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Arbeitsrecht
19.05.2016
Arbeitsrecht
BAG: Entschädigung nach dem AGG - Unmittelbare Benachteiligung wegen d er Behinderung - Bewerberauswahl durch öffentlichen Arbeitgeber - Schwerbehinderung - Widerlegung der Kausalitätsvermutung - Grundsatz der Bestenauslese

Das BAG hat mit Urteil vom 20.1.2016 – 8 AZR 194/14 – wie folgt entschieden:

1. Die Verletzung der in § 82 Satz 2 SGB IX geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, eine/n schwerbehinderte/n Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet grundsätzlich die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Diese Pflichtverletzung ist grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein.

2. Unterlässt es der Arbeitgeber entgegen § 81 Abs. 1, § 95 Abs. 2 SGB IX, die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen, so ist dies nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Indiz iSd. § 22 AGG, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lässt, dass der schwerbehinderte Bewerber wegen der Behinderung benachteiligt wurde.

3. Eine abweichende Vereinbarung mit der Schwerbehindertenvertretung, wonach diese nur über die in die nähere Auswahl kommenden Bewerber zu informieren ist, lässt die Pflicht des Arbeitgebers zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht entfallen. Nach § 81 Abs. 1 Satz 10 SGB IX kann nur der schwerbehinderte Bewerber auf eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung verzichten. Die Schwerbehindertenvertretung selbst hat demgegenüber keine Verzichtsmöglichkeit.

4. Besteht die Vermutung einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt wurde. Hierfür gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss deshalb Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. In dem Motivbündel des (potentiellen) Arbeitgebers darf der betreffende Grund weder als negatives noch der fehlende Grund als positives Kriterium enthalten sein.

5. Zur Widerlegung der auf einen Verstoß gegen § 82 Satz 2 SGB IX gestützten Kausalitätsvermutung reicht es - davon abweichend - allerdings nicht aus, wenn der öffentliche Arbeitgeber Tatsachen vorträgt und beweist, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere Gründe als die Behinderung für die Benachteiligung der Bewerberin/des Bewerbers ausschlaggebend waren; es muss vielmehr hinzukommen, dass diese Gründe nicht die fachliche Eignung der Bewerberin/des Bewerbers betreffen. Dies kann der Fall sein, wenn der Arbeitgeber nachweist, dass er sich im Rahmen des Auswahlverfahrens ausschließlich von personalpolitischen Erwägungen hat leiten lassen, die die Mitarbeiterzufriedenheit und eine nachhaltige Personalplanung zum Ziel haben.

6. Für die Frage, mit welchen Tatsachen ein öffentlicher Arbeitgeber die Vermutung einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes widerlegen kann, können zwar grundsätzlich auch die Besonderheiten des Bewerbungsverfahrens für ein öffentliches Amt iSv. Art. 33 Abs. 2 GG von Bedeutung sein. Beruft sich der öffentliche Arbeitgeber zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung, die auf Verstößen gegen Verfahrensvorschriften beruht, die zur Förderung der Chancen schwerbehinderter Menschen in konkreten Stellenbesetzungsverfahren geschaffen wurden,

allerdings auf Gründe der Personalpolitik, die nicht an die Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG anknüpfen, muss er nicht darlegen und ggf. beweisen, dass er den Grundsatz der Bestenauslese gewahrt hat.

7. Bei der Würdigung, ob der Arbeitgeber die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung widerlegt hat, kann im Einzelfall auch dem Umstand Bedeutung zukommen, dass weitere schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurden.

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