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Arbeitsrecht
05.04.2012
Arbeitsrecht
BAG: Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis - Negativattest

Das BAG hat in seinem Urteil vom 16.2.2012 - 6 AZR 553/10 - wie folgt: Für die Frage nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft bzw. einem diesbezüglich gestellten Antrag besteht ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers. Diese Frage ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach Ablauf der Frist des § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX zuzulassen, um dem Arbeitgeber ein rechtstreues Verhalten zu ermöglichen. Insbesondere im Vorfeld einer beabsichtigten Kündigung zeigt der Arbeitgeber mit dieser Frage, dass er seine zum Schutz des Schwerbehinderten bei einer Kündigung bestehenden Pflichten nach § 1 Abs. 3 KSchG und §§ 85 ff. SGB IX erfüllen will. Die Einholung eines sog. Negativattests ist für den Arbeitgeber keine gleich geeignete Alternative zur Frage nach der Schwerbehinderung. Die Frage im Vorfeld einer Kündigung diskriminiert den Arbeitnehmer nicht wegen einer Behinderung unmittelbar iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Sie setzt behinderte Arbeitnehmer nicht gegenüber Nichtbehinderten zurück. Die Frage dient vielmehr der Wahrung der Rechte und Interessen der Schwerbehinderten und ist Voraussetzung dafür, dass der Arbeitgeber die Belange des schwerbehinderten Menschen bei Kündigungen überhaupt wahren kann. § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG lässt die Frage nach der Schwerbehinderung und damit nach sensitiven Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG zu. Eine Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche als Voraussetzung einer Datenerhebung nach § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG liegt in Übereinstimmung mit der Formulierung des Art. 8 Abs. 2 Buchst. b RL 95/46/EG auch dann vor, wenn die Datenerhebung erforderlich ist, um den Rechten und Pflichten des Arbeitgebers Rechnung zu tragen. Dazu gehören auch die Pflichten des Arbeitgebers zur Beachtung der Schwerbehinderung im Rahmen der Sozialauswahl und zur Wahrung des Schwerbehindertenschutzes nach §§ 85 ff. SGB IX. Die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld von Kündigungen verletzt den schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Aus dem Grundgesetz ergeben sich insoweit keine weitergehenden Anforderungen als aus dem Unionsrecht. Das Insolvenzgericht darf nach § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter zu einzelnen bestimmt bezeichneten Maßnahmen berechtigen und verpflichten. Dazu gehört auch die Ermächtigung zur Kündigung bestimmbarer Arten von Dauerschuldverhältnissen. Ein solcher halbstarker vorläufiger Insolvenzverwalter rückt bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren hinsichtlich der Kündigungsberechtigung in die Arbeitgeberstellung ein und ist berechtigt, alle damit verbundenen Entscheidungen vorzubereiten und zu treffen. Die Verpflichtung zur Auskunft der Beschäftigten des Schuldners gegenüber dem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter umfasst alle rechtlichen und wirtschaftlichen Umstände, die für die Abwicklung des Insolvenzverfahrens oder von Gläubigerforderungen in irgendeiner Weise von Bedeutung sein können. Hierunter fällt auch die Auskunft über die Schwerbehinderteneigenschaft. Verneint der schwerbehinderte Arbeitnehmer die Frage nach seiner Schwerbehinderung im Vorfeld einer Kündigung wahrheitswidrig, ist es ihm im Kündigungsschutzprozess unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft zu berufen.

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