderungen nicht genügenden Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG verfahren. Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt der Arbeitsverwaltung nach § 18 Abs. 1 oder § 18 Abs. 2 KSchG iVm. § 20 KSchG nicht gehindert, im Kündigungsschutzprozess die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige anzunehmen. Fehler, die dem Arbeitgeber bei der Erstattung der Massenentlassungsanzeige unterlaufen sind, werden durch einen solchen Verwaltungsakt nicht geheilt. Bereits nach allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen entfaltet allein die im Verwaltungsakt verbindlich mit Außenwirkung getroffene Regelung Bindungswirkung. Die einem Verwaltungsakt zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände sowie deren rechtliche Beurteilung gehören als Vorfragen dagegen nicht zum Regelungsinhalt. Darüber hinaus wäre das von Art. 6 MERL geforderte Schutzniveau unterschritten, wenn ein Bescheid nach §§ 18, 20 KSchG dem Arbeitnehmer die Möglichkeit abschneiden würde, sich im Kündigungsschutzprozess auf Formfehler bei den Anforderungen des § 17 Abs. 3 KSchG zu berufen. Früheren Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, die eine Heilungswirkung der Bescheide der Arbeitsverwaltung angenommen haben, ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union seit seiner Entscheidung vom 27. Januar 2005 (- C-188/03 - [Junk]) der Boden entzogen.

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